Frankfurter Buchmesse: „Die Lage unserer freien Autoren im belletristischen Bereich ist dramatisch“
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Zeigt sich zufrieden, macht sich aber auch Sorgen: Thedel von Wallmoden, Mitbegründer des Wallstein-Verlags.
© Quelle: HAZ
Herr von Wallmoden, wenn Sie auf 2020 und das bisherige Jahr 2021 zurückblicken: Hat Ihr Verlag mehr oder weniger Bücher verkauft?
Die kurze Antwort ist: Wir haben deutlich mehr verkauft. Aber das war natürlich keine einheitliche Bewegung, sondern es ging damit los, dass wir Mitte März letzten Jahres dachten, dass wir an einem Abgrund stehen, weil für etwas über drei Wochen alles stillstand. Der stationäre Buchhandel und der Versandhandel konnten sich nach dem Lockdown am 16. März gar nicht so schnell sortieren, wie der Bedarf entstand. Auch Amazon hatte wegen der Buchpreisbindung alle Bestellartikel vorgezogen, die nicht der Preisbindung unterliegen und deshalb zu nachfrageorientierten (höheren) Preisen verkauft werden konnten, während Buchbestellungen offenbar mit geringerer Priorität bearbeitet wurden. Diese Phase dauerte drei bis vier Wochen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich auch die stationären Buchhandlungen mit teilweise sehr innovativen und kreativen Lösungen für das Bestellen, Abholen oder die Lieferung nach Hause auf die neue Situation eingestellt, und der Handel lief wieder an.
Und danach?
Danach kannten die Zahlen nur noch eine Richtung, und die führte signifikant nach oben. Für Wallstein bedeutete das einen zweistelligen Umsatzzuwachs. Man muss dazu sagen, dass 2019 ein sehr gutes Jahr für uns war. Wir hatten mit dem Büchnerpreis von Lukas Bärfuss und im Frühjahr mit einem Buch von Günter Kunert ziemlich große Buchhandelserfolge. Deswegen war ich eigentlich darauf eingestellt, dass 2020 schwächer sein müsste als 2019. Das trat aber nicht ein, sondern wir waren zweistellig über dem 2019er-Umsatz.
„Deutlich über dem Umsatz von 2020“
Wie sieht es dieses Jahr aus?
Das hat sich eigentlich bis jetzt so gehalten. Wir sind jetzt für 2021 wiederum deutlich über dem Umsatz von 2020.
Wie erklären Sie sich das?
Für Wallstein gibt es eine Erklärung, die damit zusammenhängt, dass die nicht so gute Erreichbarkeit der Bibliotheken viele Wissenschaftler dazu veranlasst hat, ältere wissenschaftliche Titel zu kaufen. Das kann man genau sehen. Bei Wallstein liegt der Preis für ein wissenschaftliches Buch bei bis zu 40 Euro. Das kauft ein Wissenschaftler dann einfach, anstatt über die Fernleihe zu gehen und eventuell lange auf ein Buch warten zu müssen, weil es verliehen ist. Das betrifft ja meistens eher Leute, die häufig in Festanstellung an den Universitäten sind und die sich das dann auch leisten können.
Eine These mit Blick auf die Pandemie ist, dass es eine neue Konzentration auf das Medium Buch gibt. Können Sie das bestätigen?
Das würde ich zu Teilen auch sagen. Und es hat auch in der neueren Belletristik gut funktioniert, aber ich finde es immer sehr schwer abzuwägen, ob ein Verkaufserfolg nun an der Zustimmung in den Medien zu bestimmten Titeln liegt oder ob die Leute im Moment einfach mehr lesen. Dazu kommen dann Glücksfälle wie das Buch „Als das Reisen nicht mehr geholfen hat“ von Valentin Groebner. Sein Essay über das Reisen fiel genau mit Corona zusammen und wurde ein sehr großer Erfolg, den wir vorher gar nicht hatten kommen sehen.
Wenn Sie jetzt auf die Frankfurter Buchmesse blicken: Sind Sie da, und was erwarten Sie von der Buchmesse?
Ja, wir sind da. Auch wenn die Buchmesse dieses Jahr noch viel kleiner ausfallen wird als in der Vergangenheit und wir weniger von dem dort machen können, was wir normalerweise auf solchen Messen tun, haben wir gesagt, dass wir teilnehmen. Allein um die Messe als Medienereignis zu nutzen, um gesehen zu werden.
Warum genau fahren Sie auf Buchmessen?
Was wir auf den Buchmessen machen, ist sehr vielgestaltig. Wir bemühen uns um Medienkontakte, um Kritiker, denen wir noch bestimmte Titel empfehlen, für die wir uns noch mehr Medienresonanz wünschen würden. Dann reden wir sehr viel mit den Literaturveranstaltern, also etwa mit Literaturhäusern oder Festivalveranstaltern. Dann haben wir auf den Messen die Dienstleister – da geht es um Auslieferungen, Druckereien, Papier, Lieferanten, Software, die wir im Bereich von Publikationen und Open Access benötigen, und vieles mehr. Auch die alle trifft man auf Messen. Für uns ist dort zum Beispiel auch sehr wichtig, dass wir die Bundeszentrale für politische Bildung treffen und denen unser Programm im historischen Sachbuch zeigen, was dann zu Lizenzen führen kann. Und auch das internationale Lizenzgeschäft spielt eine Rolle.
„Unsere Branche ist kleiner als Aldi Süd“
Und das ist jetzt alles schon wieder möglich?
Nein, nicht alles. Faktisch wird es jetzt so sein, dass das internationale Geschäft gar nicht stattfindet. Die internationalen Verlage kommen so gut wie gar nicht. Und auch zum Beispiel eine Bundesbehörde wie die Bundeszentrale für politische Bildung oder die Landeszentralen kommen nicht alle. Mit denen werden wir diesen Herbst auch noch Videokonferenzen haben wie die letzten anderthalb Jahre. Aber im Bereich der Literaturveranstalter nehme ich wahr, dass doch mehr kommen, als man anfänglich dachte. Und überhaupt beobachte ich in den vergangenen zweieinhalb Wochen, dass die Anfrage nach Terminen von Grafikdesignern, Druckern, Dienstleistern und so weiter doch ganz rege ist. Trotzdem wird die Messe viel kleiner sein als vor der Pandemie. Es gibt für mich aber noch ein anderes Argument, was mich bewogen hat, immer auf die Präsenzmessen zu gehen.
Nämlich?
Das Argument, dass wir als Branche die Messe nutzen müssen für unser gemeinsames Produkt, für das Buch. Ich sagen meinen Mitarbeitern und Studenten immer: Unsere Branche ist kleiner als Aldi Süd. Aber wenn wir unsere Messen eröffnen, sind wir damit in den Hauptnachrichten. Damit wird ja auch implizit die Botschaft transportiert, Bücher sind etwas Tolles, etwas von Interesse und kultureller Relevanz. Und diese Botschaft als Branche zu transportieren, das finde ich, ist auch eine wichtige Aufgabe dieser ganzen Messe.
Gibt es etwas, das Ihnen schwer im Magen liegt?
Was ich dramatisch finde und was mir Sorgen bereitet, ist die Lage unserer freien Autoren im belletristischen Bereich, die wirklich vom Verkaufen ihrer Bücher und vom Literaturbetrieb leben. Da gibt es einen massiven Einbruch. Die Bücher wurden zwar ordentlich verkauft, aber wer einen neuen Roman in einem der vergangenen drei von Corona betroffenen Halbjahre veröffentlicht hat, konnte so gut wie keine Lesungen geben, auf keine Veranstaltungen damit gehen.
„Einkünfte der Autoren sind in diesen anderthalb Jahren massiv eingebrochen“
Warum ist das so wichtig?
Nehmen wir mal an, der neue Roman kostet 20 Euro und wird mit 5000, 6000, 7000 Exemplaren verkauft, was ordentlich ist. Dann bekommt der Autor, die Autorin bei 10 Prozent Honorar etwas zwischen 10.000 und 14.000 Euro. Und so viel nehmen die Autoren noch mal zusätzlich ein, wenn sie noch bei 20 Veranstaltungen zu diesem neuen Buch auftreten. Eine solche Lesung wird eigentlich nicht unter 500 Euro Honorar plus Spesen honoriert. Das ist die Untergrenze bei Literaturhäusern. An manchen Orten wird dann sogar mehr bezahlt. Und das finde ich schon dramatisch, dass diese Einkünfte weitestgehend entfallen sind.
Gab es keinerlei Alternativen?
Es gab dafür ein ganz tolles Corona-Hilfsprogramm unter dem Stichwort „Ausgefallen“. Da konnte man mit einem allerdings ziemlich hohen bürokratischen Aufwand Zahlungen für die Autoren erlangen – für ausgefallene Präsenzveranstaltungen. Und manchmal gab es natürlich auch die hybriden Veranstaltungen, die dann auch honoriert werden konnten. Aber die Einkünfte der Autoren sind in diesen anderthalb Jahren massiv eingebrochen. Das ist wirklich dramatisch.
Welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft? Ein Stichwort ist der Papiermangel und die steigenden Papierpreise. Spüren Sie dieses Problem schon?
Ja, das merken wir massiv. Die Papierpreise sind je nach Art des Papiers unterschiedlich teurer geworden. Die Papiere für Kunstdruck, die sogenannten gestrichenen Papiere, sind im Durchschnitt 10 Prozent teurer geworden, die Werkdruckpapiere 5 bis 6 Prozent teurer. Aber auch Pigmente für die Farben, Schmiermittel für die Druckmaschinen, Druckmaschinen überhaupt und Ersatzteile, alles Mögliche ist verteuert. Deshalb haben wir in den Herstellungskosten unserer Bücher signifikante Preissteigerungen, aber diese Preissteigerungen kommen zu einem Zeitpunkt, an dem man die Bücher schon kalkuliert und die Preise für die Bücher angekündigt hat. Das heißt, wir können diese höheren Kosten in unsere Preise gar nicht unbedingt einbauen. Und teilweise richten sich Preise ja auch nach psychologischen Preisgrenzen. Es macht psychologisch einen Unterschied, ob sie 29 Euro oder 32 Euro sagen. Aber nicht nur die Preissteigerungen sind ein Problem.
Was noch?
Auch die Lieferzeiten bereiten uns Probleme. Bislang konnten die Druckereien ihr Material immer just in time bestellen, gängige Papiersorten konnten von einem Tag auf den anderen Tag bezogen werden. Das geht im Moment nicht, wir reden da von Lieferzeiten von mehreren Wochen. Und solche Lieferengpässe habe ich ehrlich gesagt überhaupt noch nie erlebt. Die Preissteigerungen werden die Druckereien an uns weitergeben, die haben gar keinen Spielraum, und irgendwann werden die höheren Materialkosten auch in den Verbraucherpreisen ankommen.