Unterwegs auf dem ehemaligen Kasernengelände: So munitionsverseucht ist Potsdam-Krampnitz

Man muss aufpassen in der alten Garnison von Krampnitz. Nicht nur, weil die Kasernendächer einzustürzen drohen, sondern auch, weil Meter um Meter nach Munition gesucht wird, um die Baumaßnahmen zu ermöglichen. Und beinahe täglich werden die „Feuerwerker“ fündig, die im Auftrag der Pro Potsdam Kampfmittel aller Art unschädlich machen müssen. Wie munitionsverseucht ist Krampnitz eigentlich? Mit Chef-Feuerwerker Kay Winkelmann ging die MAZ in dieser Woche über das Gelände, auf dem in ein paar Jahren rund 10.000 Menschen leben sollen. Baufeld für Baufeld, Haus um Haus wird abgesucht, je nachdem, wo als nächstes saniert und gebaut wird. Erst am Dienstag fand man im Dachstuhl einer alten Kaserne eine russische Panzerbüchse, wenn auch nur ein Übungsmodell und nicht mehr schussfähig. „Wir stochern nicht in dem Ding herum, um das zu prüfen“, sagt Winkelmann, der eines schnell erkennt: „Abgefeuert wurde die RPG 7 schon mal.“ Die am Dienstag gefundene RPG-7 ist eine Panzerbüchse, die in der Sowjetunion entwickelt wurde. Aufgrund ihrer einfachen und zuverlässigen Bauweise und ihres geringen Preises wurde sie zur verbreitetsten Panzerabwehrwaffe der Welt. Schätzungen aus dem Jahr 2002 gehen von über neun Millionen gebauten Exemplaren aus. Die Abkürzung steht für rutschnoi protiwotankowy granatomjot, russisch ручной противотанковый гранатомёт, zu Deutsch etwa Hand-Granatwerfer zur Panzerabwehr. Das englischsprachige „Rocket-Propelled Grenade“ ist ein Backronym. Der geringe Preis und die Verfügbarkeit der Waffe in großen Mengen machen sie neben der Kalaschnikow zu einem bevorzugten Mittel der asymmetrischen Kriegführung. Obwohl primär zum Einsatz gegen gepanzerte Ziele gedacht, kann die RPG-7 auch als Flugabwehrwaffe gegen Helikopter eingesetzt werden. Der klassische Gefechtskopf der RPG-7-Granate enthält eine Hohlladung. Trifft er auf einen harten Gegenstand, entfaltet sich die Sprengwirkung nach vorn und durchschlägt bis zu 30 Zentimeter Panzerstahl. Schießübungen über die Mauer hinweg: Vom Kasernengelände aus schossen die sowjetischen Soldaten hinüber in die Döberitzer Heide, berichtet er, auf deren Hügeln man dafür bewegbare Ziele aufgebaut hatte. „Zum Schießen musste man die Garnison gar nicht verlassen“, sagt der Ingenieur. Eine Stelle gibt es an einer Außenmauer des weitläufigen Geländes, wo sich über die Jahrzehnte der militärischen Nutzung durch die Sowjetarmee eine Kippe entwickelt hatte, auf der sich Küchenabfälle, Müll und Munitionsschrott angesammelt hatten. Als die Russen 1994 abzogen, bedeckten sie die Deponie eilig, aber nachlässig mit Erde. Doch das fiel bei Landschaftspflegearbeiten im Frühjahr 2018 auf: Schon beim Laufen auf der Fläche kamen Patronen zum Vorschein, etliche davon noch nicht abgefeuert. Patronen wurden nicht abgezählt: Winkelmann kann das erklären: Die leeren Hülsen sind Reste der Schießübungen, die noch vollen stammen vermutlich aus Ladehemmungen. Aufgesammelt hat sie keiner. Anders als bei der NVA, wo jede Patrone abgerechnet werden musste, nahmen es die Russen nicht so genau damit: „Patronen wurden nicht abgezählt, sondern ins Käppi des Soldaten geschüttet.“ So nahm mancher ein paar Patronen auch mit in die Kaserne – absichtlich oder unabsichtlich, sei dahingestellt. „Es war nicht gesundheitsförderlich, in der Unterkunft mit Patronen erwischt zu werden“, spielt Winkelmann die drakonischen Strafen herunter, die dem Ertappten drohten. Dafür konnte ein Soldat erschossen werden. Mancher ließ also Restmunition irgendwo unterm Dach verschwinden oder in den hölzernen Wänden, mit denen die Sowjetmilitärs die einst sehr großen deutschen Kasernenräume in viele kleine unterteilten. Jede solche Wand wird deshalb heute aufgemacht. Die Gebäude werden faktisch zentimeterweise abgesucht; für nicht zugängliche Hohlräume nutzt man ausziehbare Spiegel und Inspektionskameras. Zehn Kubikmeter Munitions-Schrott: Die Kippe unmittelbar vor der Außenmauer hat man bis zum 24. September 2019 beräumt. Etwa zehn Kubikmeter Explosivstoff freien Munitionsschrotts siebte man per Hand und mit Magneten; vier Wochen lang. Meist leere Patronenhülsen fand man, stark verrostet und mit Erde verklumpt. „Keiner hat die Patronen gezählt“, sagt Winkelman: „Das wurde nach Kilogramm erfasst.“ Rund 7,5 Tonnen harmloser Munitions-Schrott wurden später in der Verbrennungsanlage Steinbach in der Oberlausitz vernichtet. Aber auch rund 200 Kilo Kampfmittel hat man gefunden: Handgranatenzünder, Panzerabwehrgeschosse, Panzerabwehrhandgranaten, kleinkalibrige Granaten, Übungsmunition und Übungskampfmittel, sogar eine Panzermine – das muss man sprengen. Sogar Übungsgranaten aus Nachwende-Zeiten tauchten auf: Das Sondereinsatzkommando der Polizei hat zeitweise trainiert in Krampnitz. Erste Absuche schon in den 90er Jahren: Schon zur Mitte der 1990er Jahre hatte es eine erste Suchwelle gegeben, damals noch durch deutsche Experten und sowjetische Militärs. Was dabei gefunden wurde, weiß Winkelmann nicht: „Ich war da noch nicht dabei.“ Der Potsdamer Bombenentschärfer Mike Schwitzke hat mehrfach von „tonnenweise Munition“ gesprochen, von Vergrabungen, von Munition in Sanitärschächten und auf Dachböden. Tellerminen unterm Dach und Handgranaten in den Rohrschächten der Toilettenanlagen – so etwas kennt Winkelmann bisher nur aus einer Prenzlauer Kaserne, nicht aus Krampnitz, wo seit zwei Jahren erneut gesucht wird. Splittergräben und Ein-Mann-Bunker: Luftbilder aus der Kriegszeit zeigen detailliert, wo die deutschen Soldaten bei Angriffen Zuflucht suchten: in Zickzack-Splittergräben mit Holzbedachung und in Ein-Mann-Bunkern. Jede dieser früheren Stellungen wird heute abgesucht, zwölf bisher, viele aber sind nicht durchsucht. Immer wieder findet man dort Munition und Waffen: Gewehre, Handgranaten, Panzerfäuste in bis zu vier Metern Tiefe. „Vereinzelt“, so Winkelmann, „werden im Boden auch sowjetische Kampfmittel wie Handgranaten oder Handwaffenmunition sowie patronierte Rohrwaffenmunition gefunden.“ Was immer den Feuerwerkern bei ihrer Suche in die Hände fällt, wird in einbruchsicheren Kisten gesammelt, die man täglich leert. Zwei tresorähnliche Stahlbehälter stehen dafür am Rande des weitläufigen Kasernenareals, gesichert durch mächtige Spezial-Vorhängeschlösser, im Inneren eine weitere Kiste, für die man gleich zwei Schlüssel braucht, um sie zu öffnen. Dort deponierte man am Dienstag auch die Panzerbüchse. „Offen zugängliche Kampfmittel in Gebäuden oder auf dem Gelände in der Kaserne Krampnitz gibt es nicht mehr“, versichert Winkelmann. Militaria-Sammler, die sich immer wieder mal von der Döberitzer Heide aus Zutritt zu dem Komplex verschaffen, werden nichts anderes mehr finden als Emaille-Becher oder Aluminiumlöffel mit dem typischen Loch im Stiel, für den Faden, mit dem sie an die Uniform geknüpft wurden, damit sie nicht verloren gingen. Oder schimmelige sowjetische Soldatenstiefel – Winkelmann fand einen ganzen feuchten Keller voll davon. Nichts unter Wegen versteckt: Dass die russischen Militärs bei ihrem Abzug vieles nicht mehr wieder in die Heimat überführen wollten, auch Munition, ist den Feuerwerkern hinlänglich bekannt. Dass aber Munition auch unter Gehwegen und Straßen versteckt wurde, schließen sie aus. „Viele Gehwege und Straßen in der ehemaligen Kaserne Krampnitz stammen noch aus der Zeit ihrer Errichtung Anfang der 1940er Jahre und damit aus der Zeit vor der militärischen Nutzung der Kaserne“, begründet Winkelmann: „Diese Flächen sind in der Regel nicht kampfmittelverdächtig.“ „Die wesentliche Gefahr beim Betreten von Gebäuden und Flächen in der ehemaligen Kaserne geht nicht von Kampfmitteln aus“, sagt der Chef-Feuerwerker, „sondern vielmehr von baufälligen Gebäuden und Anlagen.“ Lesen Sie auch: Krampnitz: Abgeschirmte Promenade hinter der Bundesstraße 650 Wohnungen im Krampnitzer Bergviertel: So soll es dort künftig aussehen Krampnitz: Einzug der ersten Bewohner erst 2024 Die Kaserne Krampnitz wurde von 1937 bis 1939 als Kaserne der Heeres-, Reit- und Fahrschule gebaut. Sie grenzt an den Truppenübungsplatz Döberitzer Heide. Architekt war Robert Kisch. Es entstand eine weitläufige Anlage aus unverputzten Ziegeln mit dem 48 Meter hohen Turm an der Nordseite. Vor der Hauptwache an der Bundesstraße 2 liegt ein großer halbrunder Platz, der, wie die gesamte Straßenfront, von einer 80 Zentimeter hohen, mit Sandstein verkleideten Mauer umgeben war, auf der sich ein Zaun aus Eisenstangen befand. Hinter dem Turm, auf dem Kellerberg, befindet sich das denkmalgeschützte Offizierskasino. Es gibt ein lang gezogenes Stabsgebäude mit angeschlossenem Offizierswohnheim und ein Fähnrichsheim, nur zwei von 80 denkmalgeschützten Bauten. Neben den Mannschaftsunterkünften befanden sich auf dem Areal auch Stallungen für die Pferde, Garagen und zahlreiche technische Einrichtungen, die abgerissen werden. Hier wird neu gebaut. Die Kavallerieschule war bis 1937 in Hannover und wurde dann nach Krampnitz verlegt. Sie war seit 1872 für die reiterliche Ausbildung des Heeres zuständig. Die Kaserne wurde bis 1939 fertiggestellt. Damals diente sie noch der Ausbildung der berittenen und motorisierten Truppen, später der Panzertruppen. 1941 erfolgte die Umbenennung in „Schule für schnelle Truppen“, 1943 gab es eine zweite Umbenennung in „Panzertruppenschule II Krampnitz“. In den letzten Monaten des Krieges diente die Panzertruppenschule zur Aufstellung von motorisierten Einheiten für die Kampfeinsätze um Berlin. Die Kaserne war am 26. April 1945 restlos von Soldaten geräumt. Am 27. April wurde Krampnitz durch die Rote Armee besetzt. Von 1945 bis 1994 wurde die Kaserne durch die Sowjetarmee genutzt, die sie auch um Blocks in Plattenbauweise ergänzen ließ. Der Staketen-Zaun wurde zugemauert und blickdicht gemacht. Danach standen die Gebäude leer. Es wurde einige Filme dort gedreht, etwa „Duell – Enemy at the Gates“ von Jean-Jaques Annaud oder „The Monuments Men” mit George Clooney. Von Rainer Schüler

Neuer Stadtteil in Potsdam - So läuft die Suche nach sowjetischer Munition in Potsdam-Krampnitz