Der Foto-Band "Hinterland" von Hans-Christian Schink

Es gibt Popmusik, die kommt ganz ohne Gesang aus. Das Schlagzeug wirft nicht mehr als eine Skizze hin und lässt allen Platz der Welt. In die Leere hinein können Tänzer all ihre ambitionierten Ideen und Bewegungen hineinprojizieren. Nur wenige Akkorde oder Töne über dem Metrum reichen, um eine tiefe und offene, wehmütige und freie Stimmung erzeugen. Bilder mit dieser Ausstrahlung stellt Hans-Christian Schink mit einer simplen 6x7-Mittelformatkamera her. Über sieben Jahre streifte der gebürtige Thüringer durch die weiten Landschaftsräume nördlich von Berlin. Die Essenz seines Staunens stellte er zu dem Foto-Kunst-Band „Hinterland“ zusammen. Der Endfünfziger hat sich damit abgefunden, im Anthropozän zu leben. Er ist liebevoll entschlossen, die poetischen Seiten in den menschlichen Verwüstungen nicht zu übersehen. Die formatgleichen Bilder ordnet Schink nicht nach Entstehungsorten, sondern nach Jahreszeiten. Der Reigen beginnt und endet im Winter, dessen Licht ihm offensichtlich am meisten behagt. Ins reduzierte Schwarzweiß grafischer Schneelandschaften mischen sich bald warme Fellfarben von Ziegen und Pferden. Später gibt es hinter Absperrungen auch noch einzelne Kühe und Hühner zu entdecken. Abwesend bleibt der Mensch, der diese Landschaften überformte und davon ökonomisch profitiert. Während viele Fotografen heute bei der Nachbearbeitung von Bildern in der Farbgebung sogar noch aufdrehen, bevorzugt Schink die milden, matten, nebligen Töne. Auf keinem seiner Bilder ist ein Wölkchen oder gar die Sonne auszumachen. Er fotografiert nur bei bedecktem Himmel. Die undramatische Schink-Stimmung stellt sich nur ein, wenn das Tageslicht durch die gleichmäßig verdichtete, neutralisierende, weißgraue Atmosphäre dringt und die Dinge nicht durch direktes Licht aufgeschreckt werden. So blendet Schink auch das Spektakel der Herbstfärbung konsequent aus. Nur auf zwei Bildmotiven liegt etwas Laub auf dem Asphalt, jeweils vor einem prosaischen Maschendrahtzaun. Hans-Christian Schink wurde 1961 in Erfurt geboren. Er studierte von 1986 bis 91 Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und blieb dort noch zwei Jahre als Meisterschüler. Heute lebt er in Woldegk in Mecklenburg. Das Buch „Hinterland“ erscheint in einer Auflage von 1000 Stück in deutscher und in englischer Sprache. Schink brachte bereits zehn Fotokunstbücher in renommierten Verlagen wie Kerber, Hatje Cantz und Kehrer heraus. Weitere Infos und Fotografien unter http://www.hc-schink.de Schinks Bilder stehen in der Tradition der Landschaftsmalerei. Im 20. Jahrhundert wurde der Begriff „Stadtlandschaft“ Mode, denn auch die von Menschen geschaffenen urbanen Räume lassen sich mit natürlichem Charme darstellen. Bei Schink wird deutlich, dass dünn besiedelte Landstriche mit Feldern, Brachen und Wäldern längst Teil der industriell und postindustriell geprägten Stadtlandschaften geworden sind. Manchmal rückt er seltsame Betonbauwerke ins Zentrum, ohne die die Landwirtschaft schon lange nicht mehr auskommt. Mit seinen Fotokunstwerken will er weder beweisen, dass die Welt hässlich ist, noch will er die Gegenwart beschönigen. Er versteht sich nicht als Dokumentarist, sondern als Künstler mit einem besonderen Augenmerk. Im Grunde seines Herzens ist Schink ein Romantiker, der bereit ist, auch scheinbar banalen Zusammenhängen schöne und ästhetische Momente abzugewinnen. Hans-Christian Schink: Hinterland. Hartmann Projects Verlag, 148 Seiten, 45 Euro. Von Karim Saab