Weltraumteleskop eRosita liefert Bilder von einem lückenlosen Röntgenhimmel

Fortuna hat einen eigentümlichen Humor. Als der italienisch-amerikanische Astrophysiker Riccardo Giacconi im Sommer 1962 ein Röntgenbild des Mondes aufnehmen wollte, scheiterte er an den damals nicht ausreichend sensiblen Instrumenten. Statt dessen entdeckte er Scorpius X-1, die erste Röntgenquelle außerhalb des Sonnensystems, und hob damit einen Zweig der Astrophysik aus der Taufe, der bis dahin kaum jemanden interessiert hatte. Für das menschliche Auge ist nur ein kleiner Teil des elektromagnetischen Spektrums sichtbar. Im Röntgenbereich sieht das Universum vollkommen anders aus, und genau dort sucht das Weltraumteleskop eROSITA nach dessen Entwicklungsgeschichte. Galaxienhaufen zum Beispiel sind die größten bekannten Strukturen im Universum. Sie sind von einem heißen Gas durchdrungen, das ausschließlich im Röntgenbereich leuchtet. Auch aktive Galaxienkerne, in denen ein supermassereiches Schwarzes Loch Materie verschlingt, sind helle Röntgenquellen. Das Teleskop, das unter der Federführung des Max-Planck-Institutes für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching entwickelt und gebaut wurde, startete im vergangenen Sommer mit einer russischen Rakete zu seinem Einsatzort, dem 1,5 Millionen Kilometer entfernten Lagrangepunkt 2, an dem es antriebslos mit der Erde um die Sonne kreist und dabei den Himmel durchmustert. Potsdamer Astrophysiker haben Teile der Hardware beigesteuert: Vier Jahre lang wird eROSITA die Hemisphären nach Röntgenquellen absuchen, insgesamt achtmal. Die erste vollständige Durchmusterung ist nun abgeschlossen, und sie ist ein voller Erfolg: „Wir haben eine Millionen Röntgenquellen gefunden“, sagt Axel Schwope, der die Arbeitsgruppe Röntgenastronomie am Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam (AIP) leitet. Das AIP ist eines von fünf deutschen Forschungsinstituten, die an der Mission beteiligt sind. Die Babelsberger haben Teile der Hardware, vor allem aber einen großen Teil der Software beigesteuert. Aus den Daten, die das Teleskop einmal täglich zur Erde sendet, entsteht ein Katalog, eine kosmische Bestandsaufnahme. Der bisherige Kenntnisstand beruhte auf einer Durchmusterung, die der deutsche Röntgensatellit ROSAT vor dreißig Jahren durchgeführt hat. Dabei wurden 130.000 Quellen aufgenommen. Die eROSITA-Daten setzen den neuen Standard für die Röntgenastronomie. Dabei ist zum einen die schiere Menge interessant. „Wir können nun bisher seltene Ereignisse in großer Zahl untersuchen“, sagt Mirko Krumpe. Der Astrophysiker aus der Abteilung „Galaxien und Quasare“ des AIP interessiert sich vor allem für supermassereiche Schwarze Löcher. Durch die acht vollständigen Durchmusterungen wird eROSITA außerdem einen bisher nicht möglichen Blick auf die zeitliche Entwicklung erlauben. Vor dem eigentlichen Start der ersten Himmelsdurchmusterung wurde ein Testfeld beobachtet. Diesen Bereich hat das Teleskop nun schon zum zweiten Mal betrachtet. Krumpe hat sich bereits die Daten angesehen und festgestellt, dass sich einige aktive Galaxienkerne anders verhalten als erwartet. Um den Fragen, die sich daraus ergeben, weiter nachgehen zu können, hat er Beobachtungszeit an mehreren Observatorien bekommen, die die entsprechenden Bereiche genauer anschauen werden. Neues Bild von der Entwicklung des Universums: Mit dem Blick auf das, was es gibt und wie es sich innerhalb von jeweils sechs Monaten zwischen den einzelnen Durchmusterungen verändert, zeichnet eROSITA ein neues Bild von der Entwicklung des Universums. Nebenbei ist das Instrument für Astrophysiker weltweit eine Art Spürhund, der Ereignisse aufstöbert, die dann von anderen Teleskopen im Detail untersucht werden. Das eROSITA-Team hat bereits diverse „ATels“ geschrieben. Diese „Astronomer Telegrams“ sind kurze Nachrichten, mit denen Kollegen weltweit auf besondere Beobachtungen hingewiesen werden. Mit jeder Durchmusterung wird das Bild vom Röntgenhimmel klarer. Dafür sorgt vor allem die Software, die der Potsdamer Astrophysiker Georg Lamer geschrieben hat und ständig weiterentwickelt. Sie sorgt dafür, dass die Photonen, die eROSITAs sieben Kameras einfangen, einer Röntgenquelle zugeordnet oder als Rauschen herausgerechnet werden. Schon jetzt, im ersten halben Jahr, hat das Teleskop 400 Millionen Photonen gesammelt und mehr Quellen gefunden, als alle Instrumente der Röntgenastronomie seit der Entdeckung von Scorpius X-1 insgesamt. Von Ina Schmiedeberg