Vätermonate, Elternzeit, Teilzeit: Die Kämpfe zwischen Eltern und Kinderlosen in Sachen Arbeitsbelastung sind mitunter subtil, mal werden sie ganz offen ausgetragen. Die Kluft scheint unüberbrückbar. Oder ist sie es möglicherweise doch?
Was war Auslöser für Sie beide, dieses Thema aufzugreifen?
Britta Sembach: Viele Personaler haben uns von kinderlosen Paaren erzählt. Und dass sie unter der Last der Arbeit schier zusammenbrechen, wenn ihre Kollegen und Kolleginnen in Vätermonate, Elternzeit und Teilzeit gehen. Die Mehrarbeit werde nicht ausgeglichen, vor allem Kinderlose und Menschen mit schon erwachsenen Kindern müssten nun die ganze Last schultern. Das hat uns hellhörig gemacht. Und auf der individuellen Ebene haben wir natürlich auch gemerkt, dass wir immer mehr in unserer eigenen, kleinen Familienwelt leben, und wollten mal wieder auf die andere Seite schauen. Im Gespräch mit Freunden, Kollegen und Nachbarinnen sind dann viele Geschichten ans Licht gekommen. Die Kämpfe zwischen Eltern und Kinderlosen sind mal subtil, mal werden sie ganz offen ausgetragen. Eines sind sie aber immer: schädlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Wurde die Kluft zwischen den beiden Parteien in den letzten Jahrzehnten tiefer?
Britta Sembach: Ich würde sogar sagen, sie ist erst in diesem Maß in den letzten Jahren entstanden. Das hängt sicher mit der demografischen Entwicklung zusammen und dem Näherrücken eines eindeutigen Problems: In nur wenigen Jahren gehen die Babyboomer in Rente und deren Rente wird von einer signifikant niedrigeren Zahl von jungen Menschen erarbeitet werden müssen. Wir wissen das schon lange, haben die Lösung des Problems aber vor uns hergeschoben. Eine Zeitbombe, die hörbar tickt! Auch der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt wird immer härter: Menschen erkennen, dass Kinder ein Wettbewerbsnachteil sind, und verzichten zu oft auf sie. Dabei werden Kinder dringend gebraucht. Eigentlich spüren alle das Dilemma, Politik und Wirtschaft, aber irgendwie fehlt der Impuls, das mal grundsätzlich anzugehen.
Sie sprechen von Eltern und Kinderlosen. Oder ist es konkreter ein Thema zwischen Frauen mit und ohne Kind?
Susanne Garsoffky: Nein. Darauf wird dieses Thema zwar immer fokussiert, aber das liegt vor allem daran, dass lange Zeit keine Daten über die Kinderlosigkeit von Männern vorlag. Neue Studien und Zahlen zeigen: Auch Männer entscheiden sich entweder bewusst für oder gegen Kinder. Oder sie zögern die Entscheidung für Kinder lange hinaus. Kinder zu haben oder eben keine Kinder zu haben ist ein Thema, das uns alle angeht: Männer oder Frauen.
An welcher Stelle ist der Riss zwischen Eltern und Kinderlosen am deutlichsten zu spüren?
Susanne Garsoffky: Am Arbeitsplatz. Die so viel beschworene Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht in vielen Unternehmen zulasten derer, die keine oder schon große Kinder haben. Denn um Eltern zu entlasten, werden in der Regel keine neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, sondern die Arbeit wird im Team umverteilt. Und das führt zu einer Arbeitsbelastung, die für viele nicht mehr zu ertragen ist. – Und wer auf der anderen Seite Arbeitszeit in eine Teilzeitstelle reduziert hat, hat schlechtere Einkommens- und Aufstiegschancen. Die Politik hat von den Eltern verlangt, immer früher Familie und Beruf zu vereinbaren, aber komplett versäumt, die Unternehmen mehr in die Pflicht zu nehmen.
Welchen Lösungsansatz haben Sie, um den Riss zu kitten?
Britta Sembach: Wir müssen endlich aufhören, uns unsere unterschiedlichen Lebensentwürfe um die Ohren zu hauen, und zusammen schauen, wie wir die strukturellen Probleme lösen und Ungerechtigkeiten aus der Welt schaffen. Das bezieht sich auf jeden Einzelnen, aber auch auf unsere Sozialsysteme, in denen Familien strukturell und systematisch benachteiligt werden. Wer Familien fördern will, muss ihnen finanziell Luft zum Atmen geben. Auch die Unternehmen müssen in die Pflicht genommen werden: indem sie eine Personalpolitik machen, die nicht zulasten der einen oder anderen Gruppe geht. Familienfreundlichkeit ist und bleibt personalintensiv.
Sie verlangen in Ihrem Buch nach neuem Feminismus, um das Problem anzupacken. Wie meinen Sie das?
Britta Sembach: Wir haben jetzt leider eine Situation, in der Frauen sich einfach so wie Männer verhalten sollen, um als emanzipiert und gleichberechtigt zu gelten. Aber Gleichstellung heißt nicht Gleichmacherei. Eine Aufgabe des „neuen Feminismus“ sollte sein, die unterschiedlichen Interessen in den verschiedenen Lebensphasen von Männern und Frauen anzuerkennen und sich etwa für das Thema „späte Karrieren“ starkzumachen. Unsere Karrieremuster orientieren sich viel zu sehr an männlichen Biografien. Ein Problem, das sich übrigens auch umgekehrt angehen ließe: Würden mehr Männer in der Familienphase für diese zurückstecken, würde sich schon viel ändern. Die skandinavischen Länder sind in dieser Frage leuchtendes Beispiel.
Von Andrea Mayer/RND