Catharina Fillers inszeniert "Die Jury tagt" von Julia Schoch am Hans-Otto-Theater

Die zentralen Feierlichkeiten zur deutschen Einheit in Potsdam garnierte das Hans-Otto-Theater am Vorabend zum 3. Oktober mit einer Uraufführung zum Thema 30 Jahre Friedliche Revolution. Die Auftragsarbeit mit dem Titel „Die Jury tagt“ spielt in „einem schlossähnlichen Gebäude, das heute zu demokratischen Zwecken genutzt wird“, heißt es in der Regieanweisung. Penibel wird darin ein Innenraum ausgemalt, in dem Moritz Böck, Leiter der Abteilung Erinnerungskultur, drei Personen empfangen wird. Das einberufene Gremium soll darüber befinden, welcher Entwurf eines Denkmals für die Friedliche Revolution in der Stadt realisiert wird. Stilles Mineralwasser: Der Ort der Diskussion sei eigentlich eine „Stellkammer für Versammlungsstühle“. Als Requisiten werden außerdem „eine kleine Tagungstafel aus drei aneinandergereihten Tischen“ empfohlen sowie „ein Flipchart“ und „zwei Plastik-Mineralwasserflaschen (still)“. Auf feinen Humor und sprechende Details versteht sich Julia Schoch. Mit innerlich gestimmten Prosatexten wie „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ (2009) und „Selbstporträt mit Bonaparte“ (2012) hat sie sich bundesweit einen Namen gemacht. Ihr Versucht, mit „Schöne Seelen und Komplizen“ (2018) fast dokumentarisch die Auswirkungen des politischen Umschwungs 1989 anhand von 16 Biografien zu erzählen, lief ihr dann aber dramaturgisch aus dem Ruder. Nun wagt sich die Potsdamerin erstmals an ein Drama. Taugt eine Sitzung, auf der Argumente ausgetauscht werden, zum Bühnenstoff? In Fernsehspiel-Formaten lassen sich Diskussionen durch geschickte Kameraführung interessant einfangen. Aber im Theater? Regisseurin Catharina Fillers und Bühnenbildnerin Maria Wolgast begegnen der befürchteten Wort- und Kopflastigkeit mit einem Trick. Sie verlagern die Jurytagung ziemlich willkürlich in die Kulisse eines üppigen Urwaldes. Zwar fällt im Text am Rande mal das Wort „Dschungel“, womit ein Nachtklub im alten Westberlin gemeint ist. Aber ein Link zu dem paradiesischen Grün auf der Bühne lässt sich sonst kaum ausmachen. Vielleicht ist es eine Anspielung auf die nicht näher qualifizierte Demonstration, die sich während der Jurysitzung draußen lautstark abspielt. Konkretes Vorbild hierfür sind sicher die „Fridays for future“-Kundgebungen vor dem Potsdamer Landtagsschloss. Groteske Theatralik: Es erweist sich als Glück, dass Regisseurin Fillers im Kinder- und Jugendtheater beheimatet ist und die dort üblichen Überzeichnungen, grotesken Momente und irrwitzigen Gags auf die Erwachsenenbühne überträgt. Sporadisch sprengt sie die vorgegebenen realistischen Dialoge, lässt den Bürokraten Böck (Henning Strübbe) auch mal wie einen Urwaldaffen kleffen oder mit riesigen Händen hantieren. So haucht sie der nicht ausgereizten Satire unterhaltsame und groteske Theatralik ein. Die Bürgerrechtlerin wird entzaubert: Nur eine der Figuren hat Autorin Julia Schoch mit einem doppelten Boden angelegt. Es ist die Bürgerrechtlerin Marion Grothmann, die bei den Demonstrationen 1989 vielleicht doch nicht ganz so mutig war, wie anfangs behauptet. Bettina Riebesel hat Mühe, diese Ambivalenz wirklich zu verkörpern. Joachim Berger mimt äußerst glaubhaft den steinreichen Wessi als jovialen Altachtundsechziger, der das Denkmal bezahlen will, ohne dass er sich entzaubern muss. Auch Franziska Melzer als kosmopolitische Autorin darf nach fast zwei Stunden noch genau so um sich kreisen wie am Anfang. Beiden Figuren fehlt eine Entwicklung und eine Brüchigkeit. Mit zwei äußeren Faktoren fängt die Autorin den immer nichtiger werdenden Bühnenkonflikt ein, der in einer ziemlich aufgesetzten Handgreiflichkeit mündet. Ein herumirrender „Engel der Geschichte“ (Mascha Schneider) mit Mickey Mouse-Ohren soll die Schicksalhaftigkeit und die Vergänglichkeit historischer Ereignisse unterstreichen. Und vor den Fenstern des Landtagsschlosses eskaliert eine nicht ganz so friedliche Revolution. Das könnte als Aufruf der Autorin verstanden werden, sich doch besser der Gegenwart zuzuwenden. Potsdamer Themen: Dem Stück von Julia Schoch mangelt es nicht an weiterführenden Gedanken, Bonmonts und pointierten Dialogen. Die gewagte Umsetzung bringt ihren Text auch gut zur Geltung. Doch nach einer Stunde ist eigentlich alles gesagt. Die Urauffführung steht dem Stadttheater gut zu Gesicht. Endlich werden hier einmal spezifische Potsdam-Themen wenigstens skizzenhaft verhandelt. So der Konflikt zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen, die Überformung der historischen Stadt durch Lifestyle und die einflussreichen Spenden des neuen Geldadels. Nächste Aufführungen: 3., 8., 9., 10., 11., 17., 18., 23., 24. 25. Oktober. Hans-Otto-Theater Großes Haus, Schiffbauergasse Potsdam. Von Karim Saab