Alexander Osangs „Fast hell“: Wovon Ossis träumen

Der Spiegel-Redakteur hatte wohl eher Angela Merkel im Sinn als er anfragte, ob Alexander Osang nicht ein Porträt für das Sonderheft über die „rätselhaften Ostdeutschen“ beisteuern wolle, das zum 30. Jahrestag des Mauerfalls geplant sei. Aber Osang fiel sofort Uwe ein. Ein Paradiesvogel. Schwul, glatzköpfig, wie er selbst ein „ostdeutscher Weltbürger“, der jeden Tag über die Möglichkeiten staunt, die ihm die Wende eröffnet hat. Also verabredet er sich mit diesem Uwe, macht mit ihm eine Schiffsreise nach St. Petersburg, wo er sich in den Weißen Nächten bei unzähligen Gläsern Wodka dessen bewegtes Leben erzählen lässt. Der Spiegel bestand auf den Fakten-Check: Als die Mauer fällt studiert Uwe in Hongkong Sinologie und hält sich durch das Schmuggeln von Kühlschränken ins benachbarte China über Wasser. Später jobbt er als Stenograf im Gericht von Hongkong, scheitert in Moskau beim Versuch, die Dependance einer Tee-Filiale aufzubauen an den Schutzgeldforderungen der russischen Mafia, arbeitet in Amerika in der Übersetzerabteilung einer Wallstreet-Bank und unterrichtet DDR-Literatur und -Film an der Universität in New York. Ein unglaubliches Leben. „Bunt, ungezügelt, voller Sehnsucht und Lust.“ Natürlich mischt auch die Stasi mit. Mehr als einmal überkommen Osang Zweifel, das alles in einen Artikel zu bekommen. Als er fertig ist, hat der Spiegel Einwände: Keiner der Fakten im Text lässt sich durch die Rechercheabteilung gegenchecken und belegen. „Soweit ich das sagen konnte, stimmte alles, und doch erschien Uwe auch mir jetzt eher wie ein Romancharakter … Kein grauer Ostbürger. Niemand, den man sich in einem Nachrichtenmagazin vorstellen konnte.“ Also zog der 1962 in Ostberlin geborene Osang den Artikel zurück und machte daraus das Buch „Fast hell“, in dem er sein eigenes Leben an dem des Freundes bricht und ein authentisches Bild einer Generation zeichnet, für die der Mauerfall vor allem Chancen eröffnete. „Wir haben alle ähnliche Erfahrungen gemacht, aber verschiedene Leben gelebt“, bringt er es einmal auf den Punkt. Während die Väter ihre Arbeit verlieren und zu Wendeverlierern werden– der von Uwe wird Reichsbürger und macht selbst für seinen Prostatakrebs die „jüdische Weltverschwörung“ verantwortlich, der von Osang lebt im Winter in Tunesien im Hotel, weil es da billiger ist als in der BRD – können die Kinder in Freiheit ein unangepasstes Leben führen. „Alles löste sich auf, alles war möglich.“ Osang weiß, wovon er spricht: Osangs Buch ist, anders als sein Bestseller „Die Nachrichten“ (2000), kein Roman. Dafür ist es zu authentisch, nicht fiktional genug. Der Autor greift wenig ein, agiert oft wie ein Reflektor. Es ist eher eine lange Reportage. Darin liegen die Qualitäten, aber auch die Gefahr des Textes. Als mehrfach ausgezeichneter Journalist, der so oft den Egon-Erwin-Kisch-Preis erhalten hat, dass Kollegen schon über den „Osang-Preis“ spotteten, weiß er bildhaft und anschaulich zu erzählen. Jeder Zeile ist anzumerken, dass er genau weiß, worüber er schreibt und vieles selbst erlebt hat. Wenn er etwa noch zu DDR-Zeiten in Nordkorea den Apfelbaum besichtigt, der mit einem goldenen Zaun geschützt wird, weil Diktator Kim Il Sung hier mal einen Apfel pflückte, und sich wundert, dass keiner darüber lacht. „Es gab keine Ironie in Nordkorea. Niemand machte Witze über die Parteiführung wie bei uns zuhause.“ Oder wenn er erzählt, wie Uwe selbst in New York mit Persil wäscht, weil es der „Duft von zu Hause“ ist. Obwohl es Persil in der DDR eigentlich gar nicht gab, es viel eher der „Duft des Westens“ war, der einem aus dem Intershop oder den Westpaketen entgegenströmte. Osangs Problem: zuwenig Abstand: Hin- und wieder aber merkt man, dass Osang zu wenig Abstand hat. Nichts bleibt im Dunkeln. Manches Ereignis, manche Person hätte sich des großen Ganzen wegen gut streichen lassen. Das aber nimmt man gern in Kauf, weil Osang etwas zu erzählen hat. Exzellent fängt er die Gefühle so vieler Ostdeutscher ein. Das Getriebensein, ohne zu wissen wohin. Die Suche nach dem Paradies hinter der Mauer. Das Gefühl, etwas nachholen zu müssen. Froh zu sein, etwas hinter sich zu haben und es gleichzeitig zu vermissen. Aus der Betrachtung von Einzelschicksalen ergibt sich das stimmige Soziogramm eines untergegangenen Landes. „Zwei Ostberliner Jungs, aufgehalten in ihrer lebenslangen Flucht, eingeschlossen in der Zeit wie in Bernstein“, heißt es am Schluss. Als Journalist ging Osang seinen Weg. „Ich baute meine Karriere auf der ostdeutschen Trümmerlandschaft auf. Ich beschrieb die Gestrauchelten, die Enttäuschten, die Betrogenen“, schreibt er im Buch über sich. Vielleicht ist das zu pessimistisch formuliert. In „Fast hell“ erzählt vor allem von Wendegewinnern. Alexander Osang: Fast hell. Aufbau, 238 Seiten, 22 Euro. Lesen Sie dazu auch: Melancholische Ostrock-Hymne Alexander Osangs Weihnachtsgeschichten Bei Thomas Brussig gibt’s die DDR bis heute Von Welf Grombacher