Wie ein Chor in Eichwalde trotz Corona singt und probt

Mit Martina Büttner kommt man schnell zum Punkt, zügig legt sie Hand an, um zu heilen. Was daran liegen könnte, dass sie Krankenschwester ist, auf der Intensiv- und auf der Krebsstation. Sie wählt Dur, nicht Moll als Ton, sie spricht, als lese sie von einer Partitur, sie stockt nicht, manchmal lacht sie, wenn sie auf Absurditäten stößt. Was daran liegen könnte, dass sie nicht nur Krankenschwester, sondern auch die Leiterin des Nachwuchs-Chores in Eichwalde (Landkreis Dahme-Spreewald) ist. Chöre haben es während Corona besonders schwer. Auch in Eichwalde ist das so. Virologen fürchten, dass beim Singen kleine Tröpfchenkerne aus dem Mund treten, sogenannte Aerosole. Sie sind so leicht, dass sie über größere Distanzen von der Luft getragen werden – und dadurch zu Ansteckungen führen. Seit Mitte März führt Martina Büttner „Corona-Tagebuch“, erzählt sie, es ist das Netz, das sie spannt, um sich vor dem freien Fall zu schützen. Enormer Stress im Krankenhaus bei ihrer Arbeit, dann die Suche nach den Proberäumen, immer wieder muss sie neu organisieren. Zwischendurch hat sie gedacht: „Ich höre auf beim Chor, ich muss immer kämpfen!“ Doch dann spürte sie, „ich brauche dieses Singen mit den Kindern, es hält mich jung.“ Der Landesmusikrat Brandenburg sucht große Proberäume für Chöre, wo das gemeinsame Singen unter Corona-Bedingungen möglich ist. Gerade an Unternehmen und Verwaltungen wird appelliert, sich mit Angeboten zu melden. Wegen der Abstandsregeln brauchen Chöre und Ensembles große Räume, teilte der Landesmusikrat mit. „Das können sein: Werk- oder Fabrikhallen, Sporthallen, Mehrzweckhallen, Parkdecks in Parkhäusern, Kirchen, Gemeindesäle und ähnliches.“ Offerten, insbesondere, wenn Räume am Abend verfügbar sind, an: info@landesmusikrat-brandenburg.de In ihre Nachwuchsgruppe der Chorgemeinschaft Eichwalde kommen Mitglieder zwischen sechs und 16 Jahren, derzeit ist sie gute 35 Stimmen stark. Der ursprüngliche Proberaum ist im Moment zu klein, weil zwischen den Sängerinnen und Sängern 1,5 Meter Abstand herrschen muss, zu ihr als Leiterin braucht es sechs Meter. Also ging Martina Büttner mit den Kindern und Jugendlichen in die Aula des benachbarten Gymnasiums. „Nach den Ferien hat das Schulamt die Entscheidung revidiert, es hieß, dass schulfremde Personen dort nicht proben dürfen.“ Martina Büttner fragte bei der evangelischen Kirche des Ortes nach, man sagte ihr, singen dürften dort nur sechs Personen, wegen der Hygienebestimmungen. Also hat sie sich erkundigt, ob eine Sporthalle verfügbar sei. Nein, alle besetzt, weil die Vereine wieder in den Hallen sind. Die katholische Kirche? Zu klein. Blieb der Nachbarort: Schulzendorf. Dort liegt die Patronatskirche, die als Kulturzentrum genutzt wird. Proben sind erlaubt, die Abstände können gewahrt werden. Doch wie sollen die Kinder zu den Treffen kommen? Zum Laufen ist es zu weit. Nicht alle können alleine Fahrrad fahren. Also braucht es Fahrgemeinschaften der Eltern. Drei Elternpaare haben gesagt, sie schicken ihre Kinder erst wieder zum Chor, wenn ein Impfstoff gefunden ist. Die Patronatskirche in Schulzendorf bekommen sie nur alle 14 Tage, in den Wochen dazwischen geht Martina Büttner je mit einer Halbgruppe von etwa 15 Kindern in die Alte Feuerwache von Eichwalde, die zu klein für 30 Kinder ist. Während der Proben stehen sie im Kreis, alle Abstände werden gewahrt. Büttner ist medizinische Fachkraft, sie weiß, dass ein laxer Umgang mit dem Virus schlimme Folgen haben kann. Doch sie sagt auch: „Vor allem die Lautstärke entscheidet darüber, wie weit die Aerosole fliegen.“ Bei Kindern sei die Distanz nicht so weit wie bei Erwachsenen. „Wenn Kinder auf dem Schulhof oder in der Freizeit schreien, brüllen oder toben, sind sie lauter als beim Singen.“ Es gebe kein plausibles Maß, wie die Chorarbeit zu planen sei, beklagt Martina Büttner, „Ministerien und Ämter geben unterschiedliche Auskünfte.“ „Wir müssen unsere Gemeinschaft pflegen, Kinder brauchen regelmäßigen Kontakt, sonst haben sie keine Lust mehr“, sagt sie. Darum ist Büttner im Lockdown an die Gartenzäune gekommen, um mit den jungen Leuten zu reden und zu lachen. Sie haben ihr Briefe geschrieben, „der Chor ist mein Leben“, stand in einem, andere Kinder haben ihr ein Kissen genäht. Martina Büttner war gerührt. Leider reichen in diesen Zeiten keine großen Gefühle. „Ich rechne nicht mit Weihnachtskonzerten“, sagt sie. Auch das Chorlager im Herbst hat sie gestrichen. Dem gemischten, älteren Chor in Eichwalde geht es nicht besser. Sie proben per Videokonferenz oder in kleinen Gruppen, sie achten darauf, dass alle Stimmen irgendwie vertreten sind, Tenor, Bass, damit es vorne zu einem „Chorklang“ kommt, wie Martina Büttner diesen Zauber nennt – es ist der Gral und die Erfüllung allen Singens. Und die Instrumentalgruppe? „Blasinstrumente dürfen nicht proben, aber Geige und Klavier sind erlaubt.“ Martina Büttner hört den eigenen Worten hinterher, sie weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll über die oft bizarren Grenzziehungen dieser Tage. Dass sie sich fürs Lachen entscheidet, spricht für sie. Und für die Musik, die vielleicht doch so etwas wie Widerstandskraft in sich trägt. Von Lars Grote