Stefan Jürgens will „raus aus der Komfort-Zone“

Wenn er nicht gerade auf Konzert-Tour war, drehte der Musiker und Schauspieler Stefan Jürgens in den vergangenen Jahren neue Folgen Fernsehserie Soko Wien. Damit soll es bald vorbei sein. Nach 14 Jahren steigen Sie aus der erfolgreichen Fernsehserie Soko Wien aus. Wie kommt’s? Stefan Jürgens: Ich habe davor ja noch zwei Jahre lang den Berliner Tatort gemacht. Nach insgesamt 16 Jahren Verbrecherjagd habe ich einfach Lust auf neue Abenteuer. Raus aus der Komfort-Zone! Aber das muss ein sehr spontaner Entschluss gewesen sein. Noch im März haben Sie auf die Frage, ob Sie der Serie treu bleiben, mit einem „selbstverständlich“ geantwortet. Was ist passiert? Ich habe im März einen Vertrag für ein Jahr unterschrieben. Ich lege mich nie länger fest. Insofern ist es aus meiner Perspektive schon sehr ungewöhnlich, dass ich 14 Jahre lang dieselbe Sache gemacht habe. Und was ist das für ein Gefühl, wenn man nach so vielen Jahren die Lederjacke und damit die Rolle des raubeinigen Major Carl Ribarski an den Nagel hängt? Das sind natürlich durchaus gemischte Gefühle, denn schließlich ist mir der Ribarski doch sehr ans Herz gewachsen. Wenn man so lange mit einer Figur gearbeitet hat, kommt ja auch eine gewisse Art von Selbstverständlichkeit hinzu. Aber es ist auch ein schönes Gefühl von Befreiung und ich spüre eine sehr lustvolle Konzentration auf das, was kommen wird. Und was kommt? Im März erst mal hoffentlich meine nächste Tour nach diesem schweren und existenziell anstrengenden Corona-Jahr – und auch wenn es vielleicht vor nur ganz wenig Publikum sein kann. Aber ich finde, man muss ein Zeichen setzen. Das es weitergeht . Man hört, Sie hätten zwei neue Filmstoffe in der Entwicklung. Was ist konkret geplant? Ein Grund, warum ich aus der Soko aussteige, ist, dass ich auch wieder andere Genres spielen möchte. Ich habe Komödien, Comedy und Dramen gemacht und mich nun sehr lange auf das Krimi-Genre beschränken müssen. Und da ich gelernt habe, dass man die Dinge selbst in die Hand nehmen muss, habe ich begonnen, selber Stoffe entwickeln zu lassen. Und worum soll es in diesen Stoffen gehen? Das eine ist ein komödiantischer, gesellschaftskomischer Stoff und das andere wird ein sehr intensives, emotionales Drama werden. Mehr will ich dazu noch nicht sagen. Was reizt Sie an Komödien? Bei einer wirklich gut gemachten Komödie ist relativ wenig dem Zufall überlassen. Das erfordert gutes Handwerk und hohe Präzision. Eine komische Situation ist eben ein Lacher oder keiner. Da kann man sich nicht drum herumschummeln. Man muss die Sachen auf den Punkt bringen. Und wirklich komische Situationen entstehen meist aus sehr ernsthaften Momenten. Und vor allem : Es macht riesigen Spaß! Wäre nach so viel Verbrecherjagd auch eine Rückkehr ins Comedy-Fach verlockend? Ich habe ja schon so viel hinter mir, dass ich einen Teufel tun werde, generell irgendetwas auszuschließen. Der Geist von „Kentucky schreit ficken“ aus RTL-Samstag-Nacht-Zeiten ist noch da? Nein, nein. Das war eine wunderbare Geschichte, die lange, lange her ist. Und das soll sie bitte auch bleiben. Aber die Möglichkeit, in einer heutigen Comedy zwischendurch mal wieder so richtig auf den Putz zu hauen, kann ich mir sehr gut vorstellen. Sie waren Theater-Schauspieler in Köln, bei RTL-Samstag Nacht, dann Tatort, Soko Wien. Aus allen Engagements sind Sie abrupt ausgestiegen. Sind Sie sprunghaft? Sprunghaft ? Nach 14 Jahren ? Aha. Aber im Ernst , jede dieser Entscheidungen ist letztlich ein längerer Prozess. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Kopf zwar viel diskutieren kann, aber die eigentliche Stimme, die dann entscheidet, kommt aus dem Bauch - und das kann manchmal dauern.Irgendwann wacht man dann auf und weiß, die Entscheidung ist jetzt da. Aber der geht natürlich eine lange Diskussion im Kopf voraus. Nach außen wirkt das dann vielleicht abrupt. Gerade in Corona-Zeiten, in denen viele Künstler um ihre Existenz bangen, war der Bullen-Job bei der Soko Wien doch immerhin ein sicherer Arbeitsplatz. Sind Sie ein mutiger Mensch? Um Sicherheit ist es mir eigentlich noch nie gegangen. Aber klar, natürlich denkt man auch darüber nach. Nur gibt es eben Situationen, die einem das Gefühl vermitteln, jetzt ist der richtige Moment da. Bisher haben mich diese Entscheidungen immer beflügelt und mich angespornt, nach vorne zu gucken. Das ist ja zurzeit nicht so einfach. Wie sind Sie bislang durch die Corona-Zeit gekommen? Ich habe den ersten Lockdown sehr zurückgezogen erlebt – mit vielen inneren Auseinandersetzungen, wie andere auch. Denn wir sind ja alle Menschen, die an gewissen Gewöhnungsprozessen hängen, die plötzlich unterbrochen waren. Aber ich bin auch Jemand, der mit Abgeschiedenheit und Stille sehr gut umgehen kann. Und so habe ich diese ersten Corona-Monate auch als eine sehr kreative Zeit erlebt. Und was ist in dieser Kreativitätsphase entstanden? Zunächst mein Klangstall-Projekt. Das entstand aus dem Bedürfnis, aus der Zeit, die einen zum Nichtstun verurteilte, doch etwas Sinnvolles zu machen, das auch in die Zukunft reicht. Klangstall klingt gut. Das ist ein zum Tonstudio umgebauter Kuhstall in der Prignitz mit einem Mini-Konzertsaal für eine Hand voll Zuhörer. Oder wie muss man sich das vorstellen? So ungefähr. Bullerbü mit Hausmusik (lacht). Ich habe einen schönen alten Rinderstall der höchstens mal für eine Feier genutzt wurde. Und da haben wir innerhalb von zwei Monaten einen sehr kleinen, gemütlichen Konzertsaal reingebaut und mit einer ziemlich guten Technik dafür gesorgt, dass man dort Online-Konzerte machen kann, um dieser konzertlosen und auftrittslosen Zeit etwas entgegenzusetzen. Wir haben ein schönes, intimes Showkonzept entwickelt, mit wunderbaren MusikerInnen, Standup Comediens und Und PoetryslamerInnen, inclusive Landleben und Lagerfeuer. Stefan Jürgens wurde 1963 in Unna geboren. Der Musiker und Schauspieler lebt auf einem Bauernhof in der Prignitz. Während des ersten Corona-Lockdowns hat er dort das Online-Konzert-Projekt „Klangstall“ entwickelt. Exklusiv für MAZ-Leser zeigen wir Ausschnitte aus den bisherigen Klangstall-Konzerten: maz-online.de/klangstall2 Ein paar Zuschauer sind also live dabei und alle anderen können sich das Stall-Konzert später online anschauen? Genau. Die Sendungen werden – on demand – im Internet zur Verfügung gestellt. Die Zeit für kostenlose Streamingkonzerte ist definitiv vorbei. Nach den drastischen Rückgängen zum Beispiel der CD-Einnahmen durch Spotify etc. und den nun flächendeckenden Konzertabsagen durch Corona müssen wir Musiker neue Wege finden, um für unsere Arbeit angemessen bezahlt zu werden. Man kauft sich für zehn Euro einen Code auf der Internetplattform Vimeo und damit kann man sich jede Sendung vom ersten Sendungstag an 30 Tage lang so oft man möchte anschauen. Alle gesendeten Shows sind dort so jederzeit verfügbar. Für die Zuschauer ist das ein fairer Preis und für uns Musiker ein Versuch, langfristig wieder Geld zu verdienen. Wer macht da alles mit? Es war eine fantastische Erfahrung. Die Idee ist etwa drei Monate vor der ersten Ausstrahlung geboren. Zwei Monate vorher begannen wir, Gäste anzufragen und die Resonanz ist enorm. Zu den ersten Sendung kamen Stefan Stoppok, Tom Beck und Naima Husseini. In der kommenden Sendung am 4. Advent sind Sofia Portanet, Tom Lüneburger und Torsten Sträter dabei. Wie viele Folgen wird es geben? Wir haben bislang sechs Folgen produziert. Die dritte läuft jetzt am 20. Dezember ab 18 Uhr. Die nächsten Sendungen sind im Zwei-Monats-Rhythmus geplant. Und spätestens ab Mai kommenden Jahres möchte ich unbedingt monatlich senden. Ende offen. Lesen Sie dazu auch: Stefan Jürgens startet in der Prignitz Konzertreihe im Kuhstal l Vom Klamauk zum Klavier-Poeten: MAZ-Konzert mit Stefan Jürgens Stefan Jürgens und Helene Kowalsky lesen Fontane Von Mathias Richter