Potsdamer Hausärztin Martina Herrmann zu Corona und Kritik am Gesundheitsamt

Dieses Gespräch führt Martina Herrmann im Stehen. Sie ist aufgebracht. Nichts und niemand auf dieser Welt könnte sie jetzt in den weichgepolsterten Sessel im Zentrum ihres Behandlungszimmers zurückbringen. Martina Herrmann (64) ist seit 30 Jahren niedergelassene Hausärztin in Potsdam. Nicht nur in der Stadt, im ganzen Land ist sie als engagierte, als streitbare Frau bekannt. Als eine, die das ausspricht, was viele Berufskollegen denken, aber nicht laut sagen – sei es, weil sie um ihren Ruf fürchten oder weil sie längst aufgehört haben, daran zu glauben, dass sich doch noch etwas ändern lässt. Martina Herrmann aber kann nicht schweigen. Sie ist in Rage. Räumt ein, dass es ihr in diesen Tagen schwer falle, immer sachlich zu bleiben: „Weil die Dinge so unglaublich und nicht mehr zu begreifen sind.“ Das Thema ist – natürlich – die Coronavirus-Pandemie. Dabei geht es Martina Herrmann vor allem um das Gesundheitsamt der Landeshauptstadt, das ihr seit Wochen wie eine Festung erscheint. Nachdem Familien, die seit Wochen mit ihren Kindern in Corona-Quarantäne zubringen, in der MAZ über das Gebaren des Amtes geklagt haben, findet nun Martina Herrmann deutliche Worte: „Das Gesundheitsamt lässt uns Hausärzte allein.“ Das Gesundheitsamt ist zwar Dreh- und Angelpunkt in der Coronavirus-Pandemie. „Es ist aber partout nicht ansprechbar", sagt Martina Herrmann. Nicht einmal für Ärzte. Wer von ihnen eine fachliche Frage habe, müsse sich über die allgemeine Nummer einwählen – ein separater Kanal, eine extra Anlaufstelle für Ärzte existiere nicht: „Das muss man sich mal vorstellen!“ Die Stadt dementiert, erklärt auf MAZ-Anfrage, dass es durchaus eigene Ansprechpartner und eine extra Nummer für Hausärzte gebe. Martina Herrmann kann nur schwer daran glauben. „Eine extra Nummer?“, sagt sie, „kenn’ ich nicht, hat mir auch nie jemand im Gesundheitsamt genannt.“ Sie habe trotz steter Bemühungen keine Gelegenheit gehabt, ein qualifiziertes ärztliches Gespräch mit einem Vertreter des Gesundheitsamtes zu führen: „Es ist alles abgeblockt worden. Da war immer nur einer dran, der gesagt hat: ,Ich hab gar keine Ahnung, ich kann Ihnen nur raten, schreiben Sie eine E-Mail und vielleicht kriegen Sie ’ne Antwort.’ Das war’s.“ Die Landeshauptstadt Potsdam erklärt zu den Vorwürfen der Hausärztin, dass das Gesundheitsamt jederzeit per E-Mail oder telefonisch kontaktiert werden könne. Es gebe zudem gezielte Ansprechpartner für praktizierende Ärzte, diese seien über eine extra Nummer erreichbar, die allerdings nicht öffentlich kommuniziert werde. Weiterhin betont die Stadt, dass es von Beginn an einen direkten Austausch mit Hausärzten gegeben habe. In jeder Stabssitzung seien mindestens ein bis zwei praktizierende Ärzte vor Ort, die jederzeit offen im Stab Themen ansprechen könnten. Diese Ärzte wiederum hätten die Aufgabe, die Informationen aus dem Stab zu kommunizieren. Wie hoch jedoch der Bedarf an klärenden Gesprächen von Arzt zu Arzt ist, schildert Martina Herrmann an einem Beispiel aus ihrer Praxis. Fall I: Die Krankenschwester: Martina Herrmanns Patientin (59) arbeitet als Krankenschwester im Bergmann-Klinikum. Am 6. April wird sie dort auf das Coronavirus getestet – am 7. April liegt das Ergebnis vor: positiv. Die Krankenschwester und ihr Ehemann (61) erhalten am 9. April vom Gesundheitsamt die schriftliche „Anordnung der Absonderung in sogenannte häusliche Quarantäne“. Laut Amt gelten sowohl sie als Infizierte als auch er als Kontaktperson als infektiös – die Eheleute müssen „bis auf Widerruf“ in Quarantäne bleiben. Eine zeitliche Dimension – zwei Wochen, vier, sechs – deutet das Schreiben nicht an. Dafür weist das Gesundheitsamt „rein vorsorglich“ darauf hin, dass derjenige, der sich der Anordnung widersetzt, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldbuße bestraft wird. „Wenn Sie das lesen, kommen Sie sich vor wie ein Schwerverbrecher“, sagt Martina Herrmann, „da stockt einem doch der Atem! Die Menschen haben nichts verbrochen – sie haben einen Infekt.“ Die Krankenschwester hat rund um die Diagnose Husten, Schnupfen und leichtes Fieber. Seit 15. April ist sie symptomfrei. Die erste Testung nach überstandener Krankheit nimmt das Klinikum am 21. April vor – sie schlägt noch immer positiv auf das Coronavirus an. Der nächste Test am 26. April ebenso – seit dem ersten Positiv-Befund sind da bereits 20 Tage vergangen. Der Test am 1. Mai ist negativ. Zur Erinnerung: Medizinisches Personal darf erst an den Arbeitsplatz zurückkehren, wenn zwei Negativ-Befunde vorliegen. Doch am 3. Mai ist das Ergebnis wieder positiv – und stellt alles auf Null. Der nächste Termin ist für den 8. Mai anberaumt. „Sie mag noch positiv sein, ist mit Sicherheit aber schon lange nicht mehr infektiös“, sagt Martina Herrmann, „dieses Positiv und Negativ hat nichts damit zu tun, ob jemand infektiös oder ansteckend ist. Die Teste sind hoch belastet mit Falschaussagen – aber sie sind dennoch die Grundlage für diese außerordentliche Freiheitsberaubung der Menschen. Das geht gar nicht!“ Inzwischen konnte Martina Herrmann für ihre Patientin einen Antikörper-Test veranlassen. Das Ergebnis erhält sie am 6. Mai: Der Test ist positiv. „Das heißt, sie hat diese Infektion durchgemacht, sie hat Antikörper entwickelt. Damit ist sie immun“, erklärt die Hausärztin, „das Labor weist zwar darauf hin, dass es nicht sagen kann, wie lange diese Immunität anhält – aber das ist auch gar nicht von Interesse. Es ging nur darum festzustellen, ist sie infektiös, kann sie aus der Quarantäne oder nicht? Das war die einzige Frage – und die muss man eindeutig beantworten mit: Sie ist nicht mehr infektiös, sie hat Antikörper gebildet, sie hat es überstanden.“ Fall II: Der Ehemann: Die Hausärztin stellt dem Ehemann der Krankenschwester, der an seinem Arbeitsplatz in der Baubranche gebraucht wird, noch am 9. April eine Überweisung für einen Test auf Covid-19 aus, doch das Gesundheitsamt lehnt ab. Der Grund: Der Mann hat keinerlei Symptome. Die Ärztin lässt nicht locker. Am 23. April wird der Mann in der zentralen Abstrichstelle in der Hegelallee doch getestet und zwar negativ. Um auf Nummer sicher zu gehen, hat er seither das gemeinsame Zuhause verlassen und lebt isoliert in der Wohnung der verstorbenen Schwiegermutter. Das weiß auch das Amt. Dennoch hat es seine Quarantäne noch immer nicht aufgehoben. Und selbst wenn: Arbeiten gehen dürfte er trotzdem nicht. Denn dafür fehlt ihm das schriftliche Testergebnis, das nun auch der Arbeitgeber fordert. „Ein schriftliches Testergebnis haben aber weder die Frau noch der Mann erhalten“, so Martina Herrmann, „mein Patient hat noch nie in seinem Leben auf der Arbeit gefehlt. Der ist kurz vorm Kollabieren – der kann nicht mehr!“ Fall III: Die Mutter: Mitten in der Quarantäne trifft die Eheleute ein Schicksalsschlag: Die Mutter (82) der Krankenschwester stirbt. Seit Anfang März war sie mit Herzproblemen im Bergmann-Klinikum behandelt worden. „Dort hat sie sich eine Staphylokokken-Sepsis zugezogen, an der sie nach einem kurzen Aufenthalt zu Hause im St. Josefs-Krankenhaus gestorben ist“, sagt Martina Herrmann, „Corona war bei ihr nie ein Thema. Corona hatte sie nicht – sie ist auch getestet worden. Das Klinikum hat mehr Probleme als das Coronavirus. Diese katastrophalen Zustände in diesem Krankenhaus bestehen schon lange, lange, lange. Aber jetzt ist das Ganze eskaliert. Von den Toten wie der alten Dame redet keiner – das sind aber die eigentlichen Opfer.“ Besonders traurig: „Diese alte Dame ist die letzten sechs Wochen ihres Lebens mutterseelenallein gewesen. Sie hat eine riesige Familie: Kinder, Enkel, Urenkel: Keiner durfte zu ihr. Auch die Tochter nicht. Wegen der Quarantäne kann sie nicht mal die Beerdigung vorbereiten.“ Das Gesundheitsamt: Die Hausärztin kritisiert die Stadt und ihr Gesundheitsamt: „Nicht mal mir als an der Front arbeitende Ärztin wird in irgendeiner Weise die Möglichkeit gegeben, ins ärztliche Gespräch zu kommen. Ich habe auch ein Fax mit der Bitte um sofortigen Rückruf geschickt. Bis heute habe ich keine Reaktion. Ich komme mir vor wie der letzte Dreck!“ Dass hingegen die Stadt den Hausärzten öffentlich vorwarf, sich vor den Corona-Tests zu drücken, hat Martina Herrmann tief getroffen. „Ja, auch ich habe von Anfang an gesagt, dass ich keine Tests mache – ich bin ja gar nicht dafür ausgerüstet! Ich habe dafür nichts gekriegt, keine Maske, kein gar nichts. Ich bin nicht lebensmüde: Habe ich einen positiven Fall, ist meine Praxis dicht.“ Auch die Aufforderung, Dienste in der Abstrichstelle Am Stern zu besetzen – parallel zur eigenen Sprechstunde – habe sie entsetzt: „Eine Frechheit! Das ist nicht unsere Aufgabe. Das ist eine Sache des Katastrophen- und Seuchenschutzes. Vom Stundenlohn mal abgesehen. Wenn ich in meiner Praxis in einer Stunde das erwirtschafte, was uns geboten wurde, bin ich in einer Woche pleite. Ich bin Ärztin, ich helfe gern – aber unter diesen Bedingungen?“ Lesen Sie mehr: Unter Vollschutz: Eine Krankenschwester auf der Covid-Station im Bergmann-Klinikum berichtet Coronavirus: Ketten-Quarantäne frustriert Potsdamer Familien Mutter und behindertes Kind müssen für vier Wochen in Quarantäne Von Nadine Fabian

Covid-19 in Potsdam - Potsdamer Hausärztin in Corona-Zeiten: Von der Stadt im Stich gelassen