Heidekrautbahn fährt bald ohne Abgase
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Der Coradia iLint im Bahnhof Basdorf – auf dem Dach sind die Gastanks zu sehen.
© Quelle: Foto: Bernd Settnik/dpa
Basdorf/Berlin. Bis auf die Wasserstofftanks auf dem Dach und den markanten hellblauen Anstrich unterscheidet sich der Coradia iLint äußerlich nicht von anderen Nahverkehrszügen. Und doch ist der Zug des französischen Herstellers Alstom eine Weltpremiere: Seit September 2018 sind zwei Exemplare des Coradia iLint (Eigenwerbung: „eine bahnbrechende Technologie“) im Linienbetrieb zwischen Buxtehude, Bremerhaven und Cuxhaven unterwegs, bislang die einzigen ihrer Art.
Einer der beiden Züge ist am Montag außerplanmäßig von Basdorf (Landkreis Barnim) bis nach Berlin-Gesundbrunnen und wieder zurück gefahren. Eingeladen zur Präsentation und der knapp einstündigen Sonderfahrt hatten Alstom und die Niederbarnimer Eisenbahn (NEB). Aus der Brandenburger Landesregierung fuhren die Ministerin für Infrastruktur, Kathrin Schneider und Umweltminister Jorg Vogelsänger (beide SPD) mit.
Wasserstofftankstelle in Basdorf
Laut Projektleiter Marcus Badow will die NEB in den kommenden Jahren mindestens sechs der emissionsfreien Züge bestellen und ab dem Fahrplanwechsel Ende 2022 auf der reaktivierten Stammstrecke der Heidekrautbahn von Berlin-Wilhelmsruh nach Basdorf fahren lassen. In Basdorf würde dann die für den Betrieb nötige Wasserstofftankstelle entstehen. Über den Kaufpreis äußert sich die NEB nicht, die Züge mit Brennstoffzellenantrieb sind aber etwa 30 Prozent teurer als ein herkömmlicher Dieselzug.
Die Brennstoffzellen wandeln Umgebungsluft und Wasserstoff in Wasser um. Bei dieser Reaktion entsteht Strom, der wiederum Lithium-Ionen-Akkus im Fahrzeugboden auflädt. Diese Akkus treiben den Elektromotor an – der Coradia iLint kann bis zu 140 Kilometer/Stunde fahren, die Reichweite liegt laut Alstom bei maximal 1000 Kilometern. Statt Diesel-Abgasen pustet der iLint lediglich Wasserdampf und Kondenswasser in die Landschaft.
Oberleitungen sind sehr teuer
„Wir wollen Schritt für Schritt die konventionellen Dieseltriebwagen ablösen“, sagte Infrastrukturministerin Kathrin Schneider. „Deswegen unterstützen wir das Pilotprojekt auf der Heidekrautbahn. Die Verbindung von umweltfreundlicher Mobilität und Nutzung Brandenburger Windenergie macht das Projekt besonders interessant.“ Für die Wasserstoffgewinnung wollen die NEB und die Barnimer Energiegesellschaft ausschließlich Windstrom aus der Uckermark einsetzen. Auch für Susanne Henckel, Chefin des Verkehrsbverbundes Berlin-Brandenburg, ist die neue Technologie „eine sinnvolle Alternative zur Elektrifizierung, wenn es uns gelingt, den Wasserstoff aus erneuerbaren Energien und möglichst auch direkt vor Ort zu erzeugen.“
Anders als in der Schweiz ist das deutsche Streckennetz nicht durchgehend elektrifiziert. In Deutschland sind weniger als zwei Drittel des Netzes mit Oberleitungen ausgestattet, auf den übrigen Strecken zumeist Dieselzüge unterwegs. Weil ein Kilometer Oberleitung mehr als eine Million Euro kostet, wäre ein elektrischer Ausbau auf vielen Strecken nicht wirtschaftlich.
Die historische Heidekrautbahn führte bis zum Mauerbau 1961 von Wilhelmsruh bis nach Basdorf – das alte Gleisbett ist noch vorhanden. Berlin und Brandenburg unterstützen die Reaktivierung der Strecke mit 760.000 Euro.
In Niedersachsen wird die blaue Coradia iLint-Flotte in den kommenden Jahren deutlich wachsen. Die Elbe-Weser-Verkehrsbetriebe (EVB) haben 14 weitere Züge bestellt, die bis 2021 auf die Schiene sollen. Das Wirtschaftsministerium in Hannover greift den EVB dafür mit 81 Millionen Euro unter die Arme.
Von Thorsten Keller
MAZ