E-Paper
Potsdam

Deswegen sollten sich Cineasten Nachwuchsregisseur Friedrich Tiedtke merken

Friedrich Tiedtke, Filmregisseur im Eingangsbereich der Filmuniversität Babelsberg

Friedrich Tiedtke, Filmregisseur im Eingangsbereich der Filmuniversität Babelsberg

Babelsberg. Ein blonder Junge sitzt auf einem Segelboot. Der starke Wind pustet durch seine kurzen Haare. Er blickt durch ein Fernglas. Ist konzentriert auf das, was er in der Ferne beobachtet: Kinder, die am Hafen spielen, Fahnen, die im Wind nervös flattern. Er entdeckt ein Mädchen. Sein Fernglas verharrt. Lange. Sie zieht ihr Shirt aus, bereit für den Sprung ins Wasser. Er scheint fasziniert. Plötzlich wird er aufgeschreckt. Sein Vater hält ihm Angelköder vor das Gesicht. „Ich habe neue Blinker gekauft. Das sind Snurrebassen Durchlaufblinker“, sagt er. „Speziell für Seeforellen.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Friedrich Tiedtke bei den Dreharbeiten zu "Der Junge im Meer" in Dänemark

Friedrich Tiedtke bei den Dreharbeiten zu "Der Junge im Meer" in Dänemark

Es ist der Moment in Friedrich Tiedtkes Film "Der Junge im Meer", der, in der zweiten Minute, den Kern der Geschichte offenlegt: Der 12-jährige Mathias macht mit seinen Eltern einen Segelurlaub, ist mit ihnen auf kleinstem Raum eingesperrt. Unter dieser ständigen Beobachtung entdeckt Mathias seine Sexualität. Er verliebt sich in das Mädchen. Doch seine Liebe bleibt unerwidert.

Tiedtke erzählt die Geschichte des Jungen mit unaufgeregten und authentischen Bildern. Das Licht, die Farben erzeugen eine Stimmung, die sich so gar nicht nach Urlaub anfühlt. Nein, es sind die Empfindungen des Jungen, die in den Bildern spürbar sind: Dunkel, diffus, das Unwetter am Horizont stets in Wartestellung. Tiedtkes Team drehte mit Handkamera und kommt seinen Figuren sehr nahe. 14 Minuten ist das Werk lang und es wirkt als hätte es ein Altmeister gedreht.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Eine weitere Szene von „Der Junge im Meer“

Eine weitere Szene von „Der Junge im Meer“.

Doch so ist es nicht. Friedrich Tiedtke ist 27 Jahre alt. Er ist ein Nachwuchsregisseur, dessen Name man sich unbedingt merken sollte. Im Gespräch mit der MAZ wirkt er entspannt, obwohl er sagt, er sei aufgeregt. Die kurzen, vollen blonen Haare fallen ohne Konzept ins Gesicht. Er redet viel mit seinen Händen. „Mich fasziniert der Erzähl-Rythmus, mit dem du beim Film extrem genau sein kannst, mit dem Schnitt, dem Schauspiel, dem Sound und der Musik“, antwortet er auf die Frage, warum er Filme macht. „Und weil du die Zuschauer richtig bei den Eiern packen kannst und du sie von A nach B transportieren und bei ihnen Emotionen auslösen kannst, die sie möglicherweise vorher nicht kannten. Diese Macht der Manipulation fasziniert mich.“

Als er „Der Junge im Meer“ drehte, stand er kurz vor Studienbeginn in Potsdam. Das war vor zwei Jahren. Heute studiert er Regie an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Bis dahin hat er sich vieles, was er über das Filmemachen weiß, selbst beigebracht oder er hat es in Workshops gelernt. Mit elf Jahren drehte er seinen ersten Film, einen Western mit Playmobilfiguren, gemeinsam mit Schulfreunden.

2017 gewinnt Tiedtke den Deutschen Jugendfilmpreis

Seither hat er viele Kurzfilme gedreht. Leise Filme, aufwühlende Filme. Filme, die sich mit zutiefst menschlichen Gefühlen beschäftigen. Tiedtke gelingt es, diese Gefühle zu transportieren, indem er sich Zeit nimmt für seine Figuren. Zahlreiche Nahaufnahmen, reduzierte Dialoge sind dafür seine Instrumente.

Und er hat Erfolg damit. „Der Junge im Meer“ lief auf über 50 Filmfestivals, unter anderem auf dem renommierten Max Ophüls Preis in Saarbrücken und auf dem Rio de Janeiro International Film Festival. Er wurde mit dem Deutschen Jugendfilmpreis 2017 ausgezeichnet. Mit dem Film „Zuhause“ gewann Tiedtke 2015 den Deutschen Nachwuchsfilmpreis. Er erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die in einer von Gewalt geprägten Beziehung steckt und Schutz auf dem Land bei ihrer Familie sucht. Doch ihr Partner folgt ihr dorthin. Es ist ein Improviationsfilm.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Lars von Trier lobt Tiedtkes Arbeit

Friedrich Tiedtke wurde in Eckernförde geboren. Nach dem Abitur zog es ihn nach Berlin. Dort wollte er sein Netzwerk ausbauen. „Teilweise sind Leute aus Schleswig-Holstein, die ich schon kannte, nach Berlin gezogen. So hatte ich ein kleines Netzwerk“, erinnert er sich an jene Zeit. Über die und als Gaststudent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin lernte er weitere Menschen kennen. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich damals mit Kellnern in Bars. Und drehte er weiter Filme.

„Ich hatte schon immer einen Faible für den dänischen Film“, sagt Friedrich Tiedtke. „Und einige Regisseure wie Lars von Trier und Thomas Vinterberg haben mich geprägt.“ Nach drei Jahren Berlin entschied er sich, diesem Interesse am dänischen Film aktiv nachzugehen. Er packte zwei Koffer und fuhr nach Kopenhagen. Ohne Rückfahrkarte. Wenige Monate später begann er in der Produktionsfirma Zentropa von Lars von Trier eine Ausbildung zum Filmproduzenten.

In vielen persönlichen Gesprächen lernt Tiedtke von dem großen dänischen Filmemacher. Von Trier mag Tiedtkes Film „Zuhause“, rät ihm, so weiterzumachen, wie er bisher gearbeitet hat. „Das war extrem aufregend“, erinnert sich Tiedtke an das Lob von Lars von Trier.

In Potsdam lernt er Dokumentarfilme zu drehen

Doch er bricht die Ausbildung ab, kehrt nach Berlin zurück. „Ich musste einfach Filme machen, ich musste Regie führen“, sagt er. Es war eine Ausbildung zum Produzenten und sie raubte ihm die Zeit, um selber Filme zu machen. Damit fühlte er sich unwohl. „Trotzdem habe ich Zentropa viel zu verdanken.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

In Potsdam lernt Tietdke eine Art von filmischer Erzählung, mit der er sich bisher noch nicht beschäftigt hat: Den Dokumentarfilm. Im Herbst hat er seinen ersten fertiggestellt.

In „Mann auf Blau“ zeigt er einen Absolventen einer Kunsthochschule, der jahrelang im geschützten Raum der Hochschule kreativ sein konnte und der sich nun dem brutalen Kunstmarkt stellen muss. Auch diesem Protagonisten kommt Tiedtke sehr nahe. Allerdings auf eine andere Weise als er es in seinen Spielfilm tut. Er inszeniert nicht, er dokumentiert. So, wie es ein Dokumentarfilm nun mal soll. Aber die Auswahl seiner Bildausschnitte und der Schnitt verraten: Hier ist ein Spielfilmregisseur am Werk.

Von Annika Jensen

MAZ

Mehr aus Kultur

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken