"Sea and Sun": Biennale-Gewinner aus Litauen soll nach Luckenwalde kommen

Es war der Publikumsrenner auf der Kunstbiennale in Venedig vor zwei Jahren. In Scharen strömten die Besucher zum Litauischen Pavillon, obwohl der nicht in den Arsenalen oder den Giardini stand. Dort, wo normalerweise die großen Kunstattraktionen zu finden sind. Die Performance „Sun and Sea“ des litauischen Künstlerinnen-Trios Rugile Barzdžiukaite, Vaiva Grainyte und Lina Lapelyte wurde etwas abseits in einem militärischen Sperrgebiet aufgeführt. Opernperformance aus Litauen: Und was da zu sehen war, wirkte zunächst recht unspektakulär. Rund 20 Urlauber hatten sich auf einem Strand breit gemacht, sonnten sich auf ihren Liegestühlen und Handtüchern. Doch plötzlich fingen welche an zu singen – Texte, die es in sich hatten. Wer das Spektakel damals verpasst hat, kann sich auf eine Wiederaufführung freuen. Denn in diesem Sommer soll die Performance, die auf der Biennale 2017 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, in Luckenwalde (Teltow-Fläming) zu sehen sein. Das Künstlerpaar Helen Turner und Pablo Wendel, das vor zwei Jahren das ehemalige Braunkohle-Kraftwerk in Luckenwalde übernommen und zu einer Werkstatt für zeitgenössische Kunst entwickelt hat, will die Strandoper „Sun and Sea“ im benachbarten Stadtbad an drei Tagen aufführen. „Das ist ein idealer Standort, um das Stück eins zu eins nochmals zu zeigen“, sagt Pablo Wendel. Und so werden sich auch im Luckenwalder Stadtbad im Sommer singende Schauspieler im Sand räkeln und von einer imaginierten Sonne die Haut rot bräunen lassen. Sie spielen mit den Kindern im Sand, lesen Zeitung, machen Gymnastik, starren auf ihre Handys, schlürfen ihre Getränke und unterhalten sich. Die Strandgesellschaft singt Arien, Duette, Chöre: Was auf den ersten Blick so harmlos und eher langweilig erscheint, entwickelt sich allerdings mit der Zeit zu einer boshaft sarkastischen Satire. Ohne ihre Position zu verändern, beginnen sie wie beiläufig zu singen. Es erklingen Arien, Duette, ganze Chöre, doch deren Texte wollen immer seltener zur dargestellten Freizeitstimmung passen. Da ist zum Beispiel die gutbürgerliche Ehefrau mit dem Leopardenhandtuch auf dem Liegestuhl, die davon singt, wie ihr achtjähriger Sohn schon in so vielen Gewässern der Welt geschwommen ist. Dank des Einkommens ihres Gatten kann es sich die Familie leisten, in jedem Urlaub um den halben Globus zu jetten. Und da ist ihre Nachbarin, die laut darüber nachdenkt, was daran so schlimm ist, bei dieser Hitze Bier zu trinken. Es sind solche Banalitäten die sich Gesang an Gesang reihen, bis langsam klar wird, dass es um die globalpolitische Dimension dieser sonnenverbrannten Wohlstandsidylle geht. Wenn die junge Schönheit auf einem der Handtücher im Sand die bunten Farben auf dem Wasser besingt und dabei die vielen Plastiktüten, Flaschen und roten Kronenkorken aufzählt, dann scheint langsam auf, über welchem Abgrund dieser Lebensstil balanciert. Eine andere Sonnenanbeterin berichtet von den Pfifferlingen, die sie vergangene Weihnachten im Wald gefunden hat, weil es so warm war. Lesen Sie auch Menschen unter Glas Das Leben nach der Mauer Moderne Oper soll im alten Stadtbad von Luckenwalde aufgeführt werden Kunststrom geht im E-Werk ans Netz Spätestens beim finalen Chor, wenn die versammelte Freizeitgesellschaft vom Meer trällert, das in diesem Jahr so grün sei wie der Wald, und im Kopf der Zuschauer die Bilder von veralgten Gewässern auftauchen, tritt der alltägliche Wohlstandszynismus angesichts von Klimawandel und Umweltverschmutzung offen zu Tage. Erfreulich an dem Stück der litauischen Künstlerinnen ist allerdings, dass es die moralische Belehrung des Publikums unterlässt und einfach nur abzubilden versucht, was selbstverständlicher Alltag ist. Der Klimawandel ist allgegenwärtig: Das ist auch der Anspruch der Luckenwalder Veranstalter. „Wir fanden die Performance einfach toll“, sagt Pablo Wendel. Es gehe ihnen nicht um das „Man-darf-nicht“ und das „Man-soll-nicht“. Sie wollten nur das Problem vergegenwärtigen – und das mit den Mitteln der Kunst. Doch bis es soweit sein wird, sind in Luckenwalde noch einige Hürden zu nehmen. Nicht nur Corona ist ein Risiko, weshalb möglicherweise anstatt 200 nur etwa 70 Besucher gleichzeitig in das Stadtbad gelassen werden können. Dieses muss für die Performance zudem mit Sand aufgefüllt werden, damit das typische Strandambiente entsteht. 150 Tonnen Sand kommen ins Luckenwalder Stadtbad: Dafür sollen 150 Tonnen Sand aus einer nahe gelegenen Kiesgrube angekarrt – und später selbstverständlich wieder entfernt – werden. Damit die Sängerinnen und Sänger sich in ihren Bikinis und Badehosen bei den mehrstündigen Aufführungen nicht erkälten, muss der Sand beheizt werden. Das E-Werk in Luckenwalde als Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst gibt es seit 2017. Die Betreiber des E-Werkes propagieren zugleich die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energieträger. Zur Finanzierung der Performance „Sun and Sea“ im Stadtbad Luckenwalde sammelt sie Geld über das Crowd-funding-Portal „kickstarte r“. Dort kann das Projekt noch bis 11. April unterstützt werden. Inklusive der Honorare für das 40-köpfige Team aus Sängern, Technikern und Maskenbildnern rechnet Wendel mit Kosten in Höhe von 100 000 Euro. Ein Teil werde über Sponsoren und Eintrittsgeld zusammen kommen. 40 000 versucht das Künstlerpaar über Crowdfunding einzuspielen. Nur wenn diese Summe zusammenkommt, wird alles stattfinden. Die Aktion läuft noch bis Sonntag. Bis Donnerstag waren 37 588 Euro zusammengekommen. Pablo Wendel ist optimistisch, dass der Rest bis zum 11. April noch eintrudelt. Von Mathias Richter