Ballett in Brandenburg per Videokonferenz: Berufswunsch "Prinzessin"

Im Grunde wäre es jetzt Zeit für eine Pirouette, mit der sie die Gedanken lockert, auch ein Waldlauf wäre gut, bei dem sie alle negative Energie ausschwitzt. Carola Vogl sagt, dass dafür gerade wenig Zeit bleibt, „denn ich sitze am Schreibtisch, viel mehr als früher.“ Sie ist ausgebildet in klassischem Tanz, hat vier Kinder bekommen, sich aufs Unterrichten verlegt, mit drei Studios in Berlin, aber auch in Falkensee (Havelland) und Kleinmachnow (Potsdam-Mittelmark). Bei aller Schwerelosigkeit, die auf der Bühne sichtbar ist, bei allem Fluss, dem sich der Körper hingibt, zeigt sich, dass hinter dem Ballett auch immer ein Büro steckt. Ihres steht in Kleinmachnow. Ein Büro ist wie ein Nervenzentrum, es ist besonders dann aktiv, wenn Lösungen gefragt sind. In einer Zeit der Pandemie, in der es manchmal keine Lösung gibt, glüht das Nervenzentrum ganz besonders. Dann muss etwas geleistet werden, gegen das sich die Routine, die Gewohnheit und die eigene Biografie sperren. „Ich bin über 50, mit Youtube hatte ich nie viel zu tun, doch nun haben wir die Plattform genutzt, um einen eigenen Kanal zu gründen“, sagt Carola Vogl. Ende März haben sie dort angefangen, sie und die 22 Lehrerinnen und Lehrer, die an ihren Schulen unterrichten. Es gibt „Übungen an der Stange mit Sophie und Katalene“ oder „Kindertanz mit dem Tuch“ auf Video. Eine Enzyklopädie des Tanzes zeigt sich hier in der Youtube-Welt, die ja sonst nicht immer auf Benimm oder graziösen Ausdruck achtet, sondern ihre meisten Klicks vergibt an jene, die auf dicke Hose machen. Nein, dicke Hosen gibt es bei Carola Vogl nicht. Hier regiert noch das Tutu. Auch Streetdance und Funky Jazz: Was in dieser Übertriebenheit natürlich auch nicht immer stimmt, denn bei Vogl, geschulte Balletteuse, ist das 21. Jahrhundert angekommen. Neben Ballett gibt es hier Streetdance, Funky Jazz oder Pilates. Aber viele junge Kundinnen, vier oder fünf Jahre alt, geben als Berufswunsch ausdrücklich „Prinzessin“ an. Da steht der Rock mit Tüll noch immer hoch im Kurs. Wenn sie zehn sind, sagt Carola Vogl, wechseln viele in die gegenwärtigeren und modernen Tänze. Und nun also Corona. Die Prinzessinnen sind jetzt ins Kinderzimmer eingesperrt. Nein, nicht eingesperrt, doch sehr viel Spielraum haben sie im echten Leben nicht. Schule zu, Kita zu. Tanzstudio geschlossen. Wohin also? Neben dem Youtube-Kanal bietet Carola Vogl auch den Unterricht per Zoom an. Man tauscht sich am Computer aus, hin und her, es ist nicht diese Einbahnstraße, die man durchlebt, wenn man sich Videos anschaut. Kann man tanzen lernen am Computer? Carola Vogl, die immer an der Stange stand, meist vor dem Spiegel, um die eigenen Bewegungen zu überprüfen, muss überlegen. „Ja, das geht“, sagt sie, „doch natürlich ist das schwierig für die Kleinsten.“ Mit vier, fünf Jahren ist man noch befangen vor dem Bildschirm. Keine helfende Hand, wenn bei der Beugung oder dem Spagat ein wenig Unterstützung nötig ist. Doch das fällt nicht immer ins Gewicht. „Eine Mutter sagte, sie hatte Tränen in den Augen, vor Rührung, als ihr vier Jahre alter Sohn zu Hause vor dem Bildschirm seine ersten Tänze übte.“ Andere Eltern sagen, die Kinder hätten den Bezug zum Tanzen schlicht verloren, weil die Leidenschaft sich am Computer nicht vermitteln lasse. „Oder sie beklagen“, sagt Vogl, „dass die Kinder sowieso schon viel zu viel im Internet zu Hause sind, weil auch die Schule ihren Unterricht jetzt online abhält.“ Der Begriff „Ballett“ wird hergeleitet vom italienischen Wort „balletto“, der Verkleinerungsform von „ballo“, das auf Deutsch „Tanz“ bedeutet. Mit Ballett wird meist der von Musik begleitete klassische künstlerische Bühnentanz (klassischer Tanz) bezeichnet, der in der Regel vom Zeitgenössischen Tanz, Modern Dance oder Tanztheater unterschieden wird. Carola Vogl und ihre Tochter Loritta führen ingesamt fünf Ballett- und Tanzschulen in Berlin und Brandenburg (Falkensee und Kleinmachnow). Derzeit wird Unterricht per Youtube-Kanal und dem Videodienst Zoom angeboten, Neueinsteiger können Probestunden nehmen. www.ballettschule-vogl.de Finanzielle Aspekte kommen hinzu. Wer auf Kurzarbeit herabgestuft wird, wer seine Arbeit verloren hat, der spart auch mal am Tanzkurs seiner Kinder. Carola Vogl versucht, hier individuelle Lösungen zu finden, gerade bei langjährigen Kunden, die nun kürzer treten müssen. „Bewegung ist wichtig“, sagt sie, „gerade die anmutige Bewegung.“ In eingeschränkten, engen Zeiten ist die Schönheit unbezahlbar. Leider gilt der Satz buchstäblich: In schweren Zeiten gilt die Schönheit einigen als tendenziell verzichtbar, weil man sie bezahlen muss. Sie wird als Luxus abgetan. Und wer bezahlt Frau Vogl? Vom Staat bekommt sie keine Unterstützung, weil sie freiberuflich arbeitet. Unterricht im Internet bringt Einnahmen, doch mittelfristig werden sie nicht reichen. „Es ist für uns wichtig, dass wir ab Anfang März wieder die Türen öffnen können, sonst wird es eng.“ Die körperliche Begegnung lässt sich durch nichts ersetzen. Wie wäre es, auch Yoga aufzugreifen? Die Menschen brauchen derzeit Ruhe, Meditation, Entspannung… „Das haben wir versucht, doch es herrscht enorme Konkurrenz“, denn Yogastudios gibt es viele. „Wir haben Tanzsäle mit Spiegeln, um die äußeren Bewegungen zu kontrollieren. Das ist nicht unbedingt die Atmosphäre, um in sich selbst einzutauchen und die eigene Mitte zu finden, wie es die Menschen beim Yoga versuchen.“ Carola Vogl klingt entspannt, obwohl sie keinen Urlaub hatte im vergangenen Jahr. Sie befindet sich im Überlebenskampf, nach dem ersten Lockdown sind ihre Studios nun seit zwei Monaten erneut geschlossen. Das ist eine kritische Phase: „Je länger der Präsenzunterricht ausfällt, desto mehr Kündigungen gibt es.“ Was ihr Hoffnung macht: Prinzessinnen sind stärker als die Pandemie. Corona regiert nicht ewig. Der Wille, das Krönchen wieder aufzusetzen, wird sich behaupten. Lesen Sie auch: Interkulturelles Kinder-Tanz-Theater stellt neues Programm vor Von der neuen Lust, altmodisch zu tanzen Jerusalema-Dance in Rathenow Von Lars Grote