Gesundheit in Brandenburg

HPI-Forscher machen Medizin mit Big Data

Kombiniert Sensoren: Der naturwissenschaftliche Informatiker Bert Arnrich ist Professor vom  Potsdamer Hasso-Plattner-Institut.

Kombiniert Sensoren: Der naturwissenschaftliche Informatiker Bert Arnrich ist Professor vom Potsdamer Hasso-Plattner-Institut.

Potsdam. Wie viel Stress hat ein Patient? Wie sollte er sich ernähren? Welches Genom löst eine bestimmte Krankheit aus? Antworten können über die Verbindung von Medizin und Informationstechnik gefunden werden – über Digital-Health. Eine Tagung dazu findet heute am Potsdamer Hasso-Plattner-Institut (HPI) statt. Zwei HPI-Experten forschen auch zum Thema.

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Christoph Lippert ist einer von ihnen. Er kann sich über zu kleine Datenmengen wirklich nicht beklagen. Er kann die stets aktualisierten Gesundheitsdaten von 500.000 Briten aus der UK Biobank auswerten und auch die Daten nutzen, die von den 200.000 Teilnehmern der Nako Gesundheitsstudie in Deutschland gewonnen werden. Die Schwierigkeit des Professors am Digital-Health-Center des HPI ist die richtige Auswertung dieser Datenmasse für die Gesundheitsvorsorge. Und die Lösung lautet wie so oft: schlaue Algorithmen und künstliche Intelligenz.

Lippert steht mit dem Einsatz von Big Data für medizinische Zwecke wahrlich nicht allein auf weiter Flur. Digital Health – der Einsatz von Informationstechnologie im Gesundheitswesen auf allen Ebenen – boomt weltweit. Sie ist auch ein gewaltiger Wirtschaftsfaktor. Kein Wunder, drang Hasso Plattner, der Gründer des nach ihm benannten Potsdamer Softwareinstituts, darauf, diesen Aspekt durch ein Digital Health Center auch am HPI zu verankern.

Big-Data-Forscher aus aller Welt

Das erste sogenannte Digital-Health Forum am HPI datiert auf den 6. und 7. Dezember. Erwin Böttinger, der Leiter des Potsdamer Digital-Health-Centers holte dafür mehr als 30 Wissenschaftler aus aller Welt nach Potsdam. Sie stehen für die neuesten Trends – von Sensortechnik über personalisierte Medizin bis hin zu maschinellem Lernen. Zu den Referenten zählen auch Christoph Lippert selbst und sein HPI-Kollege Bert Arnrich.

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"Unser Ziel ist es letztlich, die genetischen Ursachen von bestimmten Krankheiten zu erfassen", sagt Lippert. Dabei gehe es um Krankheiten mit komplexen Ursachen. "Typisch dafür sind zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen." Interessant wäre außerdem herauszufinden, welches Genom für welchen Krebs anfällig macht und wie gewisse Lebensstile sich auf einen Ausbruch auswirken.

Das hört sich angesichts der Masse der bereit liegenden Daten wie eine einfache Analyse-Aufgabe an, genau zugeschnitten auf Informatiker mit Big-Data-Erfahrung. Das ist es aber nicht. „Das erste Problem sind Scheinkorrelationen“, sagt Lippert. Zum Beispiel könnte man bei Genomen naher Verwandter ja bestimmte genetische Ähnlichkeiten feststellen und voreilig eine bestimmte Genkombination für ein Krankheitsbild verantwortlich machen – weil man vergessen hat, dass Verwandte oft auch einen ähnlichen Lebensstil haben und in Wirklichkeit genau dieser für die Krankheit entscheidend war.

Aus diesem Problem ergibt sich Lipperts zweites Forschungsthema: Die Entwicklung einer künstlichen Intelligenz zur Auswertung von Riesendatenmengen aus bildgebenden Verfahren wie dem MRT. Solche Bilder zeigen sehr genau physische Erscheinungen bei Gesunden und Kranken an – aber sie müssen eben auch gelesen werden können und es gibt Unmengen von ihnen. Die Kombination einer solchen Auswertung bildgebender Verfahren mit den genetischen Daten ließen aber ganz andere Schlüsse auf die Verursachung von Krankheiten zu.

Die intelligenten Systeme zu schaffen, die MRT-Dateien auswerten können, und zugleich statistische Methoden zu entwickeln, die bei der Genomanalyse falsche Korrelationen ausschließen und damit auch einen Fehlalarm verhindern, das sind die Nüsse, die der Bioinformatiker Lippert derzeit zu knacken hat. Der Sinn des Ganzen sei auch präventive Gesundheitsvorsorge, so der Bioinformatiker.

Prävention wäre gezielter, wenn Mediziner individuelle Krankheitsrisiken besser kennen. Auch Vorsorgeuntersuchungen könnten individueller eingesetzt werden. Bisher gehen Patienten meist erst zum Arzt, wenn sie Beschwerden haben. Aber bei Darmkrebs etwa kann das schon viel zu spät sein.

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„Ich fände es toll, wenn die Krankenkassen einen gesunden Lebensstil belohnen würden“, sagt Lippert. Bei vielen Patienten mit ungünstigem Genom könne eine Krankheit verhindert oder gelindert werden, wenn sie frühzeitig ihr Verhalten ändern würden.

Wirkung von Medikamenten überwachen

Um den Lebensstil im weitesten Sinne geht es auch dem zweiten neuen HPI-Professor, Bert Arnrich. Der Informatiker hat sich viel mit Ärzten unterhalten und kennt eines ihrer Hauptprobleme. „Sie sagen mir fast immer das Gleiche: Wir können zwar gut untersuchen und diagnostizieren, aber wir wissen nicht, wie es unseren Patienten außerhalb unserer Praxis geht.“

Solches Wissen kann für den Erfolg mancher Behandlungen entscheidend sein. Das Medikament L-Dopa unterdrückt zum Beispiel bei Parkinson-Patienten das typische Zittern. Die Dosierung ist aber sehr schwierig. Zu oft eingenommen, schlägt der Wirkstoff nicht mehr an. Es wäre sehr wichtig für den Arzt zu wissen, wie oft der Patient tatsächlich zittert. Ein Bewegungssensor wäre zwar eine Hilfe, aber ähnlich wie bei den Genomdaten von Christoph Lippert, lauern auch bei solchen Bewegungsdaten Fehlerquellen. Vielleicht hat der Patient ja gar nicht gezittert, sondern nur heftig gestikuliert. Eine von Arnrich vorgeschlagene Lösung: "Wir brauchen zusätzliche Sensoren."

Am besten lässt sich das Zusammenspiel mehrerer Sensoren an einem anderen aktuellen Problem erklären: Stress. Bei Stress schlägt unser Herz schneller. Die einfache Lösung wäre also ein Pulsmesser. Den Puls messen zum Beispiel Fitnessarmbänder. Das Problem ist nur: Nicht jeder schnellere Herzschlag ist ein Symptom von Stress. Vielleicht hatte der Patient nur einen höheren Puls weil er durch den Park joggte. Die Kombination von Pulsmesser und Beschleunigungssensor würde helfen, reine körperliche Aktivität von Stress etwa aufgrund von Angst zu unterscheiden.

„In meiner Forschung geht es darum: Welche Sensoren nehme ich und wie sammele und werte ich die Rohdaten aus?“, fasst Arnrich zusammen. Er will zum Beispiel eine Methode entwickeln, mit der aus einer Vielzahl von Daten über beschleunigten Herzschlag genau die Stress-Momente herausgefiltert werden könnten.

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Gesunde Lebensweisen ermuntern

Ähnlich wie Lippert will Arnrich aufgrund solcher Kenntnisse Menschen zu einer gesünderen Lebensweise ermuntern. Auch dafür hat Arnrich schon das Digitale genutzt. Bei Forschungen in Istanbul ließ er Kindern in der Rehabilitation von einem Miniroboter Gesundheitsübungen vorführen und die mit Sensoren versehenen Kinder dann auch vom Roboter korrigieren. Das machte den Kindern so viel Spaß, dass sie den Roboter am liebsten mit nach Hause genommen hätten. Erwachsene wiederum könne man zu mehr Bewegung animieren, indem man etwa mittels Fitnesswatch kleine Wettbewerbe veranstaltet. Wer in einer vernetzten Gruppe schafft am Tag die meisten Schritte?

Sowohl Arnrich als auch Lippert hoffen jetzt, vom ersten Digital Forum in Potsdam zu profitieren. Die beiden wollen nicht nur von der zum Teil weit fortgeschrittenen internationalen Forschungslandschaft profitieren, sie könnten über die Vernetzung mit den Forscherkollegen mehr Zugriff auf Datensammlungen anderer Staaten erlangen und so ihre Forschung voranbringen.

Bei einem Vergleich der Bertelsmann-Stiftung zwischen 17 Staaten über Fortschritte im digitalen Gesundheitswesen fand sich Deutschland auf den hinteren Plätzen. Das Digital-Health-Forum soll ein Beitrag dazu sein, dass das nicht so bleibt.

Von Rüdiger Braun

MAZ

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