Potsdam spricht mit festgesetztem Rettungsschiff "Seawatch 4"

Mit einer Live-Schaltung vom Filmmuseum Potsdam auf die Brücke des Rettungschiffes „Seawatch 4“ in Palermo hat die Landeshauptstadt am Freitag auf die immer noch verzweifelte Lage der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln aufmerksam gemacht. Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) kündigte am Tag des Flüchtlings die Aufnahme von mehr als 20 früheren Bewohnern des abgebrannten Lagers Moria auf Lesbos an und nannte die von der Bundesregierung zugesagten 1500 Aufnahmen „viel zu wenig“. In der Videoschalte berichtete der erste Offizier der „Seawatch 4“, Philipp Guggenmoos, von den Gängeleien der italienischen Behörden, die das Schiff nach der Absetzung von 350 Geretteten in der sizilianischen Hafenstadt festhalten und am Wiederauslaufen hindern, um weitere Einsätze zu verzögern. Ständig würden neue Gründe dafür gesucht, berichtete Guggenmoos. Die Behörden hätten gerade erst elf Stunden lang „das Schiff auf links gedreht und keine Glühbirne drin gelassen.“ Absurde Kontrollen in Italien: Er komme aus der Container-Frachtschiffahrt und sei in seinem Berufsleben erst zwei Mal kontrolliert worden, sagte er. Soetwas habe er noch nie erlebt. Die Polizei habe unter anderem bemängelt, dass das Schiff zu viele Rettungswesten an Bord hat: „Die Titanic hatte zu wenig. Jetzt haben wir zu viele?“ Er sei christlich erzogen worden, sagte Guggenmoos: „Man kann keinen Menschen ertrinken lassen.“ Auch für einen Seemann sei es Gesetz, Menschen auf hoher See zu retten. „Ich bin sicher, dass wir auslaufen können müssen“, sagte er: „Wir sind im Recht.“ Liza Pflaum, Gründerein der Hilfsorganisation „Seebrücke“, forderte Bundesinnenminister Seehofer (CSU) auf, sofort auf die griechischen Inseln zu fliegen und dafür zu sorgen, dass die „Elendslager“ geräumt werden. „Was da geschieht, ist politisch gemacht und politisch gewollt“, sagte sie: „Wir sehen aber ganz klar: Es geht auch anders.“ Rettung ist Christenpflicht: Der Vorsitzende de Rates der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, nannte die Rettung von Flüchtlingen eine Christenpflicht und nahm von Schubert einen von drei symbolischen Seebrücke-Rettungsringen entgegen, die durch deutsche Kommunen weitergereicht werden und schließlich bei Seehofer ankommen sollen. „Matthäus 25, 35“ steht als „Code“ auf der Rückseite, und der Bischof wusste sofort Bescheid, was dort in der Bibel steht: „Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.“ Die Evangelische Kirche ist Pate der „Seawatch 4“. 20 Bürgermeister bieten Hilfe an: Auf einer Videowand der Einheits-Expo war am Filmmuseum ein Zusammenschnitt von Stellungnahmen von 20 Bürgermeistern des Bündnisses „Sichere Häfen“ zu sehen und zu hören, dem neben Potsdam weitere 70 Städte angehören. Zu lesen war dort auch ein Appell von Schubert, Bedford-Strohm und Pflaum an die Bundesregierung, für Solidarität und Mitmenschlichkeit einzustehen. „Was ist los mit Europa? Was ist los mit diesem Kontinent, der einmal eine große Friedensvision verkörperte?“, fragt der EKD-Ratsvorsitzende. Der Hinweis auf Europa sei derzeit „zu einem Codewort für die Absenkung von Menschenrechtsstandards“ geworden. „Das dürfen wir nicht hinnehmen! Lasst uns auch als Zivilgesellschaft europäisch werden! Wir streiten dafür, dass Europa seine eigene Vision von Frieden und Gerechtigkeit wieder ernst nimmt! Die Worte über die Menschenwürde in unserem Grundgesetz sind keine leeren Worte, sie müssen gelebt werden!“ Sie seien auch zutiefst christliche Werte. „Hässliches Gesicht der Abschottung“: Europa zeige „das hässliche Gesicht der Abschottung“, erklärt Schubert: „Die Würde der Menschen, die in Europa Zuflucht suchen, wird mit Nichtachtung gestraft.“ Die Bundesregierung versage; sie müsse „endlich Abstand von ihrer Abschottungspolitik nehmen. „Wer helfen will, muss helfen dürfen“, heißt es in der Erklärung. „Seawatch 4“ seit Februar im Dienst: 2020 konnte Sea-Watch gemeinsam mit dem Bündnis „United4Rescue“ das frühere Forschungsschiff „Poseidon“ erstehen, das im Februar dieses Jahres auf den Namen „Sea Watch 4 – powered by United4Rescue“ getauft wurde und im August zur Seenotrettung auslief. Am 19. September 2020 wurde das Schiff von den italienischen Behörden nach einer Sicherheitsprüfung festgesetzt. Es wird am Auslaufen gehindert und kann somit seine Mission der Rettung von Menschenleben auf dem Mittelmeer derzeit nicht fortsetzen. Von Rainer Schüler