Harald Hauswald zeigt seine DDR-Fotos aus den 80er Jahren in Berlin und Lehnin

Harald Hauswald über die Punks der DDR, das Konzert von Bruce Springsteen in Ost-Berlin und seinen einzigen Versuch, in ein Foto einzugreifen. Herr Hauswald, Sie haben den Prenzlauer Berg in Ost-Berlin während der 70er und 80er Jahre fotografiert. Hat er sich sehr verändert? Harald Hauswald: Neulich habe ich mit meinem Verleger draußen gegessen, wir saßen da wohl eine gute Stunde. Er sagte, früher hätte der Harald mindestens zehn Leute gekannt, die vorbeikommen, jetzt sind es nur noch zwei. Wo sind die Punks geblieben, die sie fotografiert haben? Die waren nie im Prenzlauer Berg, eher weiter draußen. Ich habe sie bewundert, bin aber nie einer gewesen. Mit langen Haaren wirst du kein Punk. Ich war immer Woodstock. Wie Jimi Hendrix die amerikanische Hymne zersägt hat, unglaublich! Steckt Ihnen mittlerweile zu viel Geld im alten Ost-Berliner Stadtbild? Ja, die Sanierungen… Tolle Sachen dabei. Aber dass sie in den Baulücken jetzt immer Glas und Beton hochziehen, muss das sein? Das Handwerk ist nicht mehr gefragt, niemand mauert mehr mit Stein. Viele von den alten Leuten sind weggegangen, wegen der hohen Mieten. Sie sind noch da. Ja, ich habe eine Wohnung im Prenzlauer Berg, bin aber meist bei meiner Frau in Kreuzberg. Sie hat fast 70 Quadratmeter, ich 60 Quadratmeter, zusammen zahlen wir für beide Wohnungen 900 Euro. Wenn wir diese 130 Quadratmeter heute suchen würden, zahlen wir mindestens das Doppelte. Das kann ich mir nicht leisten. Sie haben vor der Wende in Schwarz-Weiß fotografiert. Hat das mehr Seele als die Farbe? Es ist etwas anderes. Schwarz-Weiß ist klassische Reportage-Fotografie, das war für mich die stärkere Ausdrucksform. Bei Schwarz-Weiß ist der Betrachter mehr gefordert, er muss sich die Farbe dazufantasieren. Farbfotos taugen eher für Werbung. Haben Schwarz und Weiß ganz gut zum Geist der DDR gepasst – wir gegen die, dazwischen gab es höchstens Grau? Das Grau haben wir gar nicht wahrgenommen. Grau war die Normalität. Klar, der Kohlegeruch hat gestört. Aber wir hatten keinen Vergleich zu Ländern, die in Farbe lebten. Für das Magazin „Geo“ haben Sie 1986, zur Berliner 750-Jahr-Feier, die alternative Szene im Osten fotografiert. In Farbe! Das war bei dieser renommierten Zeitschrift die Voraussetzung. Sie hatten mir Filme aus dem Westen angeboten, Kodak und Fuji. Ich habe Kodak genommen, weil es pastellfarbener wirkte. Fuji war furchtbar bunt, das Knackige mochte ich nicht. Wie haben Sie die Bilder in den Westen bekommen? Es war absolut illegal, die Fotos drüben zu veröffentlichen. Weitergabe nicht geheimer Nachrichten, Agententätigkeit, staatsfeindliche Hetze, Devisenvergehen, so hießen die Delikte. Dem akkreditierten West-Journalisten vom „Evangelischen Pressedienst“ und einem Kollegen vom „Stern“ habe ich die Bilder in Ost-Berlin mitgegeben. Die hatten eine „Grenzempfehlung“ und durften Arbeitsmaterial unkontrolliert mit nach drüben nehmen. Haben Sie 1986 schon gemerkt, dass die DDR in ihren letzten Zügen lag? Nein, das war damals nicht zu spüren. Aber als Bruce Springsteen 1988 nach Ost-Berlin kam, habe ich Gänsehaut bekommen: 220000 Menschen aus der DDR haben „Born In The USA“ gesungen und dem Staat eins in die Fresse gegeben. Einer der größten Momente meines Lebens. Es war ein Abgesang auf das Land. Hatten Sie gemerkt, dass die DDR 40 Spitzel auf Sie angesetzt hat? Dass die mich auf dem Kieker hatten, war nach der ersten Hausdurchsuchung 1983 klar. Aber 40 Leute! Nein, das wirkte für mich unvorstellbar. Warum galten Sie als so gefährlich? Dass ich Westkontakte hatte und die Bilder weitergab, hat die Staatsführung nicht verkraftet. Wenn ich Abbruchhäuser fotografiert habe, galt das als sozialismusfeindlich. Punks, Hausbesetzer und Hooligans werden sich gewehrt haben, dass Sie Fotos von ihnen machten, die wollten sicher im Verborgenen leben. Wenn du mit denen ein Bier getrunken und geschwafelt hast, dann war das in Ordnung. Alle wussten, wenn drei am Tisch sitzen, ist einer von der Stasi dabei. Die haben sich keinen Kopf gemacht, sie sind trotzdem offen geblieben. Ich konnte fotografieren, wen ich wollte, weil es keine Regenbogenpresse gab. Die Menschen wussten, dass die Bilder nicht in falsche Hände kamen. Harald Hauswald wurde 1954 in Radebeul geboren. Er ist Mitbegründer der Bildagentur Ostkreuz. Durch das Buch „Berlin-Ost: Die andere Seite einer Stadt“, gemeinsam mit dem Lyriker Lutz Rathenow veröffentlicht, hat sich Hauswald als kritischer Chronist der späten DDR profiliert. Die Stasi entzog ihm zeitweilig die Tochter. Das Bundesverdienstkreuz am Bande erhielt er 1996. Haben Sie noch Kontakt zu Leuten von damals? Vor zehn Jahren hat einer angerufen, „hier ist Kalle, ich bin der Sänger von Zerfall.“ Er wollte alte Fotos für das Cover eines Albums haben. Für das Konzert suchten sie nach ihrem Gitarristen Duffy. „Den habe ich vor einem Jahr auf dem Alex getroffen“, sagte ich, „der fährt Mercedes-Cabrio und ist Versicherungsvertreter.“ Ihre Fotos wirken, als seien sie zufällig entstanden, im besten Sinne ungeplant. Nein, ich bin schon mit 14 Jahren gezielt losgegangen, um meinen Schmerz mit dem Fotoapparat zu betäuben: Du kommst nie nach Paris, erst mit 65, und du wirst nie ein echtes Rockkonzert erleben, dachte ich. Meine Bilder haben diese Ohnmacht abgefedert. Haben Sie mal ein Foto arrangiert oder die Leute herumdirigiert? Gefragt habe ich nie, ob ich fotografieren darf – ich habe die Menschen auch nicht nach rechts und links geschoben, um sie aufs Bild zu kriegen. Doch, einmal habe ich eingegriffen! Ein Pärchen hat geknutscht, daneben stand ein Typ im Hauseingang. Ich musste näher ran, bin über die Straße gelaufen, da haben sie aufgehört. „Macht mal weiter“, habe ich gesagt. Sie haben weitergeknutscht. Ich habe mich bedankt und bin weitergelaufen. Es war das einzige Mal, dass ich mich eingemischt habe. Der Kuss war es mir wert. Lesen Sie dazu auch: Harald Hauswald zeigt Fotos aus Ost-Berlin, die in der DDR als staatsfeindlich galten Von Lars Grote