So kämpft Maria Simon im letzten Brandenburger "Polizeiruf" um ihr Leben

Am Ende war es auch die Körperhaltung von Maria Simon, die den Filmen ihren Rücken stärkte, es war der kerzengerader Gang der Kommissarin, mit dem sie trotz des durchgedrückten Kreuzes dieses Wippen in die Krimis brachte. Wahrscheinlich fällt erst richtig auf, mit wie viel stiller Wucht sie diese Polizistin Olga Lenski in dem „Polizeiruf 110“ aus Brandenburg gespielt hat, wenn die Stücke in zehn Jahren nochmal laufen, tief in den dritten Programmen. Im Moment wirkt alles noch zu nahe und zu selbstverständlich. Dabei ist ja auch in Echtzeit diese Anmut gut zu sehen, mit der sie auf der Wache, wenn alle nur noch Kaffee trinken, um sich wach zu halten, die Indizien sortiert, so beiläufig und unbeirrt, als würde ihr ein Knopf im Ohr die Lösungen diktieren. Maria Simon hört jetzt auf beim „Polizeiruf 110“, seit 2011 hat sie dort ermittelt. Am kommenden Sonntag läuft ihre letzte Folge „Monstermutter“. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) hat etwas getan, was in der Branche sonst verpönt ist: Er hat die letzten 15 Minuten des Filmes in der Pressevorschau gestrichen. Maria Simon wird als Lenski in Geiselhaft genommen, das Sonderkommando rückt an, um sie zu befreien. Wird die Kommissarin überleben? Das Finale will der RBB vorab nicht streuen, auch nicht fürs Fachpublikum. So gesehen muss man mit dem Schlimmsten rechnen. Seelenruhig, obwohl die Hölle los ist: Auch die letzte Folge ist ein großer Wurf, präzise gezirkelt und seelenruhig erzählt, obwohl die Hölle los ist – weil eine junge, vorbestrafte Mutter Amok läuft. Sie will ihr Kind zurück, es wurde ihr entzogen. Die Seelenruhe hat sich irgendwann als Markenzeichen des märkischen „Polizeirufs“ etabliert, in Reinkultur verkörpert von Maria Simon, die wach durch ihre Krimis schreitet, stets den Wegesrand im Blick. Wer kann sich dieses aufreizende Tempo leisten, gedrosselt, nie in Eile, zumal in einem Flächenland wie Brandenburg, durch das man eigentlich mit Siebenmeilenstiefeln laufen muss, um alle Ecken, Wälder oder Werkzeugschuppen zu durchleuchten, in denen die Verbrecher untertauchen könnten? Maria Simon konnte es. Vielleicht aber noch ausgeprägter ihr Kollege Krause, der im echten Leben wie im Film „Horst Krause“ heißt und niemals Hektik ausgestrahlt hat. Weil er einen Bauch zu schleppen hat, und weil es generell nicht seine Art war, sich dem Takt der anderen zu unterwerfen. Er selbst war Dirigent. Manchmal mit großer Geste, wenn er Regisseure über den kompletten Drehort anschrie: „Du traust mir nichts zu, ich will spielen vor der Kamera, nicht nur in die Gegend glotzen!“ 2015 stieg Krause aus, das Erbe der Gelassenheit wurde von Maria Simon übernommen – ohne Krauses Allüren und dessen Divenhaftigkeit. Ja, auch Simon schien manchmal zu hadern mit der Rolle, wenn man sie nach Feierabend fragte, ob sie eigene Ideen ins Drehbuch einbringen konnte. Dann lächelte sie ausdruckslos und sagte: „Nächste Frage!“ Zum Abschied gibt sie keine Interviews, doch wer mit ihr gesprochen hat über die Jahre, der wunderte sich immer wieder, warum sie nicht privat auch diese Sakkos trug und diesen akkurat geflochtenen Zopf, mit dem sie in die Krimis stieg. Die Garderobe schien so stimmig, dass man sich erstmal erschreckte, wenn sie zum Gespräch in Adidas-Trainingsjacke und Hipster-Wollmütze erschien. Sie wirkte dann wie eine Nachtgestalt, die sich nach Lärm und Punk sehnt, nicht mehr nach den märkischen Alleen, die so viel Horizont und Würde atmen. Würde ist eines der großen Wörter von Maria Simon. „Es glaubt doch keiner, dass die am meisten Geld verdienen, die das größte Talent haben oder die beste Leistung liefern“, hat sie in einem der Gespräche erzählt. Bezahlung sei immer auch ein Resultat von Kontakten und Netzwerken. Sie selbst hat vier Kinder, zweimal im Jahr spielte sie im Brandenburger „Polizeiruf 110“. Simon hat überlegt, „ob es sinnvoller ist, Hartz IV zu beantragen, unterm Strich bringt das mehr Sicherheit für die Familie.“ So sieht es also aus, dass eine der besten deutschen Schauspielerinnen nicht richtig leben kann von ihrer Arbeit. Maria Simon wurde am 6. Februar 1976 in Leipzig geboren. Der Durchbruch als Schauspielerin gelang ihr bei den Internationalen Filmfestspielen 2003 in Berlin, wo sie mit zwei Filmen im Wettbewerb vertreten war. Sie spielte die Schwester der von Daniel Brühl dargestellten Hauptfigur in „Good Bye, Lenin!“ und die Übersetzerin für Russisch-Deutsch in „Lichter“. Im Brandenburger „Polizeiruf 110“ spielte Maria Simon von 2011 bis 2021 die Kommissarin. Ihre Vorgängerinnen waren Katrin Sass (1993-1998), Jutta Hoffmann (1999-2002) und Imogen Kogge (2002-2010). Auf Simon wird der Schauspieler André Kaczmarczyk folgen. „Polizeiruf 110“ mit der Folge „Monstermutter“ am kommenden Sonntag, 31. Januar 2021, um 20.15 Uhr im Ersten. Den Abschied hat sie, anders als ihr alter Partner Krause, über den sie sagte, „wir sind doch vor der Kamera ein grundverschiedenes, schön anzuschauendes Gespann“, manierlich hingekriegt. „Was kommt, steht in den Sternen, ich weiß nur, ich muss weiter ziehen, weiter lernen und Neues entdecken“, sagt sie. Krause hatte damals hingeworfen, mit viel Lärm. Der MAZ hat er erzählt, bevor der RBB das offiziell verkünden konnte, dass er nicht mehr will. „Die Drehbuchschreiber und die Redaktion können mit der Filmfigur Horst Krause offensichtlich nicht mehr so viel anfangen“, klagte er, „sie ist mehr und mehr zur Nebenfigur geworden.“ Nach Krause kam Lucas Gregorowicz, mit dem der Brandenburger „Polizeiruf 110“ aus der Idylle des Potsdamer Umlandes in die nervöse Grenzregion von Frankfurt (Oder) zog. Die Temperatur der Krimis sank. Die Storys wurden prekärer, mitunter asozialer. Mehr denn je war Simons Ruhe und Menschlichkeit gefragt, sie gaben den Geschichten ein Gefühl von Echtheit. Auf Maria Simon folgt ein Mann. André Kaczmarczyk wird den Kommissar künftig neben Gregorowicz spielen. Fast geht das durch als Akt der Gleichberechtigung: Seit Beginn des Brandenburger „Polizeirufs“ anno 1993 spielten stets Frauen die erste Geige im Ermittlerteam, erst Katrin Sass, dann Jutta Hoffmann, Imogen Kogge, schließlich Maria Simon. Nun müssen die Männer zeigen, ob sie der Mark gewachsen sind. Lesen Sie auch: André Kaczmarczyk löst Maria Simon im "Polizeiruf" ab Maria Simon präsentiert "Riot Club" im Potsdamer Filmmuseum Von Lars Grote