Luckenwalde: Filmdreh in leer stehendem Plattenbau

Vor zwei Jahren wurde begonnen, das Luckenwalder Plattenbaugebiet Burg leer zu ziehen. Für 30 Millionen Euro sollen die Wohnblocks der städtischen Wohnungsgesellschaft „Die Luckenwalder“ aus den 80er Jahren zu einem komfortablen Wohnquartier umgebaut werden. „Der letzte Mieter ist im Dezember 2019 ausgezogen“, berichtet Andreas Schröder, Marketing-Chef der „Luckenwalder“. Seitdem fristen die Blocks ihr Dasein und warten auf den Umbau. Doch kürzlich ist für ein paar Tage völlig überraschend wieder Leben eingezogen in eine Wohnung am Burgwall. Wände wurden gemalert, DDR-Möbel hinein geschleppt. Doch nicht zum Wohnen. Film- und Regie-Studentin Mariella Santibánez von der Hochschule für Fernsehen und Film in München hat in der angestaubten Wohnung mit DDR-Charme einen Kurzfilm gedreht. Die 30-Jährige erzählt darin vom Leben eines chilenischen Flüchtlings in der damaligen DDR. „Es waren die einzigen Flüchtlinge in der DDR“, sagt Mariella Santibánez. Die meisten kamen 1973 in den sozialistischen Teil Deutschlands, als in Chile der damalige Präsident Salvador Allende bei einem Militärputsch von General Pinochet gestürzt wurde. „Unter der folgenden Pinochet-Diktatur wurden Allendes Anhänger gnadenlos verfolgt“, erzählt die Regisseurin, „in der DDR erhielten viele von ihnen Asyl.“ Fiktive Handlung mit autobiografischen Züge: Ihre Filmgeschichte ist zwar fiktiv, aber dass die blutjunge Regisseurin so gut über die Ereignisse der 70-er Jahre Bescheid weiß, ist kein Zufall. Mariella Santibánez hat zur Hälfte chilenische Wurzeln. Ihr Vater ist einer jener Chilenen, die damals in die DDR flüchteten. Gefunden! Hier geht es zum Gewinnspiel - ein HIKANOE-Packraft (the boat to go) für zwei Tage. „Er kam 1974“, berichtet die gebürtige Ostberlinerin. Später lernte er ihre Mutter kennen, eine Deutsche. Beide waren als medizinische Wissenschaftler in Berlin tätig. Und so trägt die Geschichte um das Schicksal des jungen Chilenen in der DDR auch autobiografische Züge der Familie. Als Berlinerin hatte sich die Filmstudentin in der Region auf die Suche nach geeigneten Kulissen gemacht und war auf das Luckenwalder Plattenbaugebiet gestoßen. Der Leerstand ermöglichte ein flexibles Agieren. „Wir wurden angefragt und fanden die Idee gut“, berichtet Andreas Schröder. „Die Wohnungen stehen eh leer und wenn wir helfen können – gern.“ Dass er mit der Regisseurin aber tatsächlich alle 209 leer stehenden Wohnungen der sogenannten WBS-70-Blocks (Wohnungsbauserie der DDR) besichtigen würde, um die geeignete auszuwählen, hatte er nicht vermutet. Dann wurde eine ehemalige Drei-Zimmer-Wohnung auserkoren. „Für die Dreharbeiten musste man vieles beachten“, erzählt Mariella Santibánez und schmunzelt. Die Wohnung musste ausreichend groß sein, um die Technik unterzubringen. „Dann sollte sie nicht zu weit oben liegen wegen der Kabel, die wir von unten legen mussten“, so die Regisseurin. Und ganz wichtig: „Die Aussicht muss an DDR-Zeiten erinnern.“ Die ausgewählte Wohnung zeigt zum Innenhof auf andere Plattenbauten. Die Aussicht zur anderen Seite mit großem Kaufland-Supermarkt und jeder Menge West-Autos auf dem Parkplatz wäre kaum glaubwürdig gewesen. „Wichtig waren auch die original schwarzen DDR-Lichtschalter“, erzählt Andreas Schröder, „und wir haben extra noch mal eine neue Türklinke eingebaut.“ Die Wohnung war noch relativ gut erhalten, musste aber trotzdem noch provisorisch gemalert werden. „Weiße Wände machen sich für den Film nicht gut“, sagt Santibánez. Eine DDR-Schrankwand wurde rangeschleppt, leere Weinflaschen mit russischen Etiketten beklebt. Corona-Sicherheitsregeln mit Mundschutz, Tests und Abstand machten den Filmdreh anstrengend. Bezug zur heutigen Flüchtlingssituation: Mit ihrem Werk will die Filmemacherin auch einen Bogen schlagen zur Situation von Flüchtlingen in der Gegenwart. „Es geht um die Frage, was passiert, wenn sich die politische Situation in der Heimat geändert hat und der Fluchtgrund eigentlich nicht mehr vorhanden ist. Wollen die Migranten dann zurück in ihre Heimat, um sie dort wieder aufzubauen?“. Nach dem Ende der Pinochet-Diktatur Ende der 80-er Jahre ist Santibánez’ Vater nicht nach Chile zurückgekehrt, er lebt heute in England. Ihre Hauptrollen im Film hat die Regisseurin mit Eugénie Anselin und Nils Rovira-Munoz besetzt. Nils, der den jungen Chilenen spielt, hat ebenfalls lateinamerikanische Wurzeln. Wird es ein Film mit Happy End? „Nicht wirklich. Er ist ein bisschen traurig, aber durchaus auch mit lustigen Komponenten.“ Mehr will Mariella Santibánez nicht verraten, denn sie hofft, dass recht viele Menschen den Film sehen können. „Ich hoffe, er wird auf einem Filmfestival gezeigt, wenn das dann irgendwann nach Corona wieder möglich ist“, wünscht sich die 30-Jährige. Von Elinor Wenke