Dahme: Allgemeinmedizinerin Ingrid Gesper geht mit 82 Jahren in Rente

Auf gepackten Kisten sitzt seit wenigen Tagen die 82-Jährige Ingrid Gesper. 17 Jahre über das Rentenalter hinaus hat die in Ostpreußen geborene, jetzt in der Nähe von Zossen lebende Allgemeinmedizinerin gearbeitet. Auch wenn es ihr schwer falle, will sie sich nun all dem Privaten zuwenden, wofür in den letzten Jahren zu wenig Zeit blieb. Grundstein in der Kindheit gelegt: An ihre erste Berührung mit dem, was später ihre Berufung werden sollte, kann sich Gesper noch genau erinnern. „Als ich sechs oder sieben war, haben wir mit der Klasse Verwundete im Kriegslazarett in Rastenburg besucht, wo ich zur Schule ging, damit sie dort nicht so alleine sind“, blickt sie zurück. Später, als sie mit ihren beiden Schwestern und den Eltern bereits im thüringischen Blankenhain lebte, besuchte sie oft ihren Vater, als der ein Jahr im Krankenhaus lag. Der Alltag dort wurde ihr früh vertraut. Als die Berufswahl anstand, entschied sich die Abiturientin für eine Ausbildung als Schwesternhelferin. Verwundeten Heimkehrern und ehemaligen KZ-Häftlingen stand sie am Krankenbett und im OP zur Seite, bevor sie sich 1959 zum Medizinstudium bewarb. Die anstehenden Praktika führten die angehende Ärztin durch die halbe DDR, die Innere Klinik des Querfurther Krankenhauses war nach der Approbation ihre erste Station. Der erste Hilferuf kam nach drei Wochen: 1972 legte Ingrid Gesper im Zossener Krankenhaus ihre Facharzt-Prüfung als Allgemeinmedizinerin ab und übernahm kurz darauf das angegliederte Ambulatorium, dem sie, über die Wende hinweg bis 2003 die Treue hielt – in den letzten elf Jahren als Selbstständige. „Da war ich 66 und wollte aufhören, aber drei Wochen später kam ein Hilferuf, als Vertretung einzuspringen“ blickt sie auf ihren missglückten Rentenstart zurück. Und dieser Ruf blieb nicht der einzige. „Mir hat’s nichts ausgemacht, denn zu Hause war ja nichts los“ sagt Gesper schmunzelnd. Als die Dahmer Seniorenresidenz einen Hausarzt brauchte, sagt sie zu, verlegte aber schon bald ihre Praxis in die Stadt, in der die Zahl der Allgemeinmediziner von vier auf zwei geschrumpft war. Kein Nachfolger ließ sich finden: Dass ihr Weggang die Situation nicht leichter macht und ihre etwa 600 Patienten so schnell keinen Arzt mit freien Kapazitäten finden werden, weiß Gesper. Aber dass sie mit 82 ans Aufhören denkt, nimmt ihr wohl niemand übel. „Ich habe viele Gespräche mit Bewerbern und medizinischen Versorgungszentren geführt, aber am Ende wollte niemand die Praxis übernehmen. Dahme ist allen zu klein und zu weit weg von der Großstadt und viele Jüngere wissen nicht, dass es sich hier gar nicht so schlecht lebt, wie sie glauben.“ Auch für die Praxisausstattung gibt es bisher wenig Interesse, so dass nun alles in Kisten verpackt und daheim in die Abstellkammer kommt. Ihr Klavierspiel und die welken Blumentöpfe daheim wieder auffrischen, das sind die ersten Dinge, die sie sich für den Ruhestand vorgenommen hat. Von Uwe Klemens

Dahme - Ärztin geht mit 82 Jahren in den Ruhestand