Weihnachtsbraten in Corona-Zeiten: Wie ein MAZ-Reporter zum Vegetarier wurde

Es gibt Gans zum Fest, sagte die Schwiegermutter. Auf ihre Speisekarte ist Verlass. So sehr, wie auf die Erstrundensiege von Bayern München gegen Dorfklubs aus der Wald-und-Wiesen-Liga. Es gibt Dinge, die ändern sich nicht. Sie werden erwartet, und wenn sie ausfallen, gibt es Kritik. Oder Spott. Die Gans ist für mich längst ein Wappentier der Weihnachtszeit. Es gab Jahre, da habe ich mich eingehend mit diesem Tier befasst. Nein, nicht mit dem Tier, sondern mit seiner Zubereitung. Menschen können sehr lange über Gewürze, Gänse und Garzeiten reden, es macht sie glücklich. Ich verstehe das. Auch in meinem Ofen lag die Gans. Sie kam aus Dithmarschen, mir wurde Freilandhaltung zugesichert, die man sich gut bezahlen ließ. Ich war mit mir im Reinen. Da oben an der Nordsee bin ich gerne, und wenn das Tier dort lebte, mit reichlich Beinfreiheit, dann war sein Leben nicht umsonst. Dachte ich. Corona gibt den Takt vor: Doch nun fällt meine Gans aus. In diesem Jahr ist vieles ausgefallen. Warum jetzt auch der Weihnachtsbraten? Im Jahr 2020 ist die Pandemie die Wurzel für fast alles. Wie für viele andere, war es auch für mich ein Seuchenjahr, glücklicherweise nicht gesundheitlich. Ich kam ungeschoren davon. Doch persönliche Planungen gingen in die Brüche, Geld ging verloren, Nerven lagen blank. Was ich immer stärker spürte: Corona treibt mich vor sich her, es macht mit mir, was es will. Corona legt vor, ich muss parieren. Das ging nicht ewig gut. Mal half ein Flaschenbier, mal eine Tafel Schokolade, um die Schwermut zu betäuben. Doch das sind nur Pflaster, die etwas verdecken. Es fällt unter die Optik, kein Vergleich zu einer heilsamen Operation. Mein eigenes Leben: Wenn es etwas zu operieren gibt, rein seelisch, dann musste ich das selbst erledigen. Es war nicht an der Zeit, jemanden zu fragen: Kannst du mich aufheitern, kannst du mir helfen? Denn alle steckten im Schlamassel. Im Familienkreis ist sowas möglich, doch das wirkt nur auf privater Ebene. Dünnhäutig bin ich trotzdem geworden. Das Klima war zu rau in diesem Jahr, um alles abperlen zu lassen. Ich wollte wieder selbst etwas entscheiden, mein eigenes Leben führen. Erschöpft wie Nietzsche: Und irgendwann saß ich halt über diesen Spareribs. Ich nagte am Knochen, es schmeckt mir nicht. Ich hatte nicht mehr die Robustheit, ein Tier zu essen. Ich dachte nicht mal an Tönnies und seine Fleischfabrik. Ich dachte, und vielleicht klingt das absurd, an Friedrich Nietzsche. Ein Philosoph, der von 1844 bis 1900 lebte, die letzten zehn Jahre in geistiger Umnachtung. Im Jahr 1889 ist er in Turin vor einem Droschkengaul zusammengebrochen, aus Mitleid, weil das Tier so heftig gepeitscht wurde. Nietzsche, der mit strammer Rhetorik und einem Zug zum Muskelspiel den Übermenschen ausgerufen hat, selbst aber kränklich und sensibel war, kam mir in den Sinn, weil auch ich vor diesen Spareribs vielleicht nicht zusammenbrach, aber ein Gefühl von Mattheit spürte. In der Vaterrolle: In anderen Jahren wäre das nicht vorgekommen, ich bin mir sicher. Meine kleine Tochter drängt mich in die Rolle des Erziehers. Sie fragt mich, ich soll antworten. Wer in der Rolle des Antwortgebers lebt, als Eltern, als Chef, als Experte, der muss sich die ganz großen Zweifel vom Leib halten, so gut es eben geht. Jeder spürt, dass er und sie nicht alles wissen kann, doch als Eltern, Chef oder Experte will man nicht zu häufig, „ähm, weiß ich auch nicht so genau“ nach draußen rufen. Weil man dann als Chef oder Experte abgesetzt wird. Als Vater kann ich nicht abgesetzt werden. Aber ich kann als „lame duck“ verspottet werden. Als lahme Ente, deren Zeit vorbei ist, und der man auf der Nase tanzt. Vegetarischer Nussbaten, sechs Portionen, nach Jamie Oliver Zutaten: Nuss-Braten 100 g Quinoa 500 g Butternusskürbis mit Schale 2 Zwiebeln 2 Sellerie-Stangen 200 g Esskastanien gegart 2 Zweige Rosmarin 1 TL geräuchertes Paprikapulver 1 TL Oregano 2 große Champignons 1 Zitrone (unbehandelt) 60 g Semmelbrösel 120 g getrocknete Aprikosen 150 g gemischte Nusskerne 4 Eier 40 g Cheddar Tomatensauce 3 große Chilischoten 1 Zimtstange 2 Knoblauchzehen 1 Bund Thymian 2 geröstete rote Paprikaschoten aus dem Glas (ca. 250g) 2 Dosen Tomaten 1 EL Balsamico (weiss) Zubereitung: Quinoa heiß waschen und mit der doppelten Menge Wasser ohne Salz kochen, bis das Wasser aufgesogen ist. Das Quinoa darf wie Reis noch etwas Biss haben. Das dauert ca. 20 - 25 Minuten. Überschüssiges Wasser abgießen und zum Abkühlen in eine große Schüssel geben. In der Zwischenzeit das Röstgemüse vorbereiten. Dazu den Kürbis, die Zwiebeln und die Selleriestangen in ca. 2 cm dicke Würfel schneiden und in eine große Bratenröhre oder auf ein Backblech geben. Die Esskastanien (Maronies) dazubröckeln und die grob gehackten Rosmarinnadeln dazu geben. Mit Paprika, Oregano, Pfeffer und Salz würzen. 2 EL Olivenöl dazu geben und alles kräftig durchmischen. Im Ofen bei 180°C für ca. 30 - 40 Minuten rösten. Kurz vor Ende noch die geschnittenen Champignons dazu geben. Diese brauchen nicht solange, daher kommen sie erst ganz am Schluss dazu Wenn der Kürbis weich ist, das Gemüse aus dem Ofen nehmen und zu dem Quinoa schütten. Etwas abkühlen lassen, sonst verbrennt man sich bei den weiteren Arbeitsschritten die Finger Die Hälfte der Zitronenschale reiben und dazugeben. Aprikosen und Nüsse grob hacken und ebenfalls zu den anderen Zutaten geben. Zum Schluss kommen noch die Semmelbrösel und die Eier dazu. Das alles wird einmal kräftig durchgemischt und kommt dann in eine Kastenform. Die Kastenform sollte zuvor mit Backpapier ausgelegt werden. Backpapier abmessen, zerknüllen und mit Wasser anfeuchten. Wenn man das Papier jetzt wieder auseinander faltet, lässt sich damit ganz einfach die Form auskleiden. Die Bratenmasse in die Form geben und glatt streichen. Im Ofen bei 180°C für gut 45 Minuten backen. Scharfe Tomatensauce Während der Braten im Ofen ist, lässt sich sehr entspannt die Sauce zubereiten. Dazu auf dem Herd in einem flachen Bräter etwas Öl erhitzen und die Chilis und Zimtstangen für ca. 5 Minuten anrösten. Die Chilis davor einmal der Länge nach halbieren, so dass sie am Stilansatz aber noch zusammen hängen. Wenn die Chilis Farbe bekommen haben, diese und die Zimtstange erst mal aus dem Bräter nehmen. Den Knoblauch schälen, in feine Scheiben schneiden und zusammen mit dem Großteil der Thymianblätte im Öl anschwitzen. Die Paprika aus dem Glas nehmen und abtropfen lassen. Grob hacken und zum Knoblauch geben. Die Tomaten mit einer Dose Wasser einem kräftigen Schuss Balsamico-Essig dazu geben und mindestens 20 Minuten köcheln lassen. Mit Salz würzen. Den Braten nach Ablauf der Zeit aus der Form nehmen, vom Papier lösen und in die Sauce geben. Den Käse reiben und auf den Nussbraten verteilen. Eine Chilischote und die restlichen Thymianzweige darauflegen und mit etwas Öl beträufeln. Die anderen Chilischoten so wie die Zimtstange wieder in die Sauce geben und das ganze noch mal für 15 Minuten in den Ofen schieben, bis der Käse schön geschmolzen ist. Vor dem Servieren den Braten noch mal ein paar Minuten ruhen lassen. Je nachdem, wie scharf man es mag, die Chilis fein hacken und unter die Sauce rühren. Thai-Curry mit Süßkartoffeln, Aubergine, Zuckerschoten und Kokosmilch Zutaten für 4 Personen: 4 Süßkartoffeln 2 Auberginen 400 g Zuckerschoten 800 ml cremige Kokosmilch 2 EL Kokosöl 4 EL gelbe Currypaste 2 Stangen Zitronengras 4 Kaffir-Limettenblätter Palmzucker Salz optional als Beilage: Basmati- oder Jasminreis Zubereitung: 1. Aubergine waschen und in Würfel von etwa einem Zentimeter Kantenlänge schneiden. In einem Sieb kräftig salzen und 30 Minuten ziehen lassen. 2. Den cremigen, festen Teil der Kokosmilch in einem beschichteten Wok langsam erhitzen und schwach köcheln lassen, bis sich das enthaltene Kokosfett als durchsichtige Blasen auf der Oberfläche absetzt. Dabei immer wieder umrühren, insgesamt dauert dieser Vorgang etwa zehn Minuten. 3. Währenddessen Süßkartoffeln schälen und in Würfel schneiden. Zuckerschoten waschen und abtropfen lassen. Zitronengras waschen, längs halbieren und die äußere Schicht entfernen. 4. Hat sich das Fett der Kokosmilch abgesetzt, das zusätzliche Kokosöl sowie die Currypaste hinzugeben und glatt rühren. Bei starker Hitze etwa drei Minuten köcheln lassen. Restliche Kokosmilch sowie etwas Salz dazuschütten. Limettenblätter und Zitronengras hinzufügen. 5. Auberginenwürfel kurz abbrausen und gemeinsam mit der Süßkartoffel in den Wok geben. Bei geschlossenem Deckel und mittlerer Hitze 15 bis 20 Minuten köcheln lassen. Zuckerschoten zugeben und weitere fünf Minuten kochen, bis die Schoten weich sind. Das Curry mit Palmzucker (alternativ braunem Zucker) und Salz abschmecken. Ente? Nein, es waren Spareribs. Fleisch und viele Knochen. Knochen heben das Fleisch über die Mahlzeit hinaus. Ein merkwürdiger Gedanke, den ich hatte, doch die Knochen haben mich daran erinnert, dass dieses Schwein mit Knochen auf die Welt kam, um sich zu stützen, sich zu wappnen und zu laufen. Die Knochen sind nicht dazu da, an ihnen zu nagen. So pastoral denke ich selten. Ich gucke Fußball, ich gucke Formel 1, wenn ein Spieler mit Schmerzen am Boden liegt, wenn ein Rennwagen umkippt, sage ich nüchtern: Gehört halt zum Geschäft! Fehlende Begründung: Merkwürdigerweise kam ich in diesem Seuchenjahr aber erneut auf einen Gedanken, den ich aus der Biblischen Geschichte in der Schule kannte: Das Wort vom Jüngsten Gericht ist hängen geblieben. Nicht als Drohung, denn ich glaube nicht an Gott. Aber schon als Kind dachte ich nach, was dort, vor diesem Jüngsten Gericht, passiert. Kann ich mein Leben plausibel erklären? Ich dachte immer, ja, im Grunde kann ich das – nur dafür, dass ich Tiere esse, habe ich keine echte Begründung. Sie schmecken gut. Reicht das? Vielleicht werde ich nach einem Schnaps mit meiner Schwiegermutter über diese Frage reden. Vermutlich sind wir da verschiedener Meinung. Frohe Weihachten werden wir uns trotzdem wünschen. Gerade in diesem Seuchenjahr. Von Lars Grote