Science Park Golm seit der Wende

Nichts sei dort gewesen, soweit er sich erinnere, antwortet Brandenburgs erster Wissenschaftsminister Hinrich Enderlein (FDP) auf die Frage, wie denn das Feld weit draußen bei Golm vor 30 Jahren ausgesehen habe. „Es sah wirklich nicht so aus, dass jemand auf die Idee gekommen wäre, hier könne mal ein Wissenschaftspark stehen.“ Freilich, auf der östlichen Seite der Bahngleise gab es schon etwas. Uni Potsdam übernimmt Gebäude der Stasi-Hochschule: Es waren die Gebäude der sogenannten Stasi-Hochschule, in die nach der Wiedervereinigung die blutjunge Universität Potsdam einzog. Seit ihrem Bestehen 1955 hatte die frühere Einrichtung ganz offen „Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit“ geheißen und wurde 1965 zur „Juristischen Hochschule Potsdam“ (JHS) umgetauft. Ausbildungsstätte für leitende Stasi-Spitzel und ihre oft genug perfiden Methoden blieb sie allemal und damit kein Ort, auf den man in der Umgebung besonders stolz gewesen wäre. Ausgerechnet in solch einer Umgebung Wissenschaft von internationalem Rang zu platzieren, war wirklich nicht naheliegend. Heute ein moderner, internationaler Campus: Wer durch den Potsdamer Wissenschaftspark Golm flaniert, sieht schnittige Gebäude, sieht eine große Kunstinstallation aus sich bewegenden Metallstangen und sieht vor allem meist junge Menschen, die gelöst miteinander plaudern oder in eines der Büros eilen. Das gängige Idiom auf dem Campus ist Englisch, man hört natürlich auch viel Deutsch, dann aber eben auch wieder Spanisch und manchmal Chinesisch. Es ist ein internationaler Ort und die Atmosphäre wirkt, zumindest für einen Außenstehenden, aufgeschlossen. Viele Institute, ein Archiv und ein zweisprachiger Kindergarten: Zwei Fraunhofer-Institute, drei Max-Planck-Institute, das Brandenburgische Landeshauptarchiv und ein großes Technologie- und Gründerzentrum, daneben noch zahlreiche andere Forschungsstätten und sogar ein zweisprachiger Kindergarten befinden sich allein auf der nordwestlichen Seite des Parks, der inzwischen „Potsdam Science Park“ heißt. Auf südöstlicher Seite kommen die naturwissenschaftlichen Institute der Universität Potsdam hinzu. Und in der einst ebenso verhassten wie gefürchteten Stasi-Hochschule werden heute junge Lehrer für Brandenburg ausgebildet. 9000 Studierende der Uni Potsdam in Golm: 9000 Studierende sind an den zwei in Golm angesiedelten Fakultäten der Universität Potsdam eingeschrieben. 2700 Beschäftigte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, davon 200 Professorinnen und Professoren sowie 450 internationale Gastwissenschaftler lehren, forschen und arbeiten im gesamten „Potsdam Science Park“. Der relativ frühen Existenz der Universität sei es mitunter zu verdanken, dass der damalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Hans F. Zacher, dem jungen Bundesland Brandenburg gleich drei neue Institute der Gesellschaft gönnen wollte, erläutert Enderlein. Andere neue Bundesländer kamen da nämlich nicht so gut weg. „Die drei Institute waren ein Stück weit auch eine Anerkennung dafür, dass wir in Brandenburg die Wissenschaftslandschaft völlig neu aufgebaut haben“, sagt Enderlein. Engagement des ersten Wissenschaftsministers: Tatsächlich hatte der FDP-Mann auch gegen großen Widerstand die Einrichtung von drei völlig neuen Universitäten und von fünf Fachhochschulen, dazu mit der damaligen Filmhochschule Konrad-Wolf die Einrichtung einer staatlichen Kunsthochschule durchgesetzt. Die Pläne waren dann schon im Juni 1991 Gesetz geworden. Schon in den 90er-Jahren war es Konsens, dass eine Universität ohne einen Kranz außeruniversitärer Institute eigentlich nicht bestehen könne. Daher lag die Ansiedlung von naturwissenschaftlichen Forschungseinrichtungen in der Nähe des Golmer Campus nahe. Dass es dann inhaltlich ausgerechnet die jetzt vorhandenen wurden, ist teilweise einfach historischer Zufall. In Berlin-Adlershof gab es schon die Institute für Physikalische Chemie und für Organische Chemie und in Teltow ein Institut für Polymerchemie. Da war es bis zur Gründung des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung im Januar 1992 eigentlich kein großer Schritt mehr. Ebenfalls in Berlin, nämlich an der Freien Universität, lehrte bereits seit 1986 der Pflanzenphysiologe und Molekularbiologe Lothar Willmitzer. Er konnte nach der Wende als erster Direktor des neuen Max-Planck-Instituts für molekulare Pflanzenphysiologie gewonnen werden. Albert Einsteins wissenschaftliche Erben: Dass schließlich das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Golm platziert werden sollte, sah die Gesellschaft als eine Art historische Pflicht an. Albert Einstein hatte in Berlin gelehrt und im nahe gelegenen Caputh seine letzte Ferienwohnung gehabt, bevor er aus Deutschland floh. Als eine Art Wiedergutmachung wurde das auf seiner Forschung zur Allgemeinen Relativitätstheorie beruhende und seinen Namen tragende Institut ebenfalls dort angesiedelt. Mit nicht geringem Erfolg: Die Wissenschaftler um Alessandra Buonanno dort trugen 2015 maßgeblich zum ersten Nachweis von Gravitationswellen bei. Einstein selbst hatte das für unmöglich gehalten. Für das Gesicht des heutigen Wissenschaftsparks bedeutete die Neugründung der Max-Planck-Institute zunächst wenig. Vor allem bedeutete sie, dass Bagger und Kräne über das Gelände rollten. Die Institute selbst kamen ebenfalls in den Häusern der früheren Stasi-Hochschule unter. Erst sieben Jahre später zeichnete sich das heutige Bild ab. Die Max-Planck-Institute zogen 1999 in eigens für sie geschaffene Neubauten. Die Fraunhofer-Gesellschaft wiederum hatte intern erörtert, welche weiteren Institute sie nach der Wende noch brauche und wo diese ihren Sitz haben sollten. Im Jahr 2000 zog das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP) in das eigens für es errichtete Gebäude, sechs Jahre später siedelte sich das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) dort an. „Wie hast du nur 50 Leute in diese Einöde gekriegt?“: Max-Planck-Gründungsdirektor Lothar Willmitzer, der immer noch eine Abteilung des Max-Planck-Instituts für molekulare Pflanzenphysiologie leitet und in dieser Eigenschaft schon zwei Firmen auf dem Campus ausgegründet hat, sagt: „Als mich am Anfang mal ein Kollege aus Frankfurt am Main besuchte, fragte er: Wie hast du nur 50 Leute in diese Einöde gekriegt?“ Willmitzers neues Max-Planck-Institut residierte damals noch in einem Haus der ehemaligen Stasi-Hochschule.“ Die wirkliche Einöde befand sich einige hundert Meter nordwestlich: Ein Wäldchen, ein Acker. Dort sind heute auch die neuen Gebäude des Max-PLanck-Instituts. „Natürlich ist es fantastisch, das zu sehen“, sagt Willmitzer wenn er vor die Tür tritt und sein modernes Haupthaus, die Gewächshäuser und all die anderen Forschungsgebäude sieht. Ihn erinnert die rasante Entwicklung an das israelische Weizman-Institut bei Rechovot, das zunächst auch mutterseelenallein in der Einöde stand und heute Kern einer Wissenschafts- und Wirtschaftslandschaft bildet. Der Potsdam Science Park habe die Chance, in zehn bis 15 Jahren genauso zu werden, wenn sich noch mehr Technologieunternehmen dort ansiedelten, sagt Willmitzer. Mit Unternehmen unter Markt- und Innovationsdruck könne ein äußerst florierende und dynamische Struktur mit internationaler Ausstrahlung entstehen. Erst müsse allerdings noch ein Ärgernis beseitigt werden. Anbindung von Golm ans Bahnnetz unzureichend: „Schon 1994 ist mir vom damaligen Wissenschaftsminister versprochen worden, dass vom Bahnhof Golm aus bald im Viertelstundentakt Regionalzüge nach Berlin-Charlottenburg fahren würden“, sagt Willmitzer. Tatsächlich stehen sich die Wissenschaftler noch heute stundenlang die Beine in den Bauch, bis mal ein Zug nach Berlin eintrifft. Am Wochenende sind sie fast ganz verlassen. Das seien keine Bedingungen, mit denen man kluge Köpfe locken und halten könne. „Das macht viel kaputt“, so Willmitzer. Zumindest im Park selbst tut sich weiterhin viel. Die für das Standortmanagement zuständige Geschäftsführerin Agnes von Matuschka hat schon vor Jahren die Ansiedelung neuer Hochtechnologiefirmen angekündigt. Tatsächlich wurde weiterhin geklotzt. Im Juni wurde das Richtfest für das zweite Technologie- und Gründerzentrum Go:In 2 mit Labor- und Büroflächen vor Ort gefeiert, nebenan entsteht das sogenannt H-Lab mit weiteren Mietflächen für Unternehmen. Weiter auf Expansionskurs: An der Universität Potsdam entsteht aktuell das Institut für Computational Science und Informatik, zudem wächst der Neubau des neuen Earth and Environment Centre in der Mitte des Campus Golm. Geplant sind weiterhin die Ansiedelung eines Wasserstofflabors, eines 3D-Labors, eines Drohnenlabors und die innovative Universitätsschule. Die Landeshauptstadt wiederum hat nicht weniger vor, in dem einstmals verschlafenen Ortsteil Golm „ein neues und urbanes Zentrum“ zu schaffen, um die Attraktivität des Ortes für die Wissenschaftler und Jungunternehmen aus aller Welt zu steigern. Von Rüdiger Braun