Potsdamer Historikerin Jutta Braun erhält Digitalpreis

Die Historikerin Jutta Braun ist die diesjährige Trägerin des Digital-Preises. Der Verein der Freunde und Förderer des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) verleiht den Preis seit 2016 für wichtige zeitgeschichtliche Online-Publikationen. Am Donnerstagabend wurde die Preisträgerin in einer Feierstunde am ZZF Am Neuen Markt 1 gekürt. Von den bisher insgesamt vier Preisträgern ist sie die erste, die selbst am ZZF arbeitet. Eine gewalttätige Fanszene: Braun hatte im Frühjahr 2018 ihren Aufsatz „Vom Troublemaker zum Integrationsstifter? Fußball und Gewaltprävention in Deutschland vor und nach 1989“ online veröffentlicht. Er war auch in der 15. Ausgabe der Fachzeitschrift „Zeithistorische Forschung“ erschienen. In diesem Heft beschäftigen sich Historiker damit, wie die Bundesrepublik zum Teil mit Erfolg Gewalt als Handlungsoption, sei es in der Erziehung, in der Schule oder im Gefängnis, immer mehr ächtete. Braun hatte sich mit Gewalt in der Fanszene des Fußballs befasst. Von ihrem Aufsatz hatte sie dann mit Bildmaterial auch eine Online-Publikation erstellt. „Ich freue mich sehr über den Preis“, sagt Braun der MAZ. Damit werde auch die akademische Sportgeschichtsschreibung gewürdigt. Die Geschichtswissenschaftlerin, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum politischen Strafrecht in der DDR promoviert hat, sieht hier eine gegenläufige Bewegung. Je mehr sich die Öffentlichkeit für die Geschichte des Sports interessiere, desto mehr verschwinde diese aus den Fakultäten selbst. So endete zum Beispiel auch mit der Emeritierung von Hans Joachim Teichler 2011 dessen Lehrstuhl „Zeitgeschichte des Sports“ an der Universität Potsdam. An eben diesem Potsdamer Lehrstuhl fand Braun zum Sport als einem wichtigen Gegenstand der Geschichtsforschung. Sport hatte bis dahin für sie kaum eine Rolle gespielt. Der Weg zur Sportgeschichte war ein Zufall: „Herr Teichler hatte viele Leute, die sich mit Sport auskannten, aber noch keinen Mitarbeiter, der sich mit DDR-Geschichte gut auskannte“, sagt Braun. Einen solchen Experten oder Expertin brauchte Teichler aber für seine Erforschung der Sportgeschichte der DDR. Das wurde von 1999 bis 2010 seine Assistentin Jutta Braun. Die erkannte erst im Laufe ihrer Arbeit die Bedeutung des Sports für die akademische Geschichtsschreibung überhaupt. „Ich würde mir wünschen, dass Sportgeschichte als Teil der Gesellschaftsgeschichte noch mehr Anerkennung findet“, sagt sie. Moderner Sport streife viele Aspekte der Geschichtsforschung: „Es ist Diplomatengeschichte, es ist Gewaltgeschichte, es ist Gesellschaftsgeschichte und über die Vereine auch ein Stück Geschichte der Zivilgesellschaft.“ Ergänzen könnte man: Es ist auch eine Geschichte der Wiedervereinigung. Denn genau deren Folgen handelt Jutta Braun in ihrer jetzt ausgezeichneten Gewaltgeschichte der Fankultur im Fußball ab. Hooligans nutzten das Vakuum: Direkt nach der Wende sei in den neuen Bundesländer eine Art polizeiliches Vakuum entstanden. Das nutzten auch Hooligans für ihre Randale aus. Die östlichen Sicherheitskräfte wirkten hier ziemlich hilflos weil, anders als im Westen, Fangewalt in der DDR tabuisiert und als „Rowdytum“ abgetan worden war. Ein trauriger Höhepunkt dieser Zeit der Verunsicherung waren die tödlichen Schüsse eines Polizisten auf den FC Berlin-Anhänger Mike Polley am 3. November 1990. Nach einer Schockstarre hätten sich auch die Vereine in ganz Deutschland um ihre Fans gekümmert, sagt Braun. „Der Deutsche Fußballbund hat in breiter Fläche Fanprojekte gefördert.“ Vor 1990 habe sich der DFB in dieser Hinsicht zögerlich verhalten. Dass sich auch die Fußballszene selbst um den Abbau von Gewalt durch Prävention bemühe, sei eine recht späte und nachholende Entwicklung – letztlich auch eine Folge der Wiedervereinigung. Während zum Beispiel Gewalt von Wärtern in Gefängnissen in der Bundesrepublik recht früh geächtet wurde, überließen es beim Fußball auch die Westvereine bis in die 80er-Jahre hinein zumeist Sozialpädagogen der Hochschulen, gewaltbereite Fans zu zivilisieren. Nach dem Gewaltschock der Wende verstanden sich dann auch die Vereine erstmals als Integrationsstifter. Der Geschichtswissenschaftler Helmut Knüppel, einer der Juroren, lobt in seiner Ansprache am Donnerstag, wie subtil Braun die Ursachen von Gewalt und Fremdenfeindlichkeit im Fußball herausarbeitet. Braun stelle diese „in den jeweiligen historischen und systemischen Kontext und befreit uns von der Vorstellung, Gewalttätigkeit und Rassismus seien für bestimmte Gesellschaftssysteme nicht vorgesehen“. Gegenüber der MAZ betont Knüppel, Braun habe ein „hochaktuelles Thema“ zeitgeschichtlich hervorragend aufgearbeitet. Dank ihrer guten Online-Präsentation habe der Leser Gelegenheit, direkt zu den vielfältigen Quellen von Brauns Studie vorzudringen. „Es ist, als hätten Sie als Leser alle Bücher gleichzeitig vor sich liegen“. Das sei von Braun tadellos gemacht worden und für jeden sportgeschichtlich Interessierten spannend. Von Rüdiger Braun

Zeitgeschichte Online - Potsdamer Historikerin Jutta Braun bekommt Digital-Preis 2019