Die Architektur des neun Flughafens BER in Brandenburg

Inmitten des Planungsdesasters um den Flughafen BER geriet das architektonische Werk, um das es hier geht, völlig in den Hintergrund. Nach 24-jähriger Planungsgeschichte geht nun das bisher größte Technikbauwerk Brandenburgs endlich in Betrieb. „Flughäfen müssen eine äußerst robuste Struktur aufweisen“, sagte Meinhard von Gerkan, inzwischen 85 Jahre alter Mitgründer und Prinzipal des Büros von Gerkan Marg und Partner (gmp) bei einem ersten Terminalrundgang im September. Bei dem Gebäude liege „das Schwergewicht im Konzeptionellen, nicht in der Gestaltung“. Dieses Statement darf man getrost wörtlich nehmen, denn eben das verkörpert der BER: Ein Gebäude als gigantische Logistikmaschinerie, die Effizienz, kurze Wege und größtmögliche Sicherheit miteinander verbindet. Das Konzept beruht auf dem 2005 von Hubert Nienhoff und Hajo Paap entwickelten Masterplan für den Airport. Die beiden Leiter der Berliner gmp-Büro sind neben von Gerkan die eigentlichen Väter des Projektes. Grundriss einer dreiflügeligen Schlossanlage: Die Haupthalle des Terminals liegt in der Mitte zwischen den Start- und Landebahnen, vergleichbar einem Kopfbahnhof; flankiert wird sie von seitlichen Piers und daran anschließend weiteren Funktionsbauten. Erschlossen wird diese U-förmige Struktur über ihre offene Seite. Auf dieser Landseite des Airport fassen das Terminal, zwei flankierende Nebengebäude und eine vorgelagerte Kolonnadenreihe von drei Seiten den Willy-Brandt-Platz. Eine leere Plaza, die sich weiter hinten in eine spärlich mit Kiefern und Linden bepflanzte Grünachse öffnet, welche sich im kahlen Niemandsland verliert. In diesem Binnenraum, wo der Masterplan Hoffnung auf einen beinah urbanen Ort mit einladendem Park weckte, enttäuscht das Konzept am stärksten. Die städtebauliche Figur erinnert – wir befinden uns in Brandenburg – an den Grundriss einer dreiflügeligen Schlossanlage nebst Gartenparterre. Dieser Bezug zum genius loci klingt auch in der Projektbeschreibung der Architekten an: Dass der Flughafen mit seiner Gestalt dem Ankommenden schon etwas von der Kulturgeschichte dieses Landstrichs zwischen Klassizismus und Moderne verrät, und ihm so eine erste Ahnung kommender Eindrücke gibt. Aber dafür sind die den Platz flankierenden Bauten, ein Hotel und ein Bürohaus, viel zu belanglos und austauschbar. Dahinter folgen die quaderförmigen Kubaturen von Parkhäusern, gesichtslosen Kisten, deren Fronten man lediglich mit stählernen Drahtnetzen bespannte. Die schieren Dimensionen beeindrucken: Am Höhenversprung zwischen Platz und Vorfahrtbereich des Terminals vermittelt der Kolonnadengang zwischen den beiden Ebenen. Auch die das Terminal 1 seitlich flankierenden Bauten werden von solchen, aus Betonsegmenten gefügten Kolonnaden gerahmt. Sie als Referenz an die preußischen Baumeister aufzufassen, braucht es allerdings eine gute Prise Phantasie. Anderseits sind es ohnehin weniger die Formen, sondern die schieren Dimensionen, die technizistische Präzision und Symmetrie der konstruktiven Elemente, die bei diesem Bau beeindrucken; etwa die 16 doppelgeschossigen Fluggastbrücken an seiner Vorfeldseite, die wie eine lange Reihe von Risaliten aus dem 715 Meter langen Hauptpier heraustreten und es effektvoll gliedern. Wie aber steht es mit dem Terminal selbst, dessen Haupthalle sich gleich hinter den Kolonnaden erhebt? In dessen, durch hohe Glaswände gleichmäßig von Tageslicht erfüllte Haupthalle gleitet man auf einer Rolltreppe aus dem Sockelgeschoss empor. Ihr Blickfang, und vielleicht das einzig emblematische Motiv dieses breit hingelagerten, ganz die Horizontale betonenden Flughafenbaus ist das 32 Meter hohe, stolze 50 Meter über die Vorfahrt auskragende Dach. Das Quadratraster seiner Unterseite lässt unweigerlich an Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie denken. Der gigantische Dachschirm mit seinen 49 000 Quadratmetern überspannt das gesamte Terminal 1 und wird von schlanken Vierkantstützen getragen. Mit ihrer säulenartig ausgebauchten Mittelpartie gehören sie zu den gelungensten Details des Gebäudes. Die Architekten hätten sich gern mehr Anflüge solch monumentaler Eleganz leisten dürfen. Doch in diesem Flughafen ist ein Motiv beherrschend, das anderen Bauwerken nur unsichtbar eingeschrieben ist, nämlich Raster und Achsmaß. Es beruht auf dem Grundmodul von 6,25 Metern, das den Passagier in allen erdenklichen Teilungs- und Additionsfaktoren fortan auf seinem Weg ins Flugzeug begleitet. Das einzige, was sich dem Diktat des rechten Winkels entzieht, ist der fliegende Teppich (Magic Carpet) der amerikanischen Künstlerin Pae White, der als 56 Meter lange, leuchtend rote Wolke aus Aluminiumbändern über dem Aufgang zur Haupthalle schwebt. Zwischen Monumentalität und Wohnlichkeit: Dieser größte Raum des Flughafens bleibt ambivalent – lavierend zwischen Lust an der Monumentalität zum einen und andererseits der Wohnlichkeit der nussbaumverkleideten Abfertigungsgehäuse, die Möbelstücken gleich in die Halle gerückt sind, um sie wieder in überschaubare Räume zu zergliedern. Interessanterweise wirkt das Interieur dieses 15 Jahre alten Entwurfs nicht aus der Zeit gefallen – wohl weil das Gestaltungskonzept schon 2005 zeitlos, aber eben auch brav war. Der Boden aus hellen Muschelkalkplatten und das omnipräsente Nussbaumfurnier, dass die kassettierte Rückwand der Haupthalle ebenso überzieht wie sämtliche in der Halle verteilten Funktionsinseln, wirken gediegen, aber nicht unbedingt von gestern. Dennoch sorgte es für Spott. Der Airport, schrieb die Süddeutsche Zeitung, käme auf „mehr Holzvertäfelung als alle Ratskeller des Landes.“ Dem darf man entgegenhalten, dass der Flughafenalltag von heute mit seinen vielen Menschenknäueln und dem ermüdenden Parcours durch diverse Security-Schleusen und Wartezonen mit jedem Anflug von Wohnlichkeit menschlicher wird. Etwas Gewagtes fehlt: Die künftigen Nutzer werden von diesem Bauwerk, dem zehnten Flughafen in der Architektenlaufbahn Meinhard von Gerkans, vor allem erwarten, dass es sie möglichst schnell und reibungslos zu ihrem Flugzeug gelangen lässt. Diese Effizienz ist leider zum tonangebenden architektonischen Thema geworden. Das Gebäude ist gefangen in der Präzision seines Rasters. Es ist, in von Gerkans Worten gefasst, architektonisch „robust“, aber es erzählt nichts. Was dem neuen Flughafen jenseits des markanten Dachs fehlt, ist der Mut zu konstruktivem Überschwang, etwas Gewagtes, das über das lediglich Dienende und Funktionale hinausreicht. Gerade in Brandenburg und Berlin, dieser mit architektonischer Meilensteine und Experimenten reich gesegneten Landschaft, schmerzt das. Von Frank Peter Jäger