„Brandenburg besteht aus mehr als nur aus der Lausitz“
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Proteste gegen den geplanten Umzug: „Umzug ist Unfug“ am Gebäude des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Potsdam.
© Quelle: Martin Müller/Imago
Potsdam. Sebastian Walter (29) ist gemeinsam mit der Lehrerin Kathrin Dannenberg Spitzenkandidat der Linken für die Landtagswahl am 1. September 2019. Er ist seit 2016 Regionsgeschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Ostbrandenburg. Diesen Job lässt er im Wahlkampf ruhen. Von 2014 bis 2018 war Walter stellvertretender Landesvorsitzender der Linken. Er lebt in Eberswalde (Barnim).
Herr Walter, Ihr Koalitionspartner, die SPD, hat jetzt ihr Wahlprogramm präzisiert. Sie will nach dem Vorbild des Lausitz-Beauftragten künftig für jede Regionale Planungsgemeinschaft solche Beauftragte berufen und an die Staatskanzlei anbinden, sogenannte Kümmerer. Eine gute Idee?
Walter: Nein, das ist sie nicht. Wir haben bestehende Regionale Planungsregionen und im übrigen auch Landräte, die diese Aufgaben übernehmen. Wir brauchen nicht noch eine weitere dritte oder vierte Ebene, von der niemand weiß, was die eigentlich machen soll. Eine neue Bezirksleitung brauchen wir nicht in Brandenburg. Das Ganze wirkt überstürzt und nicht zu Ende gedacht. Jetzt nach Kümmerern zu rufen, um im Land gleichwertige Lebensbedingungen herzustellen, wird nicht funktionieren.
Aber ist es nicht nötig, den Blick auch auf die anderen Regionen zu werfen und nicht nur auf die Lausitz?
Ja, aber nicht so. Die SPD will für ein Brandenburg stehen, aber mir scheint, dass man sie daran erinnern muss, dass Brandenburg aus mehr als der Lausitz besteht. Die jetzt ausgerufenen Kümmerer sind nur ein Feigenblatt und ein Versuch, innerparteiliche Konflikte zu lösen und für Ruhe zu sorgen. Diese Kümmerer werden am Ende keine andere Aufgabe haben, als Lottomittel zu verteilen. Das kann doch nicht sein. Ich sehe vielmehr die große Gefahr, dass mit der Verkündung nicht durchdachter Einzelprojekte für die Lausitz die Regionen gegeneinander ausgespielt werden und die Lausitzer verunsichert werden.
Sie meinen den Beschluss des Kabinetts zum Umzug des Wissenschaftsministeriums 2023 nach Cottbus?
Ich finde es richtig, über die Dezentralisierung von Landesverwaltung zu sprechen und auch Vorschläge zu unterbreiten. Für Eberswalde beispielsweise wäre die Forstverwaltung eine wirkliche Stärkung. Es ist auch richtig, dass Cottbus Regierungsstandort werden soll. Die Verlagerung eines Ministeriums wird aber allein die Strukturprobleme nicht lösen und kann, wenn überhaupt, nur Impulse dafür geben.
Und was halten Sie von einer Mediziner-Ausbildung in der Lausitz?
Es geht auch nicht zu sagen, wir gründen jetzt mal eine Fakultät zur Medizinerausbildung in der Lausitz, ohne über die Auswirkungen mit den Betroffenen zu reden. Seit mehreren Jahren wird in die Medizinische Hochschule Brandenburg (MHB) investiert. Kommunen und das Land überlegen, wie diese Hochschule für das ganze Land wirken kann. Und dann kommt der Ministerpräsident mit einer Idee um die Ecke, nur weil plötzlich Geld vom Bund für die Lausitz da ist. Das ist Basta-Politik von Woidke und der SPD. Und die funktioniert nicht im 21. Jahrhundert.
Was schlagen Sie vor?
Wir brauchen ein Gesamtkonzept für die Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Regionen. Auch dafür hatten wir zum Beispiel eine Enquetekommission für den ländlichen Raum - diese Vorschläge müssen umgesetzt werden. Die Milliarden-Investitionen für die Lausitz müssen überlegt eingesetzt werden. Es kann aber nicht sein, dass unter Zeitdruck völlig irrational agiert wird – sei es durch den Druck der Bundesregierung oder durch die anstehenden Wahlen. Und diesen Eindruck habe ich. Wir sollten uns Zeit nehmen und darüber nachdenken, was sinnvoll ist und was nicht. Und ohne die Menschen vor Ort wird es nicht gehen.
Aber im Kabinett haben auch Ihre Minister den Umzugsplänen zugestimmt, die Ihr Finanzminister vorgelegt hat. Ist die Linke in dieser Frage zwiegespalten?
Nein. Der Finanzminister hat seinen Job als Verantwortlicher für Liegenschaften gemacht und hat Vorschläge zu einem Standortkonzept gemacht. Die Verlegung des Wissenschaftsministeriums ist also Teil eines umfassenden Konzepts - auch vor dem Hintergrund der Ansiedlung von Bundesbehörden sowohl in Potsdam als auch in der Lausitz. Im Moment startet ein Diskussions- und Abwägungsprozess. Am Ende dieses Prozesses steht eine Entscheidung. Und diese wird die neue Landesregierung treffen. Wir sind uns auch einig, dass ein solches Projekt nur mit den Beschäftigten aus der Verwaltung gehen wird.
Ist die Linke nun gegen eine Verlagerung eines Ministeriums außerhalb Potsdams oder nicht?
Es liegen jetzt Vorschläge vor, die geprüft und diskutiert werden. Aus unserer Sicht sollte der jetzt angestoßene Diskussionsprozess aber nicht zu einem Wettbewerb der Regionen einerseits und der Behörden andererseits führen, sondern an der Stärkung des Landes insgesamt orientiert werden. Auch andere Regionen brauchen Impulse für die Strukturentwicklung. Es braucht dazu mehr, als bloße Verlegungsdiskussionen.
Kritisiert wird vor allem der Zeitpunkt des Kabinettsbeschluss: vier Monate vor der Landtagswahl. Hätte die rot-rote Landesregierung darauf verzichten sollen?
Ich denke, dass die Debatte über eine Landesverwaltung, die überall im Land wirkt, immer berechtigt ist. Man sollte aber vier Monate vor einer Wahl nicht jede Woche eine neue Strukturentscheidung verkünden. In einer Zeit, in der viele Menschen verunsichert sind und nicht wissen, wie es in den nächsten fünf oder zehn Jahren weiter geht, sollte man Politik so nicht machen.
Von Igor Göldner
MAZ