Potsdam: Mutmaßliches Vergewaltigungsopfer bricht in Prozess zusammen

Der beste Freund der Mutter. Der Ersatzvater. Der Vergewaltiger? – „Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, wir haben viel unternommen“, sagt die junge Frau, die den Kraftfahrer Lothar K. (50) vor Gericht gebracht hat. „Wenn ich Probleme hatte, war er immer da, er hat mir immer geholfen. Ich habe ihm voll vertraut.“ Auf einmal aber sei K. „komisch“ geworden: „Er hat mir Komplimente gemacht, er hat mich betatscht. Es wurde immer mehr, so dass es auch zu Übergriffen kam.“ In den Jahren 2012 und 2013 soll sich ereignet haben, was nun vor dem Landgericht Potsdam verhandelt wird: Lothar K. soll die damals 17-Jährige sexuell genötigt und vergewaltigt haben. Nebenklägerin in Tränen aufgelöst: Lothar K. möchte zum Prozessauftakt weder etwas zu den Vorwürfen noch zu seiner Person mitteilen. Ob sich das im Verlauf der Hauptverhandlung ändern wird, lassen er und sein Verteidiger, der Potsdamer Rechtsanwalt Steffen Voigt, offen. Die Aussagen der jungen Frau, die K. im vergangenen Jahr bei der Polizei angezeigt hat und jetzt im Verfahren als Nebenklägerin auftritt, quittiert er im Gerichtssaal mit bemüht gleichgültiger Miene. Betont gelassen geht er auch in die Pause, die die 24-Jährige erbittet, bevor sie im Flur des Gerichtsgebäudes in Tränen ausbricht und sich nicht mehr beruhigen lässt, auch nicht von der Mutter. In Potsdam bietet die Beratungsstelle des Vereins Opferhilfe allen von Straftaten Betroffenen Unterstützung an. Das Team besteht aus Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen. Das Angebot ist kostenlos, vertraulich, auf Wunsch anonym und von einer Anzeige unabhängig. Dolmetscher werden eingesetzt. Opfer von Straftaten erhalten dort auch eine psycho-soziale Prozessbegleitung. An die Beratungsstelle eine Traumaambulanz für schnelle Hilfe bei akuter Traumatisierung angeschlossen. Kontakt: Jägerstraße 36, 0331/2 80 27 25. Für Opfer von Vergewaltigungen bietet die Opferberatung zudem gemeinsam mit dem Bergmann-Klinikum medizinische Soforthilfe und vertrauliche Spurensicherung an. Das Verfahren wird von Anfang an diskret behandelt. Wer es in Anspruch nehmen möchte, hat 72 Stunden Zeit, sich in der Rettungsstelle zu melden. Mädchen und Frauen sagen dort den Schlüsselsatz „Ich brauche dringend ein Gespräch mit einer Gynäkologin“; Jungen und Männer, die Opfer einer Vergewaltigung geworden sind, sagen „Ich brauche dringend ein Gespräch mit einem Urologen“ – so soll den Hilfesuchenden längere Erklärungen und Wartezeit erspart bleiben. nf Dieser habe sie sich nach dem ersten Übergriff anvertrauen wollen. „Das war eine scheiß Situation. Es war nach einer Party, ich war alkoholisiert – und meine Mutter hat mir nicht geglaubt. Sie hielt ihn für den Heiligsten. Nachdem sie mir nicht geglaubt hat, habe ich geschwiegen und alles für mich behalten.“ Sie habe die Flucht in Drogen und Alkohol gesucht: „Ich wollte alles vergessen.“ Irgendwann habe sie geglaubt, sie sei verrückt, habe sich alles nur eingebildet: „Ich habe mir gesagt, es war alles nur ein blöder Alptraum.“ Aussage soll am nächsten Verhandlungstag fortgesetzt werden: Nach dem Kollaps kehrt die Nebenklägerin nicht in den Gerichtssaal zurück. „Sie kriegt heute nichts mehr raus“, teilt Anwalt Olav Sydow dem vorsitzenden Richter mit. „Das überfordert sie gerade massiv, es kommt alles wieder hoch. Sie ist heute nicht mehr aussagefähig.“ Seine Mandantin werde sich nun psychologische Unterstützung holen und am nächsten Verhandlungstag weiter aussagen. Die Nebenklägerin hatte sich vor Gericht in Widersprüche verstrickt. Sie schilderte den Hergang der insgesamt fünf angeklagten Taten anders als der Polizei zu Protokoll gegeben und vermochte es nicht, auf Nachfrage des Vorsitzenden die Diskrepanz ihrer Aussagen aufzulösen oder zu erklären. „Richten Sie ihr aus, dass sie, wenn sie etwas nicht mehr so genau weiß, das auch sagt“, mahnte Richter Jörg Tiemann. „Wir haben das Gefühl, dass sie hier versucht, Lücken in ihrem Gedächtnis zu füllen.“ Angeklagter stand wegen ähnlicher Vorwürfe schon einmal vor Gericht: Dass sie es mittlerweile „total schwer“ habe, den angeklagten Tatvorwürfen konkrete Zeiten zuzuordnen, hatte die Nebenklägerin zu Beginn ihrer Aussage zwar angekündigt. Während der Befragung aber bringt sie noch vieles mehr durcheinander: mögliche Zeugen, Orte, Gesagtes und Nicht-Gesagtes, konkrete Handlungen und Abläufe. Die Widersprüche sind zum Teil erheblich. Die Verhandlung wird 29. Oktober fortgesetzt. Mit einem Urteil ist Mitte November zu rechnen – K. droht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Er steht nicht zum ersten Mal wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vor Gericht. Erst im Dezember 2019 war ein ähnliches Verfahren gegen ihn mit einem Freispruch ausgegangen. Lesen Sie dazu auch: Potsdam bietet vertrauliche Spurensicherung an Mehr Ratsuchende bei der Opferhilfe Schnelle Hilfe für Gewaltopfer in Potsdam Von Nadine Fabian