Künstler Nick Crowe aus England ist in Wiepersdorf zu Hause.

Wiepersdorf hat seit wenigen Wochen einen neuen Ortsteil-Arbeiter. Wenn Nick Crowe mit dem gelben Rasentraktor rings um den Dorfteich den Rasen in Form bringt, ahnt wohl niemand, dass dort ein Künstler am Werk ist. Am Ende des Dorfes, dort, wo der Vorgarten nicht mehr ganz so akkurat gemäht ist, ist er zu Hause. „Furchtbar“, sagt Crowe und meint damit nicht den Rasen, den er vor allem als Paradies für die Insekten sieht, sondern seine Deutschkenntnisse, die in Wirklichkeit aber recht passabel sind. 2006 kam der gebürtige Engländer zusammen mit seiner Frau Anja und den damals zwei, sieben und neun Jahre alten Kindern nach Deutschland. Seit 2015 ist er in Wiepersdorf zu Hause. Gute Gelegenheit zur Begegnung: „Der Job als Ortsteil-Arbeiter ist für mich eine gute Gelegenheit, um endlich mal die Leute im Dorf kennen zu lernen und beim Plaudern mit ihnen auch mein Deutsch zu verbessern“, sagt der 52-Jährige, der eigentlich als Bildhauer, Objekt- und Videokünstler sein Geld verdient. Die ehemalige Bergarbeiter-Kleinstadt Barnsley in der Nähe von Sheffield ist Crowes ursprüngliche Heimat. „Mit 18 wollte ich in die Welt, weg von zu Hause, hatte aber noch gar keine Ahnung, wo die Reise hingehen soll, und entschied mich für ein Englisch- und Theater-Studium“, blickt der Wahl-Wiepersdorfer auf seine beruflichen Anfänge zurück. Vor allem die Sprache des modernen Theaters entdeckte Crowe für sich. Der deutsche Dramatiker Heiner Müller wurde sein Lieblingsautor. Schon während des Studiums stand er sowohl auf der Bühne, als auch als Regisseur hinter der Bühne. Stück für Stück in die Improvisation gerutscht: „Stück für Stück bin ich immer mehr ins Improvisations-Theater gerutscht“, sagt Crowe, der zusammen mit Freunden in Manchester eine Theatergruppe gründete und zunehmend entdeckte, wie wichtig neben der Sprache vor allem die visuellen Möglichkeiten der Bühne sind. Bald schon waren seine Skulpturen und Video-Installationen auch in Galerien und Museen gefragt. „Einer der ’roten Fäden’ in meiner Arbeit und in den gemeinsamen Projekten mit befreundeten Künstlern ist bis heute immer wieder, wie sich Machtverhältnisse in der Gesellschaft widerspiegeln“, beschreibt der Künstler sein wichtiges Anliegen. Trotz des großen Anspruchs wirken viele seiner Objekte verspielt, wie sich auch an seinen jüngsten, aus einem Gemisch aus Stroh und gehäckseltem Papier bestehenden Arbeiten zeigt, deren Technik Crowe erst in Wiepersdorf für sich entwickelte. Deutschland als Kompromiss: „Gründe für unseren Fortgang aus England gab es viele, aber der wichtigste war, dass die Politik im Land immer weiter nach rechts und die Werte der Gesellschaft immer mehr in Richtung Konsum rutschten und wir unseren Kindern zeigen wollten, dass es in anderen Teilen der Welt auch anders sein kann“, beschreibt Crowe, warum die fünfköpfige Familie 2006 die Koffer packte und nach Berlin zog, wo es bereits Freunde gab. „Deutschland war dabei der Kompromiss zwischen Istanbul, wo ich hingehen wollte, und Frankreich, wo Anja am liebsten sein wollte“, sagt Nick Crowe. Ein vierjähriges Künstler-Stipendium nahm der Familie in der Startphase die Existenzangst. „Aber eigentlich bin ich es mein ganzes Leben nicht anders gewöhnt, als immer die Möglichkeiten zum Geldverdienen zu nutzen, die sich gerade ergeben“, sagt Crowe, dessen zweites Standbein bis vor wenigen Tagen eine Professur an der Londoner Kunsthochschule „Goldsmiths“ blieb, die er nun aufgeben hat. „Auch wenn es nur für zwei Tage in der Woche war, wurden es mit Hin- und Rückreise immer vier, so dass wenig Zeit für die eigene, künstlerische Arbeit blieb“, beschreibt er seinen Entschluss. Das Dorf gefiel allen auf Anhieb: Bei Ausflügen ins Berliner Umland entdeckte das Ehepaar per Zufall den Ort und das Haus, in das sie 2015 zogen. „Dass Wiepersdorf eine Künstlerresidenz besitzt, habe ich erst erfahren, als wir bereits hier lebten“, erzählt Crowe. „Das Dorf hat uns sofort gefallen und das Haus lag so ideal am Waldrand, dass wir dafür sogar unseren Plan aufgaben, nur ein Haus zu kaufen, an dem nicht so viel gemacht werden muss“, sagt Crowe. Seit im vergangenen Jahr seine Frau starb, lebt der Künstler mit seinem 16-jährigen Sohn allein im Haus. „Wenn Django im April nach Berlin zieht, bin ich ganz alleine“, blickt er voraus. Wenn die Ferien vorüber sind, will er sich umgucken, ob er nicht als Quereinsteiger an einer der umliegenden Schulen Kunstunterricht geben kann. Von Uwe Klemens