Staatsanwaltschaft führt nach Corona-Ausbruch Hausdurchsuchungen im Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam durch

Dreieinhalb Monate nach Beginn der Ermittlungen zum Corona-Ausbruch im Klinikum hat die Staatsanwaltschaft Potsdam am Mittwoch die Geschäftsräume des „Ernst von Bergmann“ durchsucht. Mit Unterstützung der Polizei beschlagnahmte der zuständige Staatsanwalt rund 200 Patientenakten sowie verschiedene Unterlagen – etwaige Beweismittel im Ermittlungsverfahren gegen drei leitende Mediziner und die seit Ende April beurlaubte Geschäftsführung des Klinikums. Gegen sie besteht der Verdacht der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung im Zusammenhang mit dem Ausbruchgeschehen. Klinikum war vorbereitet: Die Durchsuchungen erfolgten wie üblich unangekündigt, ganz unerwartet kam der Einsatz der Staatsanwaltschaft für das Klinikum allerdings nicht. Schon Ende Juni hatte die Geschäftsführung alle Mitarbeiter auf Hausdurchsuchungen vorbereitet und über Aushänge informiert, wie sie sich im Ernstfall zu verhalten haben. Auf MAZ-Anfrage versicherte Klinik-Chef Hans-Ulrich Schmidt nun: „Wir kooperieren vollumfänglich im Sinne der Aufklärung der Sache.“ Alle angeforderten, rund 200 Akten und Unterlagen hätte die Polizei von der Rechtsabteilung erhalten. Zusammenarbeit mit Rechtsmediziner: Die Staatsanwaltschaft wird anhand der Unterlagen nun prüfen, „ob pflichtwidrig nicht alles getan wurde, was hätte getan werden müssen“, erklärt der leitende Oberstaatsanwalt Wilfried Lehmann. Da der Verdacht der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung im Raum stehe, „schauen wir uns auch die Patientenakten der Todes- und Infektionsfälle an.“ Bei der Aus- und Bewertung der medizinischen Unterlagen arbeite die Staatsanwaltschaft eng mit der Rechtsmedizin zusammen. Die Aufarbeitung des Corona-Ausbruchs im Klinikum „Ernst von Bergmann“ beschäftigt derzeit nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch eine vom Aufsichtsrat des Klinikums eingesetzte Kommission. Das Gremium unter der Leitung der Ex-Gesundheitsministerin Anita Tack (Linke) hat am 14. Mai ihre Arbeit aufgenommen. Auftrag der Kommission ist die „Untersuchung der organisatorischen Rahmenbedingungen und die daraus folgende Ableitung für die zukünftige Arbeit der Klinik“. Der Bericht der Experten soll dem Aufsichtsrat nach bisherigem Zeitplan im November vorgelegt werden. Wie lange die Prüfung der Unterlagen dauern wird, ist laut Lehmann schwer vorherzusehen. „Aber es wird wohl Monate in Anspruch nehmen.“ Ob im Anschluss die Beschuldigten zudem vernommen werden, müssten die weiteren Erkenntnisse zeigen. Offen ist zudem, ob die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen weitere Personen – ob nun im Klinikum selbst oder an anderer Stelle – ausgeweitet werden. „Sollte sich in dieser Richtung ein Anfangsverdacht ergeben, werden wir dem nachgehen“, sagt Lehmann. Aktuell gebe es dafür aber keine Anhaltspunkte. Insgesamt sind im Klinikum seit März 47 Menschen an oder mit einer Covid-19-Infektion gestorben, mehr als 350 Patienten und Mitarbeiter waren infiziert. Ein Ausmaß der Krise, das die Beschuldigten – die ehemalige Geschäftsführung und die drei leitenden Ärzte – möglicherweise hätten verhindern können. Der konkrete Verdacht sowie die Grundlage für die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft: „Patienten haben sich während ihrer stationären Behandlung in dem Krankenhaus durch pflichtwidrige Versäumnisse der Beschuldigten mit dem SARS-CoV-2 Virus vermeidbar infiziert und ein Teil von ihnen ist infolge der hervorgerufenen Infektion an Covid-19 verstorben“. Weitere private Anzeigen gegen das Klinikum: Anzeige wegen fahrlässiger Tötung erstattet hatte die Deutsche Stiftung Patientenschutz Mitte April, inzwischen liegen laut Lehmann zudem „einige wenige private Anzeigen“ im Zusammenhang mit dem Corona-Ausbruch gegen das Klinikum vor. Ob darunter Angehörige ehemaliger Covid-19-Patienten aus dem Klinikum sind, konnte Lehmann am Mittwoch nicht sagen. Das Klinikum selbst wollte die laufenden Verfahren nicht weiter kommentieren, betonte allerdings: „Unverändert legt das Klinikum Wert auf die Feststellung, dass für alle fünf Personen weiterhin die Unschuldsvermutung gilt.“ In einem eigenen Aufarbeitungsbericht hatte das Klinikum im Mai allerdings selbst Fehler und Versäumnisse im Umgang mit Corona eingestanden. Lesen Sie mehr: Interview: Oberstaatsanwalt zu Ermittlungen im Klinikum: „Es ist ein besonderer Fall“ Corona-Ermittlungen am Potsdamer Klinikum: Was Sie jetzt wissen müssen Corona-Ermittlungen: Potsdamer Klinikum bereitet sich auf Hausdurchsuchungen vor Kommentar: Die Folgen der Corona-Affäre sind schon jetzt dramatisch Von Anna Sprockhoff