„Hätte ich das gewusst, hätte ich meine Rennfahrersonnenbrille mitgebracht“, witzelt Antonia Röstel (14 Jahre) ihrer Freundin Sophia Sartori (10 Jahre) vom Beifahrersitz aus zu. Das weiße Mercedes-Cabriolet, in dem sie Probe sitzen dürfen, hat es den Mädchen angetan.
514 Unternehmen beteiligten sich am Zukunftstag
Natürlich wissen die Schülerinnen, dass es beim 14. Zukunftstag nicht ums Aussehen geht. Antonia hat im Vorfeld des Berufsorientierungstags im Internet recherchiert und sich für den Besuch im Ausbildungszentrum des Mercedes-Werks in Ludwigsfelde entschieden: „Im letzten Jahr war ich in einer Kita, jetzt wollte ich mal was mit Technik ausprobieren“, erzählt sie während des Rundgangs durch die Werkstatt.
Über Nachwuchsmangel kann sich Mercedes nicht beklagen
Obwohl Mercedes bei der Nachwuchsrekrutierung gut dasteht – 2015 kamen auf 36 Ausbildungsplätze 400 Bewerbungen, beteiligte sich der Automobilhersteller als eines von 514 Unternehmen am brandenburgweiten Zukunftstag. 36 Mädchen und Jungen im Alter von zehn bis 17 Jahren sind am Donnerstag aus Zossen, Ludwigsfelde, Potsdam und Berlin in den Industriepark gekommen, um sich über Ausbildungsmöglichkeiten bei Mercedes zu informieren.
Aktuell lernen dort mehr als 130 Auszubildende. Nur 19 von ihnen sind weiblich. Um künftig noch mehr Frauen für technische Berufe zu begeistern, „veranstalten wir solche Tage wie heute“, erklärt der stellvertretende Ausbildungsleiter Uwe Zimmer, bevor es in die Werkstätten geht. Denn was sich tatsächlich hinter den Ausbildungsberufen zum Industriemechaniker, Fahrzeuglackierer oder Kfz-Mechatroniker verbirgt, lernt man nicht durch das Zuhören. Das muss man sehen.
Zukunftstag Brandenburg: Die Idee dahinter
Die ursprüngliche Idee des Zukunftstages wurde aus den USA übernommen. Seit 2001 wird der „Girls’ Day“ auch in Deutschland veranstaltet.
An diesem Tag sollen Mädchen die Gelegenheit ergreifen, typische „Männerberufe“ kennenzulernen. Seit 2003 gibt es auch einen „Boys’Day“, an dem Jungen die Gelegenheit haben, einen typischen „Frauenberuf“ kennenzulernen.
Das Land Brandenburg geht mit seinem Zukunftstag einen Schritt weiter. Hier dient der Tag der Berufs- und Studienorientierung. Jugendliche können mit Blick auf ihre Stärken und Interessen ihr Berufswahlspektrum erweitern und dabei auch Berufe in den Blick nehmen, die eher „geschlechtsuntypisch“ sind.
Das Mercedes-Werk beteiligt sich seit mehreren Jahren am Zukunftstag. In Ludwigsfelde werden ausschließlich Transportfahrzeuge hergestellt. Seit 2006 wird dort der Sprinter produziert. Insgesamt beschäftigt die Mercedes-Benz GmbH in Ludwigsfelde 2000 Mitarbeiter. 1585 Lehrlinge wurden dort seit 1991 ausgebildet.
Um den jungen Besuchern einen Vorgeschmack auf die Arbeit bei Mercedes zu vermitteln, haben sich die Auszubildenden für den Zukunftstag einiges einfallen lassen. Die Jungen und Mädchen dürfen sich nicht nur beim Reifenwechsel ausprobieren. Wer will, kann sich vom angehenden Kfz-Mechatroniker Alexander Böhmer sogar übers Ausbildungsgelände kutschieren lassen – und das nicht etwa im Sprinter, der traditionell am Standort hergestellt wird, sondern im Luxuscoupé der S-Klasse.
Von den Industriemechanikern lernen die Schüler, dass in Ludwigsfelde längst nicht mehr alles per Hand produziert wird. Viele mechanische Aufgaben verrichten heutzutage Roboter. Antonia und Sophia staunen nicht schlecht, als Domenique Sakowski, Azubi im zweiten Lehrjahr, per Knopfdruck den riesigen roten Roboter in Gang setzt. In flottem Tempo zeichnet die Maschine, an die die Lehrlinge vorn einen Filzstift montiert haben, ein drei mal drei Kästchen großes Spielfeld auf einen Bogen Papier.
Eine Eins in Mathe wäre schön, ist aber kein Muss
Jetzt heißt es Mensch gegen Maschine. Nach einer Runde „Drei gewinnt“ ist Sophia begeistert, wie clever der Roboter ist. Ob die Zehnjährige wie ihr Vater später einmal bei Mercedes arbeiten will, weiß sie noch nicht. „Aber Technik interessiert mich schon“, sagt sie. Eine wichtige Voraussetzung bringt die Berliner Schülerin jedenfalls schon mal mit: Neben Deutsch und Englisch zählt Mathematik zu ihren Lieblingsfächern.
Dass eine Eins in Mathe für eine erfolgreiche Bewerbung bei Mercedes hilfreich, aber kein Muss ist, beweist indes Luiza Janson. Die 20-Jährige aus Luckenwalde ist Verfahrensmechanikerin für Beschichtungstechnik, kurz Fahrzeuglackiererin, im ersten Ausbildungsjahr. „Ich kann das nur jedem empfehlen, die Arbeit macht Spaß und man verdient gut“, sagt sie. Bevor sie in Ludwigsfelde anfing, arbeitete sie in einer Fabrik bei Jüterbog als Maschinen- und Anlagenführerin. „Ich wollte immer eine Ausbildung bei Mercedes machen“, erzählt Janson. Dass ihre Kollegen größtenteils männlich sind, stört sie nicht: „Hier gibt es wenigstens keinen Zickenkrieg, ich fühle mich sehr wohl.“ Jansons Perspektiven sind gut: 2015 hat der Konzern alle Lehrlinge übernommen.
Für den Nachwuchs endet der Zukunftstag mit einem Quiz. Welcher Fahrzeugtyp in Ludwigsfelde hergestellt wird und wie viele Mitarbeiter der Standort hat – Sophia hat am Vormittag gut aufgepasst und neun von zehn Fragen richtig beantwortet. Ein gutes Vorzeichen? Vielleicht wird sie später ja doch mal Ingenieurin oder Industriemechanikerin.
Von Josefine Sack