Wilhelm Kempff, der berühmteste Sohn Jüterbogs

Es sei ihm immer schier unbegreiflich erschienen, dass, obwohl er nur die ersten vier Jahre seines Lebens in Jüterbog verbracht hatte, aus jener Zeit „eine Fülle von Ereignissen in mein Gedächtnis eingegraben haben“, schrieb der als Jahrhundert-Pianist gefeierte Wilhelm Kempff einst in seinen Jugenderinnerungen. Vor 125 Jahren, am 25. November 1895, wurde Wilhelm Kempff in Jüterbog geboren. Manches erinnert in der Stadt an ihn; jener ob seiner ländlichen Anmutung idyllische Fußweg, der Bahnhof und Stadtzentrum verbindet, ist nach ihm benannt. Das Trauzimmer im ehemaligen Mönchenkloster heißt Kempff-Saal. In Jüterbog war eigentlich dieser Tage auch eine Gedenkveranstaltung geplant. Der Weg zum Plumpsklo: Außen an der Backsteinfassade des Mönchenklosters hängt eine Gedenktafel. Knapp informiert sie darüber, dass Wilhelm Kempff tatsächlich direkt in diesem Gebäude geboren worden ist, denn sein Vater hatte als Organist der Stadt dort seine Wohnung. Über „die blaugetönten Sternengewölbe des Schlafzimmers“ schrieb Wilhelm Kempff ebenso wie über den beschwerlichen Weg zum außerhalb gelegenen Plumpsklo. Dass seine Erinnerungen oft nur Bruchstücke, kleine Momente sind, liegt daran, dass die Familie nach Potsdam zog, als der Knabe erst vier Jahre alt war. Doch einiges blieb so eindrücklich haften, dass er auch Jahrzehnte später noch daran dachte. Die erste Begegnung mit Beethoven etwa. Nicht, was er hörte, beeindruckte ihn zunächst, sondern das, was er sah – die Noten. „Was bedeuten diese Köpfe, diese langen Hälse, und was die kleinen Hunde?“, habe er seinen Vater gefragt, während er mit einem Hampelmann spielte, den der Vater einem damit Schabernack treibenden Mönchenschüler abgenommen hatte. Kempff erinnerte sich auch daran, dass er eine fürchterliche Rachitis hatte; er führte das auf die dicken, feuchten Mauern seines Jüterboger Zuhauses zurück. Blumig erinnerte er das Glockengeläut an Heiligabend, der Vater an der Orgel, der kleine Garten der Familie direkt an der Klosterkirche, die Klänge dieses – wie er es sagte – „kleinen, kirchenmusikalisch aber traditionsgesegneten Jüterbogs“. Das beschauliche Städtchen vermisst: In Potsdam dann vermisste er das beschauliche Städtchen zunächst sehr. Als die Mutter einmal beim Einkaufen war, habe er sich einfach an das Klavier seines Vaters gesetzt und ausprobiert, was er bei diesem so beobachtet habe. Die heimkehrende Mutter hörte das beglückt. Mit fünfeinhalb Jahren dann folgte die erste Komposition Wilhelm Kempffs, der eine unvergleichliche Karriere als Pianist, aber auch Organist und Komponist machen sollte. Wilhelm Kempff starb am 23. Mai 1991 im italienischen Positano. Kürzlich ist bei der Deutschen Grammophon eine Wilhelm-Kempff-Edition erschienen – 80 CDs, 92 Stunden Hörgenuss. Nur antiquarisch dagegen sind seine Kindheits- und Jugenderinnerungen „Unter dem Zimbelstern“ aufzutreiben. Der Titel des Buches entspricht übrigens der Überschrift des Jüterbog-Kapitels. Geschildert wird eine Begebenheit zu Heiligabend, als die ganze Familie beim Vater auf der Orgelempore in der Nikolaikirche war: „Ganz oben, über den höchsten Pfeifen ertönte ein silbriges Geläute, tönenden Tropfen eines Springbrunnens gleich.“ Der kleine Wilhelm durfte selbst den solcherart vernommenen Zimbelstern wieder zur Ruhe bringen. Von Karen Grunow