Ausstellung über Arbeit in der DDR im Potsdamer Landtag

Und eins, und zwei, und drei, und... so rattert der Takt des Fließbandes, an dem immer dasselbe Produkt hergestellt wird. In langen Serien. Und noch eins. Und noch eins. Und noch eins. Es ist der Sound der Industriegesellschaft, in der Arbeit schon längst nicht mehr dem Selbstzweck dient, in der der Einzelne nur noch ein Rädchen im Getriebe ist. Karl Marx hat dafür den Begriff der Entfremdung verwendet und gehofft, dass in einer anderen Gesellschaft damit einmal Schluss sein würde. Der Sozialismus hatte den Anspruch, diese Hoffnung einmal zu erfüllen. Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit: „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ ist der Titel einer Ausstellung, die am Mittwoch im Landtag eröffnet wird und die das Serielle im Arbeitsalltag der DDR thematisiert. Zusammengestellt wurde sie vom Kunstarchiv Beeskow und dem Dokumentationszentrum für Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt. „Wir wollten Kunst und Alltagskultur in einen Dialog bringen über das, was zur Selbstdefinition der DDR gehörte: Arbeit nämlich“, sagt Florentine Nadolni, die Leiterin der beiden Einrichtungen im Landkreis Oder-Spree. Und dafür hat sie in die Vollen gegriffen. 264 Bilder aus DDR-Zeiten hängen in den Gängen des Landtags. Nicht alles ist Kunst. Nur 75 Werke von elf Künstlern sind darunter: Ölgemälde, Drucke, Holzschnitte, Fotografien. Der Rest besteht aus Titelseiten von Illustrierten, Zeitschriftenreportagen und Propagandaplakaten. Sie vermitteln einen Eindruck, was Arbeit in einer sich als sozialistisch verstehenden Gesellschaft bedeutete. Um den Begriff der Arbeit drehte sich nicht nur das Selbstverständnis, sondern auch die Legitimation der DDR. Sie verstand sich als Interessenvertretung der Arbeiterklasse. Und Marx, ihre Legitimationsinstanz, hatte die Arbeit zur Wesensbestimmung des Menschen erklärt. Nur der hatte schon in den Pariser Manuskripten von 1844 beschrieben, wie die Menschen im Kapitalismus in der seriellen Produktion von der Natur, sich selbst, ihrer Gattung und von den Anderen entfremdet werden. Wahrscheinlich wurden diese Texte in der DDR deshalb so selten gedruckt. Schließlich war das Proletariat nun an der Macht. In der DDR durfte es keine Entfremdung geben: Die Propaganda zeigte in der Regel glückliche, selbstbewusste Arbeiter. Etwa so, wie die Neue Berliner Illustrierte 1985: Ein stämmiger Arbeiter mit nacktem Oberkörper, wohlgenährt der Bierbauch, schmutzverschmiert Gesicht und Hose, auf einen Vorschlaghammer gestützt lächelt er in die Kamera. DDR-Nostalgie im Landtag, also? Keineswegs. Der zeitliche Abstand von 30 Jahren nach dem Ende der DDR verhilft zu erstaunlichen Einsichten. Das immer wiederkehrende Thema Frauen und Arbeitswelt: Die Zeitschrift Sibylle veröffentlichte in den 60er-Jahren eine Serie dazu und zum 35. Jahrestag der DDR nochmals. Die Fragen bleiben aktuell: Verhandelt werden in den Beiträgen immer wieder Fragen wie Kinderbetreuung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Chancengleichheit – alles Themen, die noch heute diskutiert werden und wo die DDR den westlichen Gesellschaften um Zeitalter voraus war. Besonders schön zeigt die Ausstellung, inwieweit in der plumpesten Propaganda noch systemübergreifende Relevanz stecken kann. Etwa mit einer Serie von Plakaten zum XI. Parteitag der SED von 1986 mit Porträts von DDR-Bürger. „Wohlstand – ich schaffe ihn mit“, bezeugt da eine ältere Frau. Weitere Stichworte der Serie: Qualität und Effektivität. Schlagworte jeder wirtschaftsnahen Partei auch heute. Im Kunstarchiv Beeskow lagern 17.000 Kunstwerke sowie 1500 Werke von Laien aus DDR-Zeiten, die sich bis 1990 im Besitz der Parteien und Massenorganisationen befanden. Das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt besitzt etwa 170.000 Alltagsgegenstände. Arbeit, Arbeit, Arbeit. Serien zur sozialistischen Produktion. Potsdamer Landtag, Mo-Fr 8-18 Uhr, bis 11. Dezember. Alles was in der Schau zu sehen ist, hat eine ideologische Imprägnierung. Auch die Kunstwerke sind durchgängig Auftragsarbeiten, angefordert von Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft oder der Freien Deutschen Jugend. Wenn Stalinisten Pop-Art machen: Und trotzdem vermitteln sie ein facettenreiches Bild der DDR. Selbst noch die sechsteilige Siebdruckserie des SED-treuen Künstlers Walter Womacka über die ausgezeichnete „Bestarbeiterin“ Erika Steinführer aus dem Narva-Glühlampenwerk zeigt: Stalinismus kann auch Pop-Art. Man sollte also schon genau hinsehen. Das muss man auch bei den ausgestellten Titelbildern der Satire-Zeitschrift Eulenspiegel. Nicht immer ist die Botschaft zum Thema sozialistische Produktion so eindeutig, wie auf einer Nummer von 1975: Ein Schmied drischt mit dem Hammer auf einen Amboss ein – und fertigt eine Büroklammer. Lesen Sie dazu auch: Karl Marx, der Denker der Globalisierung Der Streit um DDR-Kunst Wie ist das mit dem Sozialistischen Realismus? Von Mathias Richter

Ausstellung - Arbeit ist das ganze Leben