Corona und Kultur: Interview mit Brandenburgs Kulturministerin Manja Schüle

Brandenburgs Kultureinrichtungen erwachen langsam aus dem Corona-Schlaf. Doch der wirtschaftliche Schaden ist schon jetzt immens, den die Pandemie bei Veranstaltern und Künstlern angerichtet hat. Frau Ministerin, mehr als zwei Monate Kultur-Shutdown. Seit Kurzem wird das Kulturleben in Brandenburg langsam wieder hochgefahren. Hatten Sie Entzugserscheinungen? Manja Schüle: Allerdings. Mir hat gefehlt, dass ich mit Menschen in einem Konzert oder einer Ausstellung zusammenkommen und mich mit ihnen darüber austauschen kann. In welche Veranstaltung hat es Sie als erstes gezogen? Mein erstes Konzert war Mitte Juni mit Dota Kehr im Nikolaisaal in Potsdam. Da waren Sie eine von 75 Zuhörern. Ja, das war ein sehr schönes Konzert mit vertonten Gedichten von Mascha Kaléko. Und danach habe ich es endlich geschafft, die Monet-Ausstellung im Museum Barberini anzuschauen. Was mich sehr glücklich gemacht hat, denn ich hatte darauf gedrängt, dass Brandenburg als erstes Bundesland seine Museen und Galerien wieder aufmacht. Und das war richtig, denn dort konnte man die Abstandsregelungen am leichtesten einhalten – und gleichzeitig wieder Kultur ermöglichen. Trotzdem ist noch lange nicht alles, wie es einmal war. Was bedeutet Corona für das Kulturland Brandenburg? Was im März passiert ist, hat uns verdeutlicht, dass wir als Gesellschaft grundsätzlich nicht unverletzlich sind. Dieses Virus hat das öffentliche Leben komplett lahmgelegt. Wir haben versucht, gemeinsam mit den Kulturverbänden, den Kulturbeigeordneten der Kommunen und den Kultureinrichtungen schrittweise Lösungen zu erarbeiten, um die Kulturinfrastruktur zu erhalten und den Künstlerinnen und Künstlern zu helfen. Die Frage war: Wie verlässlich kann der Staat in dieser Situation sein? Was kann der Staat? Wir haben unter Zeitdruck drei Unterstützungssäulen entwickelt. Erstens die Corona-Hilfe für Kultureinrichtungen, die rund 50 Prozent der Einnahmeausfälle der Veranstalter ersetzt. Das hilft vor allem den kleinen Einrichtungen, die bislang gar nicht gefördert wurden. Dafür stellen wir bis zu 35 Millionen Euro bereit. Zweitens die Mikrostipendien von 1000 Euro für Künstlerinnen und Künstler. Und als Drittes habe ich mir gesagt: Der Staat muss auch in dieser Krise verlässlich sein und deshalb setzen wir die institutionelle Förderung der großen Einrichtungen fort und reichen die Projektfördermittel, die wir zugesagt hatten, auch weiterhin aus – wohl wissend, dass die Veranstaltungen nicht immer in der geplanten Form stattfinden konnten. Ich versuche also irreparable Schäden zu verhindern. Das hilft sicher fürs Erste. Aber viele Formate sind notgedrungen ins Internet abgewandert, wo sich kein Geld verdienen lässt. Die digitale Konkurrenz, reduziertes Platzangebot wegen der Abstandsregelungen, das werden viele Kultureinrichtungen langfristig nicht überleben. Und was dann? Die staatlichen Hilfen, die wir als Bundesland bereitstellen, sind ja nicht nur kurzfristig aufgesetzt. Wenn weiterhin keine Normalität möglich ist, Kunst auszuüben oder zu präsentieren, dann müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie diese Hilfen auch über den 31. August hinaus fließen können. Und natürlich ist die Frage des digitalen Raumes und der Übertragung von Kunst und Kulturangeboten in diesen Raum eine der großen Herausforderungen, vor der wir stehen. Gleichzeitig muss es jetzt darum gehen, wie wir unter dem Eindruck von Abstandsregelungen und Hygieneschutzkonzepten Kultur ermöglichen, die sich gegebenenfalls wirtschaftlich nicht wie geplant rechnen wird. Darauf muss man sich einstellen. Wir werden im zweiten Halbjahr dieses Jahres in Haushaltsverhandlungen gehen und wir müssen uns dabei über eines im Klaren sein: Wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, dass das, was hier über 30 Jahre hinweg mit viel Leidenschaft und außerordentlich großem Engagement aufgebaut worden ist, irreparablen Schaden erleidet, dann wird Kultur unter den Bedingungen von Corona möglicherweise bald mehr kosten. Denn wenn ich ein Haus nur mit einen Drittel der Plätze auslasten kann, dann rechnet sich das wirtschaftlich nicht. Wir müssen uns also darauf einstellen, dass, wenn überhaupt, die großen staatlichen Tanker überleben werden und die kleinen Träger den Bach runtergehen. Genau das will ich verhindern. Die stehen ja genauso wie unsere großen Institutionen für die Vielfältigkeit des Kulturlandes Brandenburg. Sie werden aber als erstes in Not geraten. Frau Grütters hat immerhin eine Milliarde Euro aus dem Konjunkturpaket für die Kultur rausgeschlagen. Damit sei ihr Gesamtetat um 50 Prozent gestiegen, sagt sie und fordert Länder und Kommunen auf, ebenfalls 50 Prozent draufzusatteln. Ist das für Brandenburg realistisch? Zum einen: Die Bundes-Milliarde wird dringend gebraucht – aber sie kommt reichlich spät. Zum anderen: Das Land Brandenburg hat bereits frühzeitig mehr als 40 Millionen Euro für die Kultur bereitgestellt. Entspricht das dem geforderten Plus von 50 Prozent? Ja, sogar ziemlich genau – aber das ist Zufall, da wir ja bereits deutlich früher losgelegt haben. Das Bundesprogramm ist vor allem für Infrastrukturförderung gedacht – also Einrichtungen wie Theater, Kinos, Konzertsäle. Aber was ist mit den Kulturschaffenden? Als sogenannte Soloselbstständige haben sie von den Corona-Soforthilfen meist nichts abgekriegt, weil sie keine laufenden Betriebskosten, sondern nur ihre nackte Existenz als Kapital vorweisen können. Kann man politisch verantworten, dass die jetzt Grundsicherung, also im Grunde Hartz IV, beantragen müssen? Da mache ich aus meinem Herzen keine Mördergrube: Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass die soloselbstständigen Kulturschaffenden auch ohne anfallende Betriebskosten durch den Bund gefördert werden. Das war ursprünglich auch unsere Intention, als die ersten Überbrückungsprogramme aufgelegt wurden. Aber dann hat der Bund die Förderregularien geändert und plötzlich hieß es, nur noch für anfallende Betriebskosten. Damit geht ein ganzer Berufszweig leer aus. Allein in den ersten Tagen sind in Brandenburg 27.000 Anträge auf Corona-Soforthilfen eingegangen. Genau. Da geht es nicht nur um die Sängerin oder den Orchestermusiker. Wir reden von Veranstaltungsmanagern, Tontechnikern, Maskenbildnern. Es geht um fast die ganze Kultur- und Kreativbranche im Land. Die irrige Annahme ist ja, Kultur sei so etwas wie das Sahnehäubchen. Etwas, das man genießt und das obendrauf kommt. Das stimmt aber nicht. Kultur ist die Basis und ein wichtiger Wirtschaftszweig. Man sieht durch Corona jetzt wie unter einem Brennglas, wie viele Menschen davon leben, weil sie in der Kultur beschäftigt sind. Kunst und Kultur sind das Fundament unseres Zusammenlebens, unseres Gemeinwesens. Das müssen wir stärker in den Köpfen verankern, um solidarischer durch diese Krise zu kommen. Im Moment wird ja ein Hilfspaket nach dem anderen geschnürt. Aber irgendwann müssen die Staatsschulden wieder abgetragen werden. Dann kommen die Sparrunden, bei denen traditionell die Kultur rasiert wird. Was glauben Sie, wird 2022 von der Kulturlandschaft Brandenburg noch übrig sein? Das sind hypothetische Diskussionen. Ich werde kein Schreckgespenst an die Wand malen. Aber es geht jetzt darum zu zeigen, wie wichtig Kunst und Kultur sind. Meine Aufgabe ist es nicht, über rote Teppiche zu flanieren, sondern diese roten Teppiche beziehungsweise die Kultur dahinter zu ermöglichen. Und dafür brauche ich Geld. Und da setze ich auf das Bewusstsein der Parlamentarier und aller politisch Verantwortlichen, die auch wissen, dass man mit Einsparungen bei der Kultur keinen Haushalt sanieren kann. Aber wer wird Ihnen im Kabinett da beispringen, wenn es um Investitionshilfen für Unternehmen, Ernteausfälle der Bauern oder um neue Straßen in ein Gewerbegebiet geht? Ich bin natürlich auch auf die Unterstützung der Kulturszene angewiesen. Wir müssen uns breit aufstellen und unterhaken. Es darf zu keinen Verdrängungsdebatten kommen. Denn es muss allen klar sein: Wir leben zum Glück in einer sehr ausdifferenzierten Kulturlandschaft, in der jeder seine Berechtigung hat. Ich setze daher auf die Solidarität der Künstlerinnen und Künstlern beziehungsweise der Verbände, um zusammen dafür zu kämpfen, dass bei der Kultur eben nicht gekürzt wird. 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