Wegen Corona: Inhaber Potsdamer Reisebüros suchen nach individuellen Wegen aus der Corona-Krise

Die Lage ist dramatisch. Für alle Reisebüros in Deutschland. Denn auf das Reisen in einer Pandemie verzichten viele Menschen. Vor allem auf das Reisen ins Ausland, das von Reisebüros organisiert wird. Auch die Potsdamer Büros leiden. Und suchen bereits seit Monaten nach Lösungen. Viele haben aufgegeben. Von einst 54 Reisebüros gibt es aktuell noch 40 in der Landeshauptstadt. Thomas Dippe entgehen 90.000 Euro Provision: Einer von jenen, die ihr Geschäft aufgeben mussten, weil seit März kein Euro mehr reingekommen ist, ist Thomas Dippe. 30 Jahre führte er sein Unternehmen „mal raus“ in der Karl-Liebknecht-Straße in Babelsberg. Hatte zwei Angestellte. 90.000 Euro Provision entgingen ihm seit Ende Februar, seit schon in einige asiatischen Länder keine Reise mehr möglich waren. Dippe ist 59 Jahre alt und hat für sämtliche Kosten, die anfielen, Miete, Strom, Gehälter, zurückzuzahlende Provisionen, seine Altersvorsorge und seine Lebensversicherung aufgebraucht. „Ich war ja schon ziemlich angeschlagen in die Corona-Krise reingegangen, weil ich die Thomas-Cook-Insolvenz begleitet habe. Da haben wir auch ganz viel Geld verloren“, erzählt er gegenüber der MAZ. Die Corona-Hilfen, auf die auch er Anspruch hat, gingen nur in den Unterhalt seines Geschäftes. Die angestellten Mitarbeiter bekamen Kurzarbeitergeld. Aber Dippe selbst, als privater Mensch, hat keinen Cent bekommen. Ein dreiviertel Jahr konnte er den Laden über Wasser halten, mit den Corona-Hilfen, mit seiner Altersvorsorge. Am 12. Oktober war Schluss, endgültig Schluss. Er kündigte den Mietvertrag und verkaufte seine Einrichtung, „die heute auch keine haben will.“ Von Ladenlokal in Büro umziehen, um Miete zu sparen: Thomas Dippe fängt von vorne an. Er will seine Unternehmensberatung reaktivieren, die er einst begonnen hatte. Ab Januar hilft er dann kleinen und mittelständischen Unternehmen dabei, ihre Digitalisierung anzugehen oder voranzutreiben. Eigentlich hatte er sich damit ursprünglich auf Reisebüros spezialisiert. Sein eigenes Reisebüro diente als Testgebiet. Aber sein Konzept lässt sich auch auf Produktionsunternehmen, auf Gaststätten, die Hotellerie anwenden. Um die hohen Kosten, die ein Reisebüro hat, zu reduzieren, gehen einige ins Homeoffice. So sparen sie wenigstens die Miete. Anja Reinsch ist noch nicht soweit gegangen. Aber sie spart nun trotzdem an der Miete. Sie ist umgezogen. 26 Jahre saß sie in ihrem Geschäft in der Brandenburger Straße 18. Ende des Jahres zieht sie in ein Büro direkt gegenüber. „Es ist eine Mischung aus Ladenlokal und Homeoffice“, sagt Anja Reinsch, dessen Reisebüro den Namen Anja Schmidt trägt, ihren Namen vor ihrer Hochzeit. Nichts los im November, dem Hauptbuchungsmonat: Ihre Tür stehe während der Öffnungszeiten immer offen, sagt sie, außerdem biete sie bald Onlineberatung an. „Man versucht sich eben durch diese Krise zu manövrieren, so gut es irgend geht.“ Über fehlende Arbeit habe sie sich bisher wenig beklagen können. „Ich musste viel abwickeln, dass die Kunden ihr Geld von den Veranstaltern wiederbekommen. Das war meine Hauptaufgabe. Im Sommer gab es dann wenige einzelne Buchungen, aber die waren nicht genug, um die Verluste auszugleichen.“ Und dann kamen ab dem frühen Herbst die Nachrichten darüber, dass viele Regionen der Welt erneut zu Risikogebieten erklärt wurden. „Der November ist eigentlich der Hauptbuchungsmonat“, sagt Anja Reinsch, „Dann buchen die Leute ihren Sommerurlaub. Auch weil es jetzt viele Frühbucherangebote gibt. Aber im Moment passiert gar nichts.“ Das sei nicht leicht für sie. „Ich habe schon Existenzängste, weil ich nicht weiß, wie lange diese Krise noch anhält. Das ist ja für keinen absehbar.“ Auch Reinsch zieht daraus Konsequenzen. Auch sie denkt über eine Beschäftigung fernab der Reisevermittlung nach. Mit 50 Jahren. „Ich mache mir Gedanken über ein zweites Standbein und denke in verschiedene Richtungen, da steht aber noch nichts fest.“ Nizze: „Leute wollen auf jeden Fall wiederkommen“: Jutta Nizze (59) möchte ebenfalls noch nicht aufgeben und spart an der Miete. Seit 13 Jahren betreibt sie das Reisebüro „Atlas-Touring“, das es schon 30 Jahre gibt. Nizze hatte es dem Vorbesitzer abgekauft. Seit dem 1. November bietet sie ihre Dienste nicht mehr in dem 75 Quadratmeter großen Laden in der Lindenstraße 64 an, sondern in einem 15 Quadratmeter großen Büro zur Untermiete in der Lindenstraße 1. Zu den Öffnungszeiten können ihre Kunden sie nun anrufen und einen Termin mit ihr vereinbaren. „Das ist psychisch gar nicht aushaltbar. Da neun Stunden im Laden zu sitzen und dann kommen nur wenige Leute“, sagt Nizze im MAZ-Gespräch. Die Leute, die kämen, wollen wissen, ob es sie noch gibt, erzählt Nizze, „oder sagen auch, dass sie auf jeden Fall wiederkommen werden, sobald die Krise vorbei ist.“ Allerdings seien die meisten Menschen nach wie vor sehr vorsichtig, „weil Ihnen dazu ja auch geraten wird.“ Nizze hat ihren Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt und ihm geraten, sich eine andere Branche zu suchen, was er auch getan hat. Seit September arbeitet er woanders. Lesen Sie auch: Potsdamer Reisebüros fürchten lange Buchungspause wegen Corona Corona-Virus: So zerstört die Pandemie die Arbeit der Potsdamer Reisebüros Potsdamer Reisebüros schlagen Alarm: Nur die Hälfte überlebt Corona Jutta Nizze schaut pessimistisch in die Zukunft. Geht von vielen weiteren Reisebüros aus, die dicht machen werden. Und nicht nur die. „Gehen Sie mal durch die Innenstadt. Dort gibt es so viel Leerstand. Der Einzelhandel wird weiter sterben. Es kommen ja keine Menschen. Weil denen gesagt wird, dass sie zu Hause bleiben sollen.“ Von Annika Jensen