Noch am Dienstag haben die Potsdamer die Gelegenheit, einen tiefen Blick in ihre Geschichte zu tun. Im Zuge der vorbereitenden Arbeiten für den Bau des Musikerhauses an der Ecke Schwertfegerstraße/Friedrich-Ebert-Straße sind Archäologen auf Überreste des mittelalterlichen Stadtgrabens mit einer hölzernen Befestigung aus Balken und Pfählen gestoßen. Kein wirklich überraschender Fund, weil der Verlauf des Grabens bereits grob bekannt gewesen war – auch der Bauherr war bereits darauf vorbereitet gewesen. Dennoch: Wenn man die etwa 20 Quadratmeter große Ausgrabungen sieht, öffnet sich ein winziges Fenster in jene Zeit, als Potsdam nur ein kleiner, unbedeutender Flecken war.
Stadtleben auf 13 Hektar
Das Leben im Kern der Siedlung, die vom Stadtgraben umgürtet war, spielte sich auf gerade mal 13 Hektar ab. Der Bogen spannte sich von der Havel über die heutige Straße am Kanal mit der Stadt- und Landesbibliothek über den jetzigen Staudenhof-Standort bis wieder hinüber zum Fluss. Weiter drüben am Kiez lebten die Einwohner mit slawischen Wurzeln. Ab 1157 waren die deutschen Zuwanderer an die Havel gekommen. „Sie fanden ein Areal mit Ackerland vor, wo heute St. Nikolai und der Landtag stehen – das konnten sie besiedeln“, erklärten Stadtarchäologin Gundula Christl und Grabungsleiterin Nicola Hensel vor Ort.
Im weißsandigen Untergrund sind die alten Holzpfähle des Stadtgrabens gut erhalten, fast schwarzbraun vor Alter, aber schon seinerzeit von guter Qualität. Immerhin – auch dies eine neue Erkenntnis aus dieser Grabung – handelte es sich beim Material für die Grabenbefestigung um Eichenholz.
Holz bringt Licht ins Dunkel
Wann genau die Hölzer ins Erdreich gerammt wurden, kann man nach aktuellem Stand noch nicht sagen. Licht ins Dunkel der Entstehungsgeschichte werden erst dendrologische Untersuchungen im Deutschen Archäologischen Institut bringen. Erste vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass die Grabenbefestigung im frühen 14. Jahrhundert entstand.
Obwohl es nach heutigen Maßstäben Kleinkleckersdorf war, konnte die Mittelalter-Potsdamer doch schon auf eine recht beachtliche Befestigung blicken. Der Stadtgraben war acht bis zehn Meter breit, zwei Meter tief. Wahrscheinlich gab es sogar zwei Gräben – dazwischen ein Wall. Wasser gab es auch im Graben. Allerdings kein plätschernder Strom, sondern Grundwasser. Die Urahnen der heutigen Potsdamer waren offenbar keine Fans von Mülltrennung. Fröhlich warfen sie sogar ganze Gefäße in den Wasserlauf – aus moderner Sicht eine gute Sache, weil man anhand der Keramik auch auf die Zeitepochen schließen kann.
Keramik als Exportware
Apropos Keramik: Im mittelalterlichen Mini-Potsdam war die Keramikproduktion anscheinend ein blühender Wirtschaftszweig. Brennöfen wurden bislang vor dem ehemaligen Fachhochschulgebäude sowie am Standort des Landtags und an der Giebelseite des Filmmuseums gefunden. Das wunderschön mehrfarbig glasierte Steingut war „Exportware“ und wurde auf den Märkten von Berlin und Brandenburg/Havel verkauft, wie Funde belegen. Anders als Berlin, das zu einem immer bedeutenderen Ort aufstieg, blieb Potsdam aber noch Jahrhunderte lang ein ziemlich unscheinbarer Fleck auf der Landkarte. Der Plan, hier einen Marktort zu etablieren, ging anscheinend nicht auf. Da half selbst die schönste Eichenholz-Befestigung nichts.
Für die Stadtarchäologen trägt die rege Bautätigkeit ebenfalls Früchte. Egal. ob im Innenstadtgebiet – an der Ecke Am Kanal/Französische Straße sowie an der Burgstraße – oder im Potsdamer Norden. Dort haben sich die Bauvorhaben am Campus Jungfernsee als wahre Fundgrube erwiesen: Von der Jungsteinzeit über die Bronzezeit bis hin zu germanischen Pfostenhäusern aus dem 1. bis 6. nachchristlichen Jahrhundert spannt sich hier die zeitliche Palette auf dem entdeckten Siedlungsareal. Ein Schmankerl für Urzeitfreunde ist die Entdeckung eines Mammutzahns!
Von ildiko Röd