Kerstin Beck setzt Lütkenwisch ein literarisches Denkmal

Ein Jahr ist es nun her, seit es im Pritzwalker Museum eine Lesung über das „alltägliche, langweilige, triviale, eintönige, einförmige, belanglose, unbedeutende und doch so farbenfroh-brillante, eindrucksvolle, fast normale und unvergessene Leben“ in einem Sperrzonendorf gab. Aber was den nahezu 80 Gästen dort geboten wurde, war mehr als eindrucksvoll. „Ich hätte noch bis Mitternacht zuhören können, so spannend und bewegend war das alles“, erzählte später eine Besucherin aus Putlitz. Ein Grenzdorf, dem Abriss geweiht – bis 1989: Und wie so oft vorher, nachdem sie über ihr Heimatdorf referiert hatte, wurde die Vortragende – die Lütkenwischerin Kerstin Beck – von den Zuhörern regelrecht bekniet, wie sie selbst bekundet: „Machen Sie bitte ein Buch draus! Das, was Sie hier erzählt haben, darf nicht untergehen!“ Da aber war das Manuskript dazu längst fertig, und vor wenigen Wochen ist sie endlich erschienen: die Lektüre über das noch 1992 dem Abriss geweihte Grenzdorf. „Aber 1989 ist ja etwas dazwischengekommen“, betont die 65-Jährige immer wieder gern. „Eigentlich sollte man das mal dokumentieren, was hier alles so passiert“, hatte ihr Vater einmal vor 50 Jahren gesagt. „Und da nahm ich einfach unseren alten Fotoapparat und machte Aufnahmen von den Häusern“, erinnert sich die Autorin. Dass das genau die Gebäude waren, die in den nächsten Jahren abgerissen wurden, ist wohl ein besonderer Zufall. Alte Dokumente, Briefe und Fotos gesammelt: Dokumentieren hat für die spätere ausgebildete Vorgeschichtlerin und Museologin sowieso eine besondere Bedeutung. „Was hier im Haus an alten Dokumenten vorhanden war, habe ich gesammelt und geordnet. Und Verwandte um alte Briefe und Fotos gebeten und der Sammlung zugefügt – da kam ganz schön was zusammen.“ Wie etwa die über 300 Briefe und Karten, die ihre Tante, die 1952 aus Lütkenwisch ausgewiesen worden war, noch besaß. „Die hat sie mir alle geschickt – und da ging es um das alltägliche Leben, denn man konnte sich ja nur mit Briefen verständigen. Ein Telefon hatten wir nicht.“ Im „bösen Westen“ wurde das Brandenburg-Lied gespielt: Herausgekommen sind dadurch 186 reich bebilderte Seiten, auf denen ein Kind seine – oft recht naiven – Gedanken schildert. Wo es um den Konsum geht, den im Winter nur mit Gummistiefeln zu bewältigenden Weg durchs Dorf, um die Eierannahmestelle, deren Inhaber seine Hühner mit im Haus wohnen ließ und um den Pumpenaufsichtsratsvorsitzenden Hernach, der natürlich keiner war und auch ganz anders hieß. Umfangreich wird auch das Thema „Westen“ geschildert – angefangen vom heimlich zu sehenden Westfernsehen über Westpakete bis hin zur Brandenburg-Hymne, die ausgerechnet nur vom „bösen Westen“ aus – und zwar, wenn in Schnackenburg Schützenfest stattfand – zu hören war. Dazwischen gibt es immer Zeitensprünge. Nicht etwa, weil die Verfasserin etwas durcheinanderbringt, sondern aus einem einfachen Kalkül heraus: „Das geht einem beim Lesen besonders nah!“, sagt Kerstin Beck. Leser sagen persönlich Dankeschön: Die Reaktionen sind entsprechend: Es kommen Anrufe von Lesern, die sich über dieses sehr persönlich geschriebene Buch bedanken. „Das ist etwas ganz Tolles, damit ist Lütkenwisch ein besonderes Denkmal gesetzt worden“, freute sich eine ältere Dame aus dem Ort. Inzwischen ist auch der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) auf das Werk aufmerksam geworden. Der in der Sendung Zibb am 23. Februar veröffentlichte Beitrag über den heute so idyllischen Ort ist noch bis Februar 2022 unter dem Link https://www.rbb-online.de/zibb/archiv/archiv.html zu sehen. Und von RBB-Redakteur Frank Overhof war inzwischen zu erfahren: „Wir müssen noch einmal herkommen – es hat so viele begeisterte Reaktionen gegeben.“ Die Daten zum Buch: Kerstin Beck: „Es war einmal ... in Lütkenwisch“, erschienen im Gabriele Schäfer Verlag Herne, ISBN 978-3-944487-81-6, Preis: 29,80 Euro. Lesen Sie auch Vortrag über das Sperrzonendorf Lütkenwisch in der Pritzwalker Museumsfabrik Blasmusiker vereinigten sich, Menschen tanzten Polka Radtour an der alten Elbgrenze Von Bernd Atzenroth