Horrorserie "Hausen" erzählt auf Sky von gefrässigem Plattenbau

Für Fernsehproduzenten aus dem Rheinland oder München wirkt der Osten immer noch so herrlich gottlos – als wohnten dort vor allem Menschen, deren Kopf vom Kommunismus so massiv gewaschen wurde, dass eine Streitkultur nach bürgerlichem Maßstab nicht mehr möglich ist. Man greift zur Knarre, wenn es zwischen Nachbarn rummst. Es wird nicht mehr geredet, sondern gleich geschossen. Nein, das glauben diese Produzenten selbstverständlich nicht im Ernst, doch sie mögen die Klischees, besonders dann, wenn eine neue Horror-Serie auf den Markt soll. Pünktlich zu Halloween zeigt der Bezahlsender Sky ab Donnerstag „Hausen“, eine Serie, die im Plattenbau spielt. In der Platte ist der Osten am tiefsten, glauben Fernsehproduzenten, und der Horror ist am schlimmsten dort, wo man sich eigentlich zu Hause fühlen möchte, aber ein diffuses Unbehagen die Idylle stört. Man hört es grummeln und blubbern, knarzen und rülpsen. Dieses Haus bei Sky wird nicht von Menschen geformt, hier ist es umgekehrt: Das Haus formt die Bewohner. Sie mutieren. Sie zeigen keine Empathie, kein Mitgefühl. Das zahlt der Plattenbau den Leuten heim. Er wird zum Kerker. Und schluckt die Arme, Beine, mitunter auch die ganzen Körper jener Menschen, die sich zwischen den porösen Mauern eingerichtet haben. Früher Hospital für SED-Funktionäre: Der Plattenbau aus „Hausen“ war im echten Leben mal ein Krankenhaus für SED-Funktionäre, er steht ganz außen östlich am Berliner Stadtrand, wo man, wenn es still ist, die Brandenburger Tiere hören kann. Doch leider ist es niemals richtig ruhig in diesem Haus, 18 Etagen hoch. Ständig schlägt der Stresspuls in der neuen Serie. Plattenbauten sind ja filmisch längst ein Mythos, nicht erst seit „Chernobyl“, eine der besten Serien der letzten Jahre, gedreht von HBO, in Deutschland ebenfalls bei Sky zu sehen. Die Menschen lebten in der Platte und schauten auf das brennende Kraftwerk, als sei es ein Meteorit, der vom Himmel stürzt, um die Versprechen vom neuen, modernen Leben zu begraben, mit denen diese Plattenbauten mal vermietet wurden. „Hausen“ hat eine hohe Stardichte, hoch zumindest für ein Genre, das mal als schmuddelig gegolten hat, weil Horror früher „billig“ wirkte. Die Gattung schien fadenscheinig, man sah die Tricks, auch den doppelten Boden – wie bei einem Magier, dessen Hokuspokus schnell als fauler Zauber zu entlarven war. Wenn nun aber Schauspieler wie Charly Hübner (Kommissar im Rostocker „Polizeiruf 110“), Alexander Scheer (Hauptrolle in „Gundermann“) und Tristan Göbel (Hauptrolle in „Tschick“) dabei sind, Leute aus der ersten Reihe, erkennt man eine Aufwertung des Horrors. Das hat auch mit „Dark“ zu tun, einer Netflix-Reihe, zu großen Teilen in den Brandenburger Wäldern gefilmt, die weltweit Furore macht. Seit Juni dieses Jahres läuft die dritte und letzte Staffel der Mystery-Serie mit Horror-Elementen. Zu Recht könnte man fragen, warum der Horror nicht viel besser in den kühlen, vom Brutalismus geprägten Bauhaus-Villen der Produzenten aufgehoben wäre. Ja, dort wird er gerne platziert, man schaue nach in einem „Tatort“ aus den besseren Münchner Vierteln: Die Mörder leben verlässlich in hochpreisigen Immobilien, sie leiden an Wohlstandsverwahrlosung. ZDF und ARD trauen sich keinen Horror: Das eben ist der Unterschied zwischen dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen und den Streamingdiensten Netflix, Amazon Prime und Sky. Wenn ZDF und ARD einen Krimi zeigen, setzen sie moralische Fußnoten. Wenn sich Streamingfirmen an die Arbeit machen, finden sie Moral eher hinderlich. Sie haben nicht den Anspruch, Menschen zu erziehen. Im besten Falle glauben sie, dass Horror reinigt. Die alten Griechen nannten das „Katharsis“. Die neuen Produzenten sagen einfach „Quotenhit“, denn sie haben Erfolg. Wobei natürlich auch der „Tatort“ gute Quoten hat. Doch die Schwelle zum Horror wird selten genommen, sonst schimpft am nächsten Tag die „Bild“-Zeitung: „Wie sittenwidrig setzt ihr unsere Gebühren ein?“ Als Konsens verlassen sich deshalb die öffentlichen Anstalten auf die Moral. „Hausen“ aber kennt keine Moral, Heiner Müller hätte das gefallen. Müller ist einer der wichtigsten Schriftsteller der DDR gewesen, die Plattenbauten hat er „Fickzellen mit Fernheizung“ genannt. Der Volksmund sagte „Arbeiterschließfächer“. Dieser Zynismus ist nicht mehr zeitgemäß. Plattenbauten, die früher offiziell Neubauten hießen, haben mit ihrer stabilen, praktischen Bauweise den verqueren Volksbeglückergestus der SED überlebt. Wenn dort doch mal Horror einzieht, dann als Untermieter für die Spanne einer inspiriert erzählten (Drehbuch: Till Kleinert, zusammen mit Anna Stoeva) und virtuos gefilmten Fiktion (Regie: Thomas Stuber) wie „Hausen“. Der reale Horror aber hat nicht viel mit Plattenbau zu tun, sondern mit dem überhitzten Mietmarkt. Der wiederum passt nicht in das Format der Unterhaltung, sondern gehört in eine gut recherchierte Dokumentation. Hausen, ab 29. Oktober auf Sky Von Lars Grote