Präsenzpflicht an Schulen ausgesetzt: Eltern und Lehrer in Potsdam entsetzt über Bildungspolitik

Schüler müssen seit Montag nicht mehr zum Unterricht in die Schule – das kurzfristige Aussetzen der Präsenzpflicht durch Brandenburgs Bildungsministerium am Sonntagabend trifft bei Eltern und Lehrern in Potsdam auf Kritik. Entrüstete Anrufe beim Kreiselternrat: „Entsetzt“ sei man im Kreiselternrat über diese Entscheidung, sagt Annett Hagemann-Rentzsch, stellvertretende Sprecherin des Rates, gegenüber der MAZ. Sie habe bereits zahlreiche entrüstete Anrufe sowohl von Eltern als auch Lehrern erhalten. Hagemann-Rentzsch kritisiert, dass das Ministerium einfach keine klare Linie habe. An Grundschulen würde ein Distanz-Unterricht nicht gut funktionieren. Die Kinder bekämen hauptsächlich Arbeitsblätter, die sie zu Hause lösen müssten. Dabei seien sie auf Unterstützung der Eltern angewiesen. Nicht alle Eltern hätten genügend Zeit und Kapazitäten, ihre Kinder die ganze Zeit zu unterstützen. Die große Angst vieler Eltern sei, dass ihren Kindern viel Wissen nicht vermittelt werden könnte und sie daher auf der Strecke blieben. Hagemann-Rentzsch verweist außerdem auf das Wechselmodell und das Hygienekonzept, was bereits das Infektionsrisiko minimiere. 24 Schüler in Potsdam unter den Neuinfektionen: Täglich gibt es neue Corona-Infektionsfälle an Potsdams Schulen. Laut Gesundheitsamt sind 24 Schüler sowie ein Lehrer positiv auf das Virus getestet worden. Mit PCR-Tests bestätigt wurden jetzt die Schnelltestergebnisse von Schülern aus der Voltaireschule, der Comenius-Schule, der Käthe-Kollwitz-Oberschule sowie der Gesamtschule „Peter Joseph Lenné“. Hinzu kommen drei Kita-Kinder und drei Erzieher mit positiven Tests. 384 Kinder und 49 Mitarbeiter aus den Einrichtungen sind in Quarantäne. Lesen Sie auch: Potsdam setzt in Schulen und Kitas auf Lüften statt Filtern Test-Tohuwabohu: Es wird eng für Bildungsministerin Britta Ernst Großer Andrang bei den Schnelltests in Potsdam Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) hatte Ende voriger Woche noch angekündigt, die Stadt wolle Schulen schließen, wenn das Land nicht genügend Schnelltests zur Verfügung stellt. Die Anfrage, ob dies nun umgesetzt wird, blieb am Montag unbeantwortet. Sprecherin: „Den Schülern ist mulmig zumute“: Die Zahlen sorgen für Unruhe unter den Schülern. Die Potsdamer Schülersprecherin Katharina Swinta, Mitglied des Landesschülerrates, hatte sich daher für eine Aufhebung der Präsenzpflicht eingesetzt. Die Zwölftklässlerin an der Lenné-Schule habe sich wegen steigender Infektionszahlen immer unwohler im Präsenzbetrieb gefühlt, berichtet sie: „Vielen Mitschülern war die ganze Zeit schon sehr mulmig zumute.“ Das ungute Gefühl habe sich verstärkt, als es in der 11. Klasse einen positiven Corona-Fall gab. Sieben neue Infektionen wurden dem Potsdamer Gesundheitsamt bis Montagmorgen bekannt – die Meldezahlen übers Wochenende sind oft niedrig. Die Sieben-Tage-Inzidenz sank auf 90,9 (Vortag 92,1). Insgesamt hatten nunmehr 5377 Potsdamer eine bestätigte Corona-Infektion. Davon gelten 4809 als genesen. Diese Zahlen stammen aus der Übersicht des Landes (Dashboard). Außerdem kritisiert Swinta das mangelhafte Testkonzept. Schnelltests seien in den Schulen entweder gar nicht erst eingetroffen oder fehlerhaft gewesen. Einige Pakete hätten Mängel in der Verpackung aufgewiesen. Swinta schätzt, dass aus ihrem Jahrgang etwa die Hälfte der Schüler zu Hause bleibt und per Distanzunterricht lernt – etwa in Online-Konferenzen oder auf einer Lernplattform. Lehrer klagen über Überlastung: Das wird schwieriger. Parallel im Online-Unterricht zu schulen, sei nicht möglich, sagt Grit Steinbuch, Schulleiterin des Hermann-von-Helmholtz-Gymnasium. Alle Kollegen seien voll ausgelastet im Präsenzbetrieb. Schüler, die nicht vor Ort sein könnten, müssten sich bei ihren Mitschülern nach den Unterrichtsinhalten erkundigen. Ihr momentaner Eindruck sei, dass in den jüngeren Klassen mehr Schüler anwesend sind. Eine Lehrkraft sagte der MAZ über die Ministeriumsentscheidung: „Es gibt kein Verständnis dafür. Wir haben uns gefragt, warum die Schulen überhaupt geöffnet worden sind. Wir machen schon Aufgaben für zwei Gruppen im Wechselunterricht – für die, die zuhause sind und die in der Schule.“ Die Belastung sei ungesund. Jeder kenne Kollegen, „die am Burn-Out entlang schrammen“. Vater: „Verantwortung wird auf Eltern abgeschoben“: Auch für Karli Krause aus Stahnsdorf, Vater von zwei schulpflichtigen Töchtern, kam der Beschluss zu plötzlich: „Eltern und Schulen müssen die Chance haben, etwas organisieren zu können.“ Er persönlich könne seine Kinder zwar Homeschooling betreuen, doch Eltern, die planen müssten, stelle der plötzliche Beschluss vor Herausforderungen. „Mit dem Aussetzen der Präsenzpflicht wird alle Verantwortung auf die Eltern geschoben“, kritisiert Krause. Von Julia Meier