Signavio: SAP kauft Start-up der Uni Potsdam für eine Milliarde Euro

Eine Milliarde Euro. Für diese gigantische Summe will der Software-Konzern SAP das Berliner Start-up Signavio kaufen. Das kündigte der IT-Riese aus dem Baden-Württembergischen Walldorf Ende Januar an. Mit dem Kauf durch SAP schreibt Signavio Geschichte, wie Geschäftsführer Gero Decker sagt. Es ist die größte Akquise eines deutschen Softwareunternehmens seit 2013 und das erste cloudbasierte Unternehmen aus Deutschland überhaupt, das in einer solchen Dimension aufgekauft wird. Signavio entwickelt Prozessmanagement-Anwendungen, mit denen sich die betrieblichen Abläufe eines Unternehmens erfassen und optimieren lassen. „Wir helfen unseren Kunden dabei, ihre eigenen Prozesse zu verstehen und neu zu planen“, erklärt CEO Decker. Als einem der ersten Unternehmen in diesem Bereich gelang es Signavio, seine Programme als cloudbasierte Browseranwendung anzubieten. Alles was Firmen, die die Software nutzen wollen, dafür brauchen, ist ein Internetzugang. Open-Source-Projekt als Vorläufer von Signavio: Signavios Erfolgsgeschichte beginnt vor gut zwölf Jahren an der Uni Potsdam, genauer: am Hasso-Plattner-Institut (HPI), der Fakultät für Digital Engineering. Gero Decker, heute 38, ist von Anfang an dabei. 2002 kommt er aus Braunschweig nach Potsdam, um Softwareengineering am damals noch jungen HPI zu studieren. Er ist der erste Studierende des Instituts, der alle drei Studienabschlüsse dort erwirbt: Bachelor, Master und schließlich 2009 die Promotion. Seit 2016, noch während seiner Promotion, arbeitet Decker gemeinsam mit Kollegen an einer Vorläuferversion seines späteren Produkts. Im sogenannten „Oryx-Projekt“ forschen Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter und Professoren des HPI an der Entwicklung von webbasierten Werkzeugen für Prozessmanagement. Die Software soll als Open-Source-Anwendung kostenlos im Netz verfügbar sein. Decker ist damals einer von vier Doktoranden, die das Projekt betreuen. Start-up-Servie fördert Gründungen an der Uni Potsdam: Zweieinhalb Jahre lang pflegt und entwickelt das Team um HPI-Professor Mathias Weske die Plattform weiter. Der Großteil der Oryx-Protagonisten steigt jedoch irgendwann aus, sie sind fertig mit dem Studium und suchen sich Jobs in anderen Städten. Dem Projekt droht das Aus. „Wir haben uns gefragt, was können wir tun, um unsere Arbeit zu retten“, erinnert sich Gero Decker heute. „Das war der Startschuss für Signavio.“ Zusammen mit seinen Doktorandenkollegen Torben Schreiter, Nicolas Peters, Willi Tscheschner und ihrem Professor Mathias Weske beschließt Decker 2009, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Unterstützung bekommen sie damals vom Start-up-Service der Uni Potsdam. Die Jungunternehmer kennen sich zwar mit der Darstellung und Optimierung von Unternehmensprozessen aus, aber wie man selbst eine Firma gründet, weiß keiner von ihnen so recht. „Wir hatten von Tuten und Blasen keine Ahnung“, sagt Gero Decker. Rund 30 Gründungen an Uni Potsdam pro Jahr: Das Gründerzentrum der Uni Potsdam ist auf solche Fälle spezialisiert. Studierende und Mitarbeiter bekommen hier Starthilfe bei der Realisierung ihrer Gründungsideen – noch bis zu sieben Jahre nach ihrem Ausscheiden aus der Universität, wie Johannes Zier, Leiter des Start-up Service erklärt. „Unsere Mitarbeiter prüfen die Konzepte auf Herz und Nieren, helfen bei der Entwicklung eines Businessplans oder vermitteln Fördergelder“, sagt Zier. Die Uni Potsdam hat sich in den vergangenen 30 Jahren zu einer Vorzeigehochschule bei der Gründung junger Unternehmen entwickelt. Zwischen 2011 und 2020 begleitete der Start-up-Service der Uni rund 280 Start-ups bei der Gründung – im Schnitt 30 Gründungen pro Jahr. Im „Gründungsradar“ des Stifterverbandes, der die Start-up-Förderung an deutschen Hochschulen bewertet, belegt Potsdam regelmäßig einen der vorderen Plätze. 2018 rangierte die Uni Potsdam auf Platz fünf, nur knapp hinter dem renommierten Karlsruher Institut für Technologie. Heute hat Signavio über 300 Mitarbeiter in elf Ländern: Die Signavio-Gründer um Gero Decker erhalten dank des Engagements des Start-up Service ein Exist-Gründerstipendium zur Anschubfinanzierung: etwa 90.000 Euro für die ersten zwölf Monate. „Für jemanden, der vorher mit einem Studentenbudget auskommen musste, war das unglaublich viel Geld“, sagt Gero Decker. „Es war sehr beruhigend zu wissen, dass wir ein Jahr lang unsere Miete zahlen konnten.“ Lesen Sie auch: Snailsnap: Studierende des Hasso-Plattner-Instituts gewinnen Deutschen Multimediapreis Heute beschäftigt Signavio mehr als 300 Mitarbeiter in elf Ländern. Das Unternehmen ist mit Niederlassungen in den USA, Singapur, Australien, der Schweiz, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Schweden, Japan und Indien vertreten und ist einer der wichtigsten Anbieter im Bereich des Prozessmanagements. „Ich hätte mir nie träumen lassen, das ich eines Tages CEO einer multinationalen Firma sein werde“, sagt Gero Decker rückblickend. Von den fünf Gründern sind heute nur noch zwei im Unternehmen, Decker als Geschäftsführer und Willi Tscheschner als technischer Leiter. Die milliardenschwere Übernahme durch SAP ist für Decker kein Grund, sich zur Ruhe zu setzen, er hat bereits neue Ziele für sich und Signavio gesetzt: „Wir wollen SAP ein Stück weit neu erfinden.“ Von Feliks Todtmann