"Maria Stuart" am Hans-Otto-Theater in Potsdam

Alice Buddenberg inszeniert „Maria Stuart“ am Potsdamer Hans-Otto-Theater als einen Politthriller mit Überlänge und hinterfragt das Frauenbild des deutschen Nationaldichters. Eine gelungene Premiere vor dem vorübergehenden Abschied in den kulturellen Corona-Lockdown? Worum geht es? Friedrich Schillers „Maria Stuart“ wurde lang genug als ein intriganter Kampf zwischen zwei weiblichen Rollenbildern interpretiert. Auf der einen Seite Elisabeth, Königin von England, als die unterkühlte Machtfrau, auf der anderen Maria Stuart als personifizierte sexuelle Verlockung und „ungelehrtes Weib“ – wie es bei Schiller heißt. Letztlich geht es aber bei dem Duell der um ihren Thron fürchtenden englischen Königin und der aus ihrem Land gejagten Königin von Schottland um einen machtpolitischen Konflikt. Und dieser lässt sich auch auf das heutige Gerangel zwischen Regierung, Opposition und Lobbyisten beziehen. Welche Schauspielerinnen haben am meisten überzeugt oder enttäuscht? Mit Spannung erwartet wurde vor allem der erste Auftritt des neuen Ensemblemitglieds Janine Kreß. Sie verkörpert als Maria Stuart keine betörende Männermörderin, sondern eine Frau, die streng mit sich und anderen ins Gericht geht und genauso gefangen ist im Machtapparat ihrer Zeit und sich nach persönlicher Freiheit sehnt wie ihre Gegenspielerin. Die aber, gespielt von Kristin Muthwill, ist der eigentliche Star des Abends. Tritt die Schauspielerin mit rotschöpfiger übergroßer Maske hinter der bühnengroßen Glaswand auf, verströmt sie ein Schaudern wie im Horrorfilm. Nimmt sie sie ab, befreit sie ihre Rolle davon, Marionette ihrer Berater zu sein - so wie es manch einer Inszenierung zuvor gedeutet wurde. Wie hat Alice Buddeberg den Stoff inszeniert? Die Regisseurin reduziert den Klassiker aufs Wesentliche – den Kampf um Macht. Mit Ausnahme der grellen Königinnenmaske dominieren Schwarz und Weiß die Optik, die männlichen Bewacher und Zuflüsterer bleiben lange Zeit hinter einer Glaswand. Die Inszenierung kommt rüber als eine Mischung aus Kammerspiel und Politthriller. Was waren die Höhe- oder Tiefpunkte des Abends? Das Aufeinandertreffen der Königinnen bei einem kurzen Ausflug von Maria Stuart aus ihrem Gefängnis bildet die Schlüsselszene des Abends. Die Gegenspielerinnen wirken - so gefangen wie sie im Spiel der Macht sind – wie zwei Menschen aus demselben Fleisch, die die Umstände und Erwartungen von Volk und Kirche in unterschiedliche Richtungen treibt. Fazit: Mit sparsamen aber wirkungsvollen bühnentechnischen Effekten und voller darstellerischer Wucht verabschiedet sich das Hans-Otto-Theater in den nächsten kulturellen Lockdown. Trotz mancher Längen der fast dreistündigen Inszenierung ist ein Besuch absolut zu empfehlen. Und das ist ja das Absurde unserer Zeit: Wann ein solcher Besuch nach der Premiere wieder möglich ist, wird nicht das Theater beantworten können. Die Entscheidung bleibt allein den Machtpolitikern und -politikerinnen von heute überlassen. Von Maurice Wojach