Grundgesetz zum Hören: Neues Hörspiel des Potsdamer Autors Sven Stricker

Zugegeben, die Grundidee klingt etwas trocken: Das Deutsche Grundgesetz soll akustisch aufbereitet werden. Als Hörspiel, als Feature, humorvoll oder ernst, ganz egal. Unangenehm didaktisch hätte das werden können, doch die Reihe „Artikel X“, die nach der Idee von Josef Ulbig auf der App „fyeo“ zu hören ist, ist alles andere als das. In elf Hörstücken werden die ersten elf Artikel des Grundgesetzes interpretiert, die verschiedenen Autoren haben ganz unterschiedliche Ansätze dafür gefunden. Einer von ihnen ist der Potsdamer Schriftsteller sowie Hörbuch- und Hörspielregisseur Sven Stricker, der sich mit Artikel 2 auseinandergesetzt hat. „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“, heißt es dort. Mikrokosmos Fahrstuhl: „Ich muss gestehen, erst fiel mir gar nichts dazu ein“, erzählt Stricker. „Dabei ist das ein wahnsinnig wichtiger Artikel, schließlich geht es um die Freiheit.“ Letztendlich habe er sich entschieden von den großen Dingen im Kleinen zu erzählen und sich dafür den engsten Raum gesucht, der ihm in den Sinn kam: einen Fahrstuhl. So lautet auch der Titel des einstündigen Hörspiels, das von vier Menschen erzählt, die in einem eben solchen festsitzen. Sie alle wollen in ein bestimmtes Stockwerk eines großen Bürogebäudes fahren: Um ein Meeting zu leiten, eine Beschwerde abzugeben oder die seelische Gesundheit zu pflegen. Sie haben nicht viel gemeinsam diese vier, präsentieren sie doch alle einen anderen Typ Mensch. Lesen Sie auch: „Sörensen hat Angst“ in der ARD: Krimi des Potsdamer Autors Sven Stricker wurde verfilmt Interview mit Sven Stricke: „Nichts ist so alt, wie ein Roman, der in der Coronazeit spielt“ Stereotype krachen aufeinander: „Das sind keine Figuren, sondern Stereotypen“, sagt Stricker. Der Nörgler (Bjarne Mädel) ist dabei, der Zweifler (Fabian Busch), die Managerin (Eva Meckbach) und die Vernunft (Dorette Hugo). Vier unterschiedliche Lebensläufe, vier vollkommen andere Ansichten über die Welt. Da stehen sie nun, alle in ihrer Ecke des Fahrstuhls und versuchen, nicht in Panik zu verfallen bis eine Lösung gefunden ist. Doch das ist nicht so einfach, wenn der Haustechniker im schnoddrigen Dialekt zwar Hilfe verspricht, diese aber nie ankommt und inzwischen die Fahrstuhlwände scheinbar immer enger werden. Wortgefechte werden ausgetragen, die Stimmung brodelt. Um Sexismus geht es hier, um psychische Gesundheit, um Sozialneid, Gesellschaftsdruck und irgendwie auch um den Sinn des Lebens. Ein satirisches Kammerspiel: Dabei spielt Stricker gekonnt mit den Erzählebenen, lässt die Figuren aus der Geschichte heraustreten und teilweise den Text selbst durchbrechen. Etwa, wenn die Vernunft den Gesetzestext haargenau zitiert und sie gefragt wird, warum sie die Worte so genau kenne. „Weil es gerade jemanden braucht, der das korrekt zitiert“, antwortet sie daraufhin. „Ich gestehe, das ist aus der Not geboren, den Text mit einfließen lassen zu wollen“, sagt Stricker. „Deswegen gehe ich da ganz klar ins Selbstironische.“ Genau wegen solcher Kniffe ist „Fahrstuhl“ ein klug komponiertes, satirisches Kammerspiel. Eines, das die Probleme des organisierten Zusammenlebens zuspitzt – und am Ende mit einem Plot-Twist überrascht. „Die Figuren müssen sich auf engstem Raum organisieren, sich einschränken, um den anderen Raum zu lassen“, sagt Stricker. „Das lässt sich sehr einfach auf das ganze Land übertragen, in dem sich viele verschiedene Menschen miteinander arrangieren müssen.“ Es sei ein Wunder, dass das überhaupt klappt. „Das Grundgesetz ist genau deswegen so enorm wichtig, nur deswegen funktioniert es bei uns, wie es funktioniert.“ In einigen anderen Ländern sehe das leider ganz anders aus. Sven Stricker wurde 1970 geboren und wuchs in Mülheim an der Ruhr auf. Seit 2001 arbeitet er als freier Wortregisseur und Autor und gewann in dieser Funktion mehrmals den Deutschen Hörbuchpreis. Stricker lebt in Potsdam. Für den Krimi „Sörensen hat Angst“ war Sven Stricker für den Glauser-Preis 2017 nominiert. Der Krimi ist von sowie mit Bjarne Mädel verfilmt worden. Stricker hat gerade erst ganz frisch selbst das Hörbuch zu dem Buch eingesprochen, auch eine Adaption des Krimis als Graphic Novel von Illustratorin Hanna Wenzel ist geplant. Im August erscheint sein bereits dritter Sörensen-Krimi „Sörensen am Ende der Welt“. Im August 2020erschien Strickers zweiter Nicht-Krimi „Bin noch da“, ein feinfühliger Roman über eine liebesarme Kindheit und eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung. Von Sarah Kugler