Integrationspolitik in Brandenburg

„Ein Landrat hat gerecht zu sein, nicht barmherzig“

Gernot Schmidt, Landrat von Märkisch-Oderland.

Gernot Schmidt, Landrat von Märkisch-Oderland.

Potsdam. Die Landesregierung will Asylbewerber gerechter verteilen. Märkisch-Oderland hat aus Sicht des Landes besonders wenige Asylsuchende aufgenommen – und liegt nicht nur in diesem Punkt im Clinch mit Potsdam. Landrat Gernot Schmidt (SPD) erläutert, wie er sich Integrationspolitik vorstellt.

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Sie liegen mit der Landesregierung über Kreuz – die beharrt darauf, dass Ihr Kreis mehr Asylbewerber aufnimmt. Wie geht es jetzt weiter?

Gernot Schmidt: Märkisch-Oderland hat auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise immer mehr als 100 Prozent der Menschen aufgenommen, die uns per Königsteiner Schlüssel zugeteilt waren. Der Streit mit der Landesregierung entzündete sich später daran, dass das Land nicht bereit war, verlässliche Aussagen zur Kostenübernahme zu treffen. Mit dem neuen Landesaufnahmegesetz wurde vieles geregelt. Der Landkreis hat in dieser Situation, um Rechtssicherheit zu haben, auf eine Zuweisung der Flüchtlinge per Bescheid bestanden. Auch in anderen Punkten sind wir einen anderen Weg gegangen. Heimunterbringung sowie Unterbringung in Wohnverbünden haben im Landkreis Vorrang. Diejenigen ohne Aufenthaltsstatus und Bleibeperspektive erhalten keine Wohnung.

Warum bestehen Sie auf einer offiziellen Weisung – also einer Zwangsmaßnahme – des Landes?

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Wir erfüllen hier eine Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung und ich verlange für diese Verfahren Rechtssicherheit für unsere Planungen. Ich erwarte den Bescheid, möchte aber grundsätzlich sagen, dass der Landkreis Märkisch-Oderland nur Flüchtlinge aufnehmen wird, die über einen sicheren Status verfügen. Es kann nicht sein, dass Menschen an die Landkreise zugewiesen werden, die bereits ihre Aufforderung zur Ausreise in der Hand halten.

Forstarbeiter, Büroleiter, Landrat

Der 1962 in Anklam geborene Gernot Schmidt ist seit 1989 SPD-Mitglied und seit 2005 Landrat in Märkisch-Oderland. In der DDR hat er eine Berufsausbildung mit Abitur genossen und lernte Agrartechniker. Danach war er unter anderem als Forstarbeiter tätig.

Als Fraktionsgeschäftsführer ging er 1999 für die SPD nach Potsdam. Später war er Büroleiter von Landtagspräsident Gunter Fritsch. Schmidt ist verheiratet und hat eine Tochter.

Sie kritisieren die Abschiebepraxis?

Die Landesregierung ist derzeit nicht in der Lage, ein Abschiebegewahrsam einzurichten (das bisherige ist wegen feuertechnischer Probleme geschlossen worden – die Red.). Anstatt wie bisher die Abschiebung von Flüchtlingen jedem einzelnen Landkreis selbst zu überlassen, wäre es viel sinnvoller, diese Aufgabe zentral der Landeskompetenz zuzuordnen. Unser Landkreis schiebt nicht unwesentlich ab, wir setzen auch Sanktionen um und kürzen bei fehlender Mitwirkung die Bezüge. Aber diese Verfahren können nur gelingen, wenn Land, Kommunen und Bund abgestimmt agieren.

Sie gehen auch sonst einen anderen Weg in der Flüchtlingspolitik als viele Ihrer Landrats-Kollegen – sie gelten als Hardliner.

Dies weise ich strikt von mir. Ein Landkreis und ein Landrat haben gerecht zu sein, nicht barmherzig. Wir bewegen uns im Rahmen der Gesetze. Nehmen Sie das Beispiel Gesundheitskarte: Das Land hat es ganz bewusst den Landkreisen überlassen, die Gesundheitskarte einzuführen – oder auch nicht. Wir haben für uns die Entscheidung getroffen, den Asylbewerbern für die Dauer ihres Asylverfahrens die Karte nicht zu geben, sondern zu warten, bis sie ihre Aufenthaltserlaubnis erhalten. Diejenigen, über deren Asylanträge noch nicht entschieden wurde, erhalten außerdem das Geld für ihren Lebensunterhalt nicht automatisch aufs Konto überwiesen. Sie erhalten einen Verrechnungsscheck und müssen damit zur Sparkasse gehen, um ihn einzulösen. So können wir, wenn der Empfänger sich etwas zuschulden kommen lässt, also zum Beispiel beim Schwarzfahren erwischt wird, das Bußgeld von der Gesamtsumme abziehen. Zudem ist festzustellen, dass diese ökonomische Form von Residenzpflicht Doppel-Identitäten erschwert. Sozialromantik, Wegschauen und das Kleinreden von Problemen führen zu Cottbuser Verhältnissen. Wer dann noch einen anderen Weg geht mit spürbaren Erfolgen, wird als unsozial und als Hardliner definiert. Mir hat noch niemand erklärt, warum ich einen Asylbewerber besser behandeln soll als einen Hartz-IV-Empfänger.

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Kann Druck Integration befördern?

Die Deutschen wollen helfen. Niemand spielt sich gegenüber Kriegsflüchtlingen auf. Wir müssen die 95 Prozent der Asylbewerber, die sich an die Regeln halten, in Schutz nehmen. Wir dürfen es jedoch nicht zulassen, dass unser humanitäres System missbraucht wird. Wir haben zum Beispiel große Probleme mit einigen Tschetschenen. Wir reagieren sofort mit dem Umsetzen der Familien, polizeilichen Maßnahmen und ständigem Dialog mit den Heimbetreibern. Dies führt dazu, dass Familien stärker auf ihre Jugendlichen einwirken. Da zeigt sich, dass die Verteilung von Flüchtlingen außerhalb von Ballungszentren kein Fehler war. Insgesamt gilt: Beim Thema Ordnung und Sicherheit ist auch das Land in der Pflicht. Staatsanwaltschaften und Polizei müssen personell gestärkt werden, um gegen diese Auswüchse vorzugehen. Meine Eltern hätten bei Problemen mit mir auch nicht nach Sozialarbeitern gerufen, sondern die Sache so geregelt.

In der Wohnungspolitik – Sie haben es angedeutet – liegen Sie mit dem Land über Kreuz. Warum?

Schauen Sie nach Strausberg und Hoppegarten, ins gesamte Berliner Umland. Dort stehen die Asylbewerber in Konkurrenz zu den Einheimischen, die wie sie auf günstige Wohnungen angewiesen sind. Diese soziale Debatte ist heikel und sie wird am gesamten Rand des Speckgürtels ausgetragen.

In den weiter von Berlin entfernten Orten ist der Preisdruck auf dem Wohnungsmarkt nicht so hoch. Warum sollten Asylbewerber nicht dort in größerem Umfang untergebracht werden?

Die soziale Dynamik in Berlin-fernen-Regionen ist so: Weil die jüngeren Einheimischen wegen der günstigen Bodenpreise Eigentum erwerben, bleiben in den Mietwohnungen der kommunalen Wohngesellschaften Niedrigverdiener, Hartz-IV-Bezieher und viele Rentner übrig. Wenn man in diese Wohnkomplexe in den Landstädten ungehindert Flüchtlinge hineinpresst, entstehen Brennpunkte.

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Aber irgendwo müssen die Flüchtlinge unterbracht werden.

Das Land macht es sich also zu einfach mit Hinweisen wie: in Bad Freienwalde gibt es 300 freie Wohnungen. Man überlastet diese Landstädte. Schauen Sie sich Neuhardenberg an: Es hat mehr als zehn Prozent Asylbewerber aufgenommen. Irgendwann haben Gemeindevertretung und Willkommenskreise stopp gesagt, weil die Grenze erreicht war. Ich habe den Eindruck, die Landesregierung verschließt die Augen vor den Integrationsproblemen. Man kann doch nicht das Thema auf die Kommunen abschieben und dann, wenn die Luft brennt, ein paar Sozialarbeiter schicken – das funktioniert nicht.

Von Ulrich Wangemann

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