Erika Herbrig, "Chefin Cecilienhof", verteidigte im Museum für das Potsdamer Abkommen die DDR

Erika Herbrig litt nicht unter der deutschen Teilung. Im Gegenteil, die sozialistische Abgrenzungspolitik unter strenger sowjetischer Anleitung erfüllte sie mit Stolz. Als Leiterin der Gedenkstätte Cecilienhof im Neuen Garten Potsdam konnte sie sich im Kalten Krieg wie eine Frontkämpferin fühlen. Zum einen, weil ein Jahr nach ihrem Diensteintritt die Grenztruppen der DDR unmittelbar neben ihrer Arbeitsstätte auf dem Ufer des Jungfernsees den „antifaschistischen Schutzwall“ hochzogen. Zum anderen, weil sie viele Besucher aus der ganzen Welt durch das Museum führte und es nicht zuletzt ihre Aufgabe war, die „Auseinandersetzungen mit westdeutschen Besuchern“ zu führen. „Ich verteidigte den Sozialismus in der DDR und unser politisches System“, schrieb Herbrig 2004 in ihren Erinnerungen, die jetzt unter dem Titel „Chefin in Cecilienhof“ erschienen sind. Die Leitungsfunktion hatte sie von 1970 bis zu ihrer Rente, 1981, inne. Die gebürtige Belzigerin starb 2017 im gesegneten Alter von 96 Jahren in Dresden. „Wenn man von dem politischen Desaster absieht, so habe ich die letzten Jahre zufrieden gelebt“, lautet ihre Nachwende-Bilanz. Ihr Schwager besorgte die Drucklegung des nachgelassenen Manuskriptes. Wer sich die Sittengeschichte des Sozialismus vor Augen führen will, wird in diesem Buch fündig. Zunächst verliert die Autorin, die von 1951 bis 1955 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam Geschichte studiert hat, einige Worte über ihre Vorgänger. Otto Wiesner, der zweite Leiter der Gedenkstätte, „bekam 1959 den Parteiauftrag, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen“. 1965 wurde dann „der Kunstmaler“ Fritz Eisel eingesetzt. Er „brauche mehr Ruhe für sein künstlerisches Schaffen, darum sei dieser Posten genau das Richtige für ihn“, hieß es. Das ehemalige Ankleidezimmer des Kronprinzen wurde Eisel als Atelier hergerichtet. Braunkohle statt Koks: Im Auftrag Stalins, dem Gastgeber der Potsdamer Konferenz, war das Schloss für das Treffen der vier Siegermächte neu möbliert worden. Das bewegliche Hohenzollern-Interieur in den 176 Zimmern war in die benachbarte Meierei ausgelagert worden, wo es am 25. Juli 1945 verbrannte. Mehrfach erwähnt Erika Herbrig, wie sehr sie im Schloss Cecilienhof gefroren hat. Während die achtköpfige Familie von Wilhelm von Preußen und Cecilie mit Koks heizen konnte, stand den Museumsleuten nur DDR-Braunkohle zur Verfügung. Nicht Opfer, sondern Täter: Was Herbrigs Herz aber erwärmte, das waren die vielen hohen Besucher aus aller Welt, denen sie die Hand schütteln durfte. Sie erzählt von sowjetischen Kosmonauten, arabischen Prinzen (die Frauen allerdings nicht die Hand gaben), amerikanischen Professoren und linken Revolutionshelden. Auch der Komponist Dmitri Schostakowitsch sei nach Cecilienhof gepilgert, habe aber ihre Führung abgelehnt. Die meisten Westdeutschen musste sie eines Besseren belehren, denn die gingen oft davon aus, dass Deutschland in Potsdam geteilt worden ist. Doch davon war schon 1943 bei der Teheran-Konferenz die Rede. Die Abtrennung der deutschen Ostgebiete und die Umsiedlungen galt es rigoros zu verteidigen. „Die sogenannten ,Vertriebenen‘“, argumentierte Erika Herbrig, „waren nicht nur Opfer – sie waren zuvor Täter gewesen, willentlich oder weil sie das Naziregime getragen und geduldet haben.“ Dass sie selbst in den Reihen der Wehrmacht aktiv war und den 8. Mai als Krankenschwester in der Armee von Generalfeldmarschall Schörner in der Tschechoslowakei“ erlebte, klingt kurz an, wird aber nicht vertieft. Noch 2004 hält sie an Legenden fest, die Teil der DDR- Geschichtsschreibung waren. Der sowjetische Oberleutnant Jewgeni Fjodorowitsch Ludschuweit wurde als „Retter von Sanssouci“ gefeiert, obwohl es seine vornehmliche Aufgabe war, Kunstschätze als Kriegsbeute in die Sowjetunion zu verbringen. Nach jahrelanger Forschung gab die Stiftung Schlösser und Gärten 2004 einen ersten Verlustkatalog heraus, der allein 650 Gemälde und 2400 Porzellane auflistete. „Weshalb Ludschuweits Verdienste von leitenden Mitarbeitern von Sanssouci umstritten wurden, ist mir unbekannt“, hakt Herbrig dieses Kapitel brüsk ab. UNO-Generalsekretär würdigt DDR-Bauarbeiter: 1975 wurde UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim mit großem Pomp in Potsdam empfangen. Kein Wort darüber, dass der Österreicher 1981 den wichtigen Posten quittieren musste, als sein Opportunismus als Wehrmachtsoffizier weltweit diskutiert wurde. Über eine festliche Veranstaltung zu seinen Ehren schreibt Herbrig: „Neben Waldheim war ein Bauarbeiter gesetzt worden. Es sei für Waldheim das erste Mal und zudem ein ganz besonderes Erlebnis gewesen, mit einem Arbeiter zu sprechen und dabei einen klugen, gebildeten Menschen zu finden.“ Der Leser heute erfährt aus diesem Buch, wie untere DDR-Funktionäre tickten. Einmal leitet die Autorin eine Moskau-Reise mit verdienten Genossen. Sie schreibt: „Der jüdische Genosse Siegbert E. Wollte unbedingt den Schriftsteller Ilja Ehrenburg sprechen, ich sollte ihm zu einem Termin verhelfen. Aber so einfach ging das nicht, alles musste über die Botschaft der DDR gehen und dafür war die Zeit zu kurz.“ Krach von Militärjets als Protest: Trotz aller Einwände ist es gut, dass solche regionalgeschichtlichen Quellen – aus welchem Motiv auch immer – ediert werden. In ihnen kommen Haltungen und Vorgänge zur Sprache, die beachtenswert bleiben. Als 1969 eine Bundesversammlung im Berlin (West) tagte und die Bundesrepublik in den Augen der Sowjetunion damit gegen den Viermächtestatus verstieß, „donnerten den ganzen Tag sowjetische Militärjets über Berlin und durchbrachen mit lautem Knall die Schallmauer“. Es gab aber auch positive politische Impulse. Die Weltfestspiele 1973 in Berlin (Ost) waren der Anlass, die innerstädtische Freundschaftsinsel in Potsdam neu zu gestalten. Erika Herbrig: Chefin in Cecilienhof. Verlag am Park, 154 Seiten, 15 Euro. Lesen Sie auch: Ausstellungskatalog rechtfertigt Stalins Expansionspolitik Die Techno-DJs Paul und Fritz Kalkbrenner sind Enkel des Malers Fritz Eisel Aktuelle Sonderausstellung 75 Jahre Potsdamer Konferenz Russische Kritik an Ausstellung in Schloss Cecilienhof Von Karim Saab