Potsdamer kämpft um sein Recht als Behinderter auf dem Arbeitsmarkt

Die Faust, zu der Denis Hanke die Hand ballt, lässt sich so schnell nicht lösen. Das liegt zum einen an der Spastik, die ihn begleitet seit er denken kann. Zum anderen liegt es an dem Dilemma, in das Denis Hanke (38) geraten ist einzig und allein, weil er behindert ist und die Behörden nicht wissen, wie sie mit seinem Fall umzugehen haben. Denis Hanke hat die Chance, nach längerer Arbeitslosigkeit auf den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren. Das Oberlinhaus möchte ihn einstellen, Denis Hanke möchte den Job, von dem er sagt, er sei ein Sechser im Lotto, unbedingt annehmen – doch eine Gesetzeslücke verhindert das. Dass sich diese Lücke ausgerechnet in den Regelungen auftut, die Menschen mit Behinderung befähigen sollen, am gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt teilhaben zu können, macht die Situation geradezu absurd. Denis Hanke ist gelernter Informatikkaufmann. Im Sommer 2019 hat er ein Kennenlern-Praktikum in den Oberlin-Werkstätten auf Hermannswerder gemacht. Schnell war klar, dass daraus etwas Festes werden soll. Doch obwohl sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind, sprechen das Gesetz und die Behörden gegen diese Verbindung. Das Problem: Denis Hanke benötigt rund ums Jahr eine Arbeitsassistenz und in den Wintermonaten einen Fahrdienst. Er hat die Kostenübernahme dafür im Spätsommer beim Jobcenter beantragt, aber bis heute nur Absagen erhalten – auch auf seine Widersprüche hin. Die Ablehnung ergibt sich aus zwei gesetzlichen Regelungen, die nicht zusammenpassen: Denis Hankes Rückkehr in den Job wird nach Paragraf 16e des Sozialgesetzbuches II gefördert, doch das Recht auf Assistenz und Fahrdienste ist in Verbindung mit diesem Paragrafen nicht geklärt. Resultat: Die Behörden spielen sich den Fall abwechselnd zu, lehnen aber jeweils die beantragten Leistungen ab – da hilft es Denis Hanke auch nichts, dass ein Gutachter seine Hilfsbedürftigkeit verbrieft hat. Auch drei Landesministerien sind in den Fall involviert: Inzwischen sind in die Causa nicht nur das Oberlinhaus und das Jobcenter involviert, sondern auch die Arbeitsagentur Potsdam und deren Regionaldirektion, das Landesamt für Soziales und Versorgung, das Sozialgericht, drei Brandenburger Ministerien und ein Bundesministerium. Denis Hanke lässt nicht locker. „Ich kann da nicht aufgeben“, sagt er. „Dann wäre ja der ganze Kampf bis hierher umsonst gewesen.“ Denis Hankes Ringen mit der Welt beginnt mit seiner Geburt, die eine schwere ist und für Mutter und Kind lebensgefährlich. Weil die Ärzte nicht schnell genug und womöglich auch falsch reagieren, erleidet Denis Hanke einen schweren Sauerstoffmangel. Dessen Folge sind zentralnervöse Funktionsstörungen: Denis Hankes Hände, Arme und Beine funktionieren nicht so wie sie funktionieren sollen, er hat Probleme beim Sprechen und mit dem Gleichgewicht, Nieren und Herz-Kreislaufsystem sind anfällig. Die Eltern bringen ihm früh bei, worauf es ankommt im Leben: „Es gibt mich nur so – zum Glück“, sagt Denis Hanke. Die Eltern haben ihm früh beigebracht, dass es wichtiger ist, sich mit den Dingen zu beschäftigen, die man kann, als mit denen, die man nicht kann – und dass es sich immer lohnt zu kämpfen. Dank seiner Eltern besucht Denis Hanke „eine normale Schule als einziger Integrant“, wie er sagt. Nach der 10. Klasse und der Ausbildung kann er zwischen zwei Arbeitsplätzen wählen, setzt aber auf den falschen. Die Firma macht nach kurzer Zeit dicht und Denis Hanke wird arbeitslos. „Das war keine gute Zeit“, sagt er. „Vom Rumsitzen wird man dumm. Man bekommt keine Anerkennung und verliert sein Ziel im Leben.“ Ein Silbermond-Song öffnet ihm die Augen: Am 13. Juni 2004 beschließt Denis Hanke nach Monaten der Lethargie, den Hintern hochzubekommen. Das Stadtwerkefest versinkt im Regen, doch Denis Hanke harrt in der ersten Reihe aus. Silbermond – damit kann er eigentlich gar nichts anfangen. Dann spielt die Band dieses eine Lied, das ihm den Kick gibt, endlich selbst anzupacken: „Mach’s dir selbst“. Nass bis auf die Knochen kommt Denis Hanke nach Hause. Er ist so gut gelaunt wie lange nicht, richtig übermütig. Diesen Song, da ist er sicher, will – und wird – er nie mehr aus dem Kopf kriegen: „Du willst Ferrari fahren, doch du fährst Straßenbahn. Träumst von ’nem Haus am Strand mit Blick aufs Meer – das Leben ist nicht fair. Täglich von acht bis drei siehst du nur Talkshow-Brei. Dein Leben ist so geil wie Tretbootfahren – ey da hab ich ’n besseren Plan. Mach’s dir selbst! Überleg’ nicht! Mach’s dir selbst! Besser geht’s nicht. Du willst viel und noch mehr. Es kommt nichts von ungefähr. Jetzt liegt es in deiner Hand...“ Er gründet eine eigene Firma: Denis Hanke ist elektrisiert. „Ich musste etwas tun – und ich habe direkt angefangen.“ Noch in derselben Nacht kündigt er dem Pflegedienst. „Ich wusste, dass ich mein Leben selbst gestalten, dass ich aktiver werden und stärker an der Gesellschaft teilhaben muss.“ Ein paar Monate später gründet Denis Hanke eine eigene Firma: Er gestaltet Internetseiten und berät Menschen mit Behinderung zu Kommunikations- und Computerhilfsmitteln. Er zieht wegen Diskriminierung vor Gericht: Ja, die Firma. „Das war eine gute Zeit, wenn auch keine unproblematische. Sagen wir so: Ich bin klar gekommen, aber die Ämter nicht.“ Beinahe zehn Jahre lang klagt sich Denis Hanke durch alle Instanzen bis vors Bundesverfassungsgericht. Die Gemengelage ist ähnlich: „Jeder behinderte Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Assistenz. Was aber ist mit einem behinderten Arbeitgeber, mit einem Selbstständigen? Das ist im Gesetz nicht geregelt.“ Die Assistenz, die Denis Hanke vor allem für den Papierkram braucht („Der überfordert mich – nicht intellektuell, motorisch!“), fördert das Amt anfangs ohne Probleme. Dann fällt auf, dass die gesetzliche Grundlage fehlt. Nach drei Jahren ist’s aus mit der Förderung. „Ich habe die Assistenzkraft dann aus eigener Tasche bezahlt. Ich musste ja irgendwie weiterarbeiten.“ „Ich bin immer den weiteren Weg gegangen“: Die Klage wegen Diskriminierung ist damals erfolgreich – für Denis Hanke kommt der Erfolg aber zu spät. „Ich hatte eine Pechsträhne.“ Zuerst reißt der Meniskus, dann bricht sich Denis Hanke Hüfte und Ellbogen. Die Unfälle werfen ihn fast drei Jahre aus der Bahn – die Firma ist futsch, Denis Hanke arbeitslos. Als er im Sommer 2019 das Angebot erhält, an einem Eingliederungsprojekt teilzunehmen, als die Oberliner ihm zu verstehen geben, dass er ein guter Mann ist – gut fürs Team, gut in seinem Fach – da glaubt er die Krise überwunden. Und nun? „Nun ist es wie immer: Ich bin immer den weiteren Weg gegangen“, sagt Denis Hanke. „Das ist nun mal mein Leben. Aber ich mache weiter Druck. Ich lasse mich nicht diskriminieren!“ Von Nadine Fabian

Teilhabe - Potsdamer will arbeiten – doch eine Gesetzeslücke macht das unmöglich