Pro Potsdam vergibt Grundstück in Erbbaupacht – und vergrätzt mit den Bedingungen zwischen Höchstgebot und Konzeptausschreibung Interessenten

Beim Verkauf von Grundstücken aus dem Besitz der Stadt hat über die vergangenen Jahre ein Umdenken stattgefunden. Nachdem nicht mehr allein die Einnahmen zählten, sondern auch das Nutzungskonzept, will die städtische Immobilienholding Pro Potsdam nun auch den nächsten Schritt gehen und Grundstücke nicht mehr verkaufen, sondern für 99 Jahre in Erbbaupacht vergeben. Dann bleiben sie langfristig in öffentlichem Eigentum. Doch eine aktuell laufende Ausschreibung für zwei benachbarte Grundstücke in der Lennéstraße 54 und 55 sorgt jetzt für Vorwürfe gegenüber der Pro Potsdam. Zwei Gruppen potenzieller Bewerber sprechen von einer „Schein“-Konzeptausschreibung. Die finanziellen Bedingungen, die die Stadt stellt, machten es unmöglich, zugleich die formulierten Ziele zu erfüllen. Wer den Pachtzins und die Sanierung stemmen wolle, könne nur hochpreisig vermieten. Konzeptvergaben – der Kaufpreis allein zählt nicht mehr Das Doppelgrundstück: Bis zum Freitag kann man sich noch für das Doppel-Grundstück bewerben. Es bietet rund 2100 Quadratmeter Fläche, die sich weit in den Block hineinzieht. Es handelt sich um eine Top-Lage – der Eingang zum Park Sanssouci ist quasi gegenüber. Zwei denkmalgeschützte Gebäude stehen zur Straße. Im Mehrfamilienhaus gibt es neun Wohnungen. Auf dem zweiten Grundstücksteil steht ein leerstehendes eingeschossiges „Gärtnerhaus“ mit Seitenflügel und drei Wohnungen. Auf dem Hof sind Abrisse von späteren Ergänzungen und zwei Neubauten möglich. „Von den Interessenten werden innovative Nutzungs- und Gestaltungskonzepte für beide Grundstücke erwartet unter besonderer Berücksichtigung des Denkmalschutzes. Die Grundstücksausschreibung richtet sich insbesondere an Baugruppen, Träger gemeinschaftlicher Wohnformen, Genossenschaften und Bauträger“, heißt es im Exposé der Pro Potsdam. Welche Geschichten im Gärtnerhaus am Park Sanssouci stecken Abgesprungene Bewerber: Die Projektgruppe „Das Blaue L“ und eine Wohnungsgenossenschaft Sanssouci Süd i.G., die am Dienstag in einer gemeinsamen Pressemitteilung die Vorwürfe erhoben haben, bestehen nach eigenen Angaben aus 40 Menschen, zu denen auch die aktuellen Bewohner des einen ausgeschriebenen Hauses gehören. „Die meisten von uns wohnen seit vielen Jahren in Potsdam und gestalten die Stadt durch ihre beruflichen und ehrenamtlichen, kulturellen, sportlichen und gastronomischen Aktivitäten mit.“ Ihre Vision: eine nachhaltige Lebensweise in einer solidarischen Gemeinschaft sowie das gemeinsame Altwerden ohne die permanente Angst, ob man sich dann noch die Wohnung leisten kann. „Unsere Gruppen wären genau eine der angestrebten Zielklientel“, schreiben sie. Sie schildern, wieso sie nach umfangreicher Vorarbeit und Recherche nun davon absehen, sich zu bewerben. Höchstgebot durch die Hintertür: Das Verfahren für die Ausschreibung sieht zwei Stufen vor. Aus allen Bewerbern, die bis Freitag ihr Konzept einreichen, werden drei bis fünf ausgewählt. Doch hierbei zählen die Inhalte nur noch zur Hälfte. Entscheidend ist das Höchstgebot für den jährlichen Pachtzins, der vier Prozent betragen soll, was 68 000 Euro im Jahr entspricht. Interessenten, die noch mehr bieten, bekommen in der Bewertungsmatrix deutlich mehr Punkte. Die Kosten für die Sanierung der Denkmäler, die nach Angaben der Bewohner teils seit 20 Jahren leer stehen, würden noch hinzukommen. „Nach verschiedenen Expertenschätzungen läge die Miete pro Quadratmeter bei etwa 15,50 Euro“, erklären die zwei Gruppen. „Am Beispiel dieser Ausschreibung wird erneut deutlich, dass ein soziales und gemeinschaftliches Wohnen in Potsdam nicht erwünscht ist. Wir können uns das nicht leisten“, resümieren sie. Tatsächlich ist der Zustand der Gebäude ist zumindest bedenklich. Das leere Gärtnerhaus konnten Interessenten aus Sicherheitsgründen nicht einmal besichtigen. Am mehrgeschossigen Wohnhaus ist jahrelang nur das Nötigste gemacht worden, sagen die Bewohner. Laut Exposé ist es „stark sanierungsbedürftig“, die Hinterhofgebäude in einem „schlechten bis sehr schlechten Erhaltungszustand“. Die Sicht der Pro Potsdam: Die Pro Potsdam erklärt auf MAZ-Anfrage, dass sie „Bewertungssimulationen möglicher Bieter“ nicht kommentieren könne, weil das Verfahren noch laufe und nicht gefährdet werden solle. Zu den Bedingungen des Verfahrens wird erklärt: „Eine einseitige Bevorzugung rein sozialer Aspekte bei der Grundstücksvergabe ist der Pro Potsdam in diesem Fall nicht möglich.“ So haben der Aufsichtsrat und der Hauptausschuss das Verfahren mitgetragen. Dieses sieht „explizit die Veräußerung des Grundstücks zu einem gutachterlich ermittelten Mindest-Erbbauzins zuzüglich eines gutachterlich festgelegten Kaufpreises für die Bestandsgebäude vor.“ Daran sei man gebunden. Bei den Grundstücken habe man neben dem Erbbauzins „viele weitere Kriterien, wie z.B. den Städtebau, den Denkmalschutz, die Inklusion, soziale Ansätze, die Nutzungsmischung, den Klimaschutz, die Vorschläge zur Vermeidung von Pkw-Verkehr und die Wirkung der Erdgeschossnutzung in den Stadtteil hinein“ berücksichtigt. Mit der Auswahl versuche die Pro Potsdam „im Rahmen bestehender Zielkonflikte eine ausgewogene Interessenabwägung im Spannungsfeld sozialer, ökologischer und ökonomischer Kriterien herzustellen.“ „Widersprüchliche“ Vergabe: Das Netzwerk „Stadt für alle“ äußerte sich am Dienstag ebenfalls zu der Ausschreibung und bezeichnete sie als „widersprüchlich und unsinnig“. „Da wird einerseits von einer Konzeptvergabe gesprochen, andererseits ein Erbbauzins als Mindestgebot genannt und die Vergabe zu 50 Prozent daran geknüpft, wer den höchsten Erbbauzins bietet. Das ist nicht anderes, als die Rückkehr zum Höchstgebotsverfahren durch die Hintertür“, schreibt das Netzwerk. Hier könne kein Bewerber bezahlbare Mieten erzielen. „Stadt für alle“ verweist auf die Praxis in Städten wie Ulm und Münster, wo die Zinssätze bei Erbbaurechtsvergaben nur halb so hoch angesetzt würden. „Die zwei Interessentengruppen für die Lennéstraße 54/55 erinnerten an frühere gescheiterte Versuche gemeinschaftliches Wohnen zusammen mit der Pro Potsdam zu realisieren etwa in der Goethestraße in Babelsberg. Dort hätten „knapp 100 Menschen gemeinschaftlich ein Konzept und einen Finanzplan für die Bewerbung bei der Pro Potsdam erarbeitet“. Damals war man „sehr zuversichtlich, weil beides den formalen und inhaltlichen Anforderungen der Ausschreibung entsprochen hat.“ Jedoch: „Anstatt über die eingegangenen Bewerbungen zu entscheiden, ließ die Pro Potsdam alles liegen, und zwar so lange bis das zur Ausschreibung gehörige Grundwertgutachten nicht mehr gültig war.“ Es musste deshalb ein neues Gutachten angefertigt werden, das angesichts der Bodenpreissteigerung dazu führte, dass die Finanzierung für die große Bewerbergruppe nicht mehr zu stemmen war. Erbbaupacht ist Chance für das Terrassenhaus Streit um Wohnungsbau in der Goethestraße Von Peter Degener