Album "Goats Head Soup" der Rolling Stones um drei Songs ergänzt

Was das für eine Zeit gewesen ist, sieht man bereits am Cover dieses Albums, das 1973 in die Zeit des Drogennebels fiel, aus dem die Rolling Stones nur noch vereinzelt Lebenszeichen gaben. Mick Jagger hat sich einen Nylonstrumpf über den Kopf gezogen auf der Hülle dieser elften Langspielplatte, und damit auch den letzten Rest von klarem Umriss ausradiert. Er sah die Welt nur noch als Schattenriss – ausgerechnet Jagger, der sich mit den feinen Kreisen angefreundet hatte und das süße Leben predigte. Er grinste übermotiviert, als zöge Lachgas durch den Strumpf. Jeder Affekt der Stones, jeder Takt und alle Melodien ihrer Lieder waren das komplexe Resultat aus Sex und Drugs. Sie haben daraus Rock’n’Roll geformt. Das klang immer ungesunder, doch zugegeben: auch immer toller! Wenn sie ihr Album „Goats Head Soup“ nannten, was man mit „Ziegenkopfsuppe“ übersetzen muss, überlegt man unwillkürlich, ob auch diese Form von Lebensmittel einen Rausch bewirkt. Nein, das ist Kinderkram zu dem, was sonst in dieser Band kursierte. Keith Richards hatte die Kontrolle über seinen Heroin-Konsum verloren, Brian Jones trieb vier Jahre vorher tot im Pool, vollgepumpt mit Pulver, das man nicht mal auf Rezept bekommt. Und Marianne Faithfull, die Muse der Band, Geliebte und Therapeutin, hatte sich so viel Gift gespritzt, dass 1973 alle Abgesänge fertig waren, es schien hohe Zeit für einen Nachruf. Doch sie lebt noch immer. Das Album „Goats Head Soup“ (Foto: Label) der Rolling Stones erschien am 31. August 1973. Es erreichte in den USA und Großbritannien Platz 1 der Charts. Gerade ist eine Fassung mit überarbeiteter Klangqualität und Bonusmaterial erschienen, darunter sind drei bislang unveröffentlichte Songs. Aufgenommen wurde das Album in Kingston/Jamaica. Die Rolling Stones spielten seinerzeit in der Besetzung: Mick Jagger, Keith Richards, Charlie Watts, Mick Taylor und Bill Wyman. Das Album legt los, was keinen überraschen kann, mit „Dancing with Mr. D.“, das D. steht hier für Death. „Tanzen mit Herrn Tod“. Wenn Mick Jagger das singt, ist es Koketterie. Dem Drogentod hat Jagger nie ins Auge geschaut, das überließ er anderen. Das Album „Goats Head Soup“ nimmt man heute nicht nur wegen seines unverdaulichen Namens und des verunglückten Covers kaum noch in die Hände. Als es erschien, tat man es als richtungslos und uninspiriert ab. Nun ist es noch einmal erschienen, mit gesäuberten Tonspuren und drei Songs, die damals aussortiert wurden. Wenn man diese neu veröffentlichten Lieder hört, ahnt man, welche Kraft das Album trotz der Unkenrufe in sich trug. „Scarlet“, das vor wenigen Wochen als erster dieser „neuen“ Songs zu hören war, gewinnt seine Fallhöhe aus der Zusammenarbeit mit Jimmy Page, dem Motor von Led Zeppelin. Das Stück ist flirty und ein bisschen frauenfeindlich, ein typischer Jagger-Song – man muss tatsächlich sehr präzise lauschen, um die Gitarren von Page und Keith Richards zu verorten. Es gibt Kritiker, die hören ein Duell in der Manier der Kammermusik heraus, wo sich erste und zweite Geige beharken. Eine überreizte Lesart, für die man seinerseits wohl ein paar Drogen braucht. „Criss Cross“ ist in seiner schlichten Liebe zum Blues das wohl substanziellste dieser drei Stücke. Im Video haben sie daraus eine Hippie-Geschichte mit einer überirdisch schönen Frau gedreht, die tanzt, als sei die Welt eine Scheibe. Vielleicht ist sie das sogar, nach einem Teller Ziegenkopfsuppe. „All The Rage“ schließlich beginnt so furios, wie man sich das im Jahr 2020, in dem die Melodien zum Vegetarischen und Friedfertigen neigen, nur wünschen kann. Eben diese kultivierte Aggression passt in die frühen 70er Jahre, als es lebensgefährlich schien, nach Sonnenuntergang in den Central Park zu gehen. Von jenem kaputten, schmutzigen New York erzählt das vielleicht beste Stück des Albums, eines der stärksten der gesamten Stones-Historie: „Doo Doo Doo Doo Doo (Heartbreaker)“ ist Rock’n’Roll in Perfektion, so lässig, stimmig und fokussiert gespielt, als Sahnehäubchen liegt das Gitarrensolo von Mick Taylor über dem Song. Dieser Taylor gab ein kurzes Gastspiel bei den Stones. Er stieg 1969 nach dem Tod von Brian Jones ein und kündigte 1974. Einige sagen, er war zu gut für die Band, andere sagen, er war zu ruhig. Keith Richards glaubte, man hätte ihm „mal eine Ladung Sprengstoff unter den Hintern legen müssen“. Wen all die Drogengeschichten, die menschlichen Verwerfungen und der Beitrag von Jimmy Page zu „Goats Head Soup“ nicht interessieren, dem bleibt ein letztes Argument, dieses Album und seine neue, gereinigte Fassung doch noch zu lieben: „Angie“, eine überirdisch schöne Ballade, der man bereits die weichgespülte, falsche Romantik der 80er Jahre anhört. Von Lars Grote