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Neues von Susanne Folk, den Cowboy Junkies und Tanya Tucker

Kosten jeden Atemzug aus: Cowboy Junkies.

Kosten jeden Atemzug aus: Cowboy Junkies.

Potsdam. Was haben wir zuletzt gehört? Nur Gutes. Zum Beispiel von Künstlerinnen und Künstlerin, die auf den unabhängigen Latent Records vertreten sind. Allen voran Jerry Leger, Huron oder Mary Gauthier. Das Label hatten die Cowboy Junkies einst gegründet. Womit wir beim Thema wären: Gerade haben die Kanadier „Such Ferocious Beauty“ auf Cooking Vinyl/Indigo veröffentlicht. Und was soll man sagen? Auf eine Platte der Musiker, die seit Bandgründung 1986 zu den ausgezeichneten Vertretern des Alternative Country zählen, wartet man immer gern. Ein paar Jahre haben sich Margo Timmins, ihre Brüder Peter und Michael und Alan Anton Zeit gelassen. Und doch: Die vier haben diese wilde Schönheit einer höchst gefährdeten Welt, in der alle leben, nun in zehn höchst staunenswerte Stücke mit ganz viel Atem gehüllt. Und sind einer einengenden Genre-Zuschreibung längst entrückt. Ernst, zerrissen, langsam, nachdenklich, bisweilen heiter. Thematisiert wird unter anderem die Demenz-Erkrankung des Vaters der Timmins. Der stolze Buschflieger, der den Jazz liebte. Was bleibt, wenn die Eltern verschwinden? Trost und Träume. Manchmal beides.

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Sptäe Stücke einer besonderen Sängerin: Tanya Tucker.

Sptäe Stücke einer besonderen Sängerin: Tanya Tucker.

Musiker sind für Musiker da. Wie Jack White (The White Stripes) einst als Produzent für die im Vorjahr verstorbene Country-Veteranin Loretta Lynn. Erneute Unterstützung erhielt Tanya Tucker für „Sweet Western Sound“ (Fantasy/Concord/Universal) von Brandi Carlile und Shooter Jennings. Beide haben Tanya, in einer Zeit, in welcher sich andere zur Ruhe setzen, zu einem achtbaren Zeugnis später Kunst als Sängerin verholfen. Die von dunklen und verwundenen Straßen künden kann, die sie selbst gewandert ist. In den milden, doch von Altersglanz geprägten Stücken steckt Wehmut, über Menschen, die Tanya zurücklassen musste, über Dinge, derer man sich gern entsinnt und übr Dinge, die man wohl gern ungeschehen machen möchte. Und sicher steckt ein Quäntchen Altersweisheit in ihren Songs. Samt dem Wind, der übers Land weht. Mit einem hohen Himmel darüber. Womöglich haben Brandi und Shooter sogar das Beste herausgekitzelt. Billy Joe Shaver (1939-2020) rahmt übrigens die Platte – mit ein paar auf Tanya gereimten Zeilen, generiert per Voicemail. Was ein Kunstgriff. Shaver war einer dieser Freunde, den die gebürtige Texanerin verloren hat.

Boo Boo Davis und besondere Begleiter

Da gab es mal ausführliche Touren. Dann der Stillstand durch die Corona-Pandemie. Freunde sammelten Geld, damit sich der Blues-Künstler Boo Boo Davis über Wasser halten konnte. John Gerritse, Jan Mittendorp und Boo Boo Davis, der nun auf die 80 zugeht, haben für „The Trio 2008-2019“ (Black and Tan Records) ihre liebsten Stücke zusammengestellt. Eine berührende wie beachtliche Bilanz. Boo Boo Davis aus Drew/Mississippi schont weder seine Stimme noch hält er sich mit wildem Mundharmonika-Spiel zurück. Nicht weniger roh fährt die Gitarre mit wahnsinnigem Wah-Wah dazwischen oder poltert das Schlagzeug. Grandios, weil unverschämt direkt. „Hold Your Head Up“ heißt ein Song. Gute Maxime. Das haben die drei über eine lange Zeit hinbekommen.

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Alternativen

Es sind diese wichtigen Jahre, auf die Einar Solberg nun mit seinem Solo-Gang auf „16“ (Inside Out Music/Sony) schaut. So viel Aufregendes und Einflussreiches geschieht. Mit dem Körper und dem Kopf im Alter von 16 Jahren und kurz danach. Von hier startet der Mann, nun 38 Jahre alt und stolzer Inhaber dieser markanten Stimme als Sänger der norwegischen Prog-Metaller ist, seine musikalischen Überlegungen. Was passiert nach Verlust der kindlichen Unschuld? Es ist nur eine der Fragen, die Einar aufwirft.

Ausnahme-Vokalist auf Solo-Pfaden: Einar Solberg.

Ausnahme-Vokalist auf Solo-Pfaden: Einar Solberg.

Zu dieser bemerkenswerten Reise gehört der Beinahe-Dialog zwischen Einar und dem Tour-Violinisten Raphael Weinroth-Browne. Doch dann gibt es diesen Gospel-Touch, diese Drops, dieses Schmettern, diese Schlieren, diesen Rap – wenn es zur Kooperation mit Ben Levin von Bent Knee im Stück „Home“ kommt. Oder das himmelstürmende „Splitting The Soul“. Unheilvolle, kalte, brachiale, dabei in Kinolandschaften driftende Sounds, bei dem Ihsahn kompositorisch behilflich war. Also mindestens zwei Fälle, in denen Einar ausholt und weitere Möglichkeiten andeutet. Dennoch: Die Bezüge zu seiner Stammband bleiben präsent.

Kehlig und wohl dauerheiser empfängt uns Mohamed Lamouri. Der benutzt häufig Hip-Hop-Beats, jede Menge schlichter Casio-Sounds und weiterer Keyboards, doch genauso finden sich vielfarbige Perkussion und diese orientalischen Streicher und Schlenker in den Stücken von „Méhari“ (Almost Musique/Broken Silence). Der sehbehinderte Musiker, der in Algerien groß wurde, sorgt immer wieder dafür, dass es dem Rai, jenem Mix aus Pop und Volksmusik seiner Heimat, nicht an Frische mangelt. So mogelt Lamouri hier etwas Latino, vielleicht Cha-Cha-Cha, dazwischen. Dann führt sein Weg von Nordafrika nach Jamaika. So gar mehrmals. Reggae und Dub als enge Freunde des Rai.

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Kanada II: Zauberhafte Ukulele, sanft bearbeitetes Schlagzeug, ausgefeilter Harmonie-Gesang – damit nehmen Half Moon Run die Hörer auf „Salt“ (BMG/Ada-Warner) gefangen. Doch der Dreier aus Montreal macht auch bei den etwas schnelleren Songs, bestimmt vom Piano und garniert mit Streichern, gute Figur. Pluckernder Folk wird oft nur angedeutet. Überhaupt, die Kanadier lieben die Abwechslung. Sie stehen für schlauen, farbigen und in Details orchestral funkelnden Indie-Pop.

Berlin-Konzert am 30. September um 20 Uhr im Festsaal Kreuzberg.

Mehr Rock

Hier kommt Dresche! Aus München. BALE schleudern das unbarmherzige „Dayeater“ (Spreading The Hardcore Reality) in die willigen Lauschlappen. Für die steht eine echte Prüfung an. Der Fünfer steht dermaßen unter Strom, dass Hardcore-Entladungen, Metal-Hammer und Brüll-Anfälle doch einigen Schaden anrichten könn(t)en. Und selbstredend Freude ohne Ende, weil Flo, Jo, Didi, Berzi und Sven so kompromisslos vorgehen.

Bevor sie wieder zum nächsten großen Schlag ausholen, verteilen Omnium Gatherum sozusagen vor Sommerfestivals einen leckeren Appetithappen. Die sechs Finnen füllen ihre Kurzrille „Slasher“ (Century Media/Sony) mit vier melodischen Todesblei-Songs. Obacht: „Maniac“ erhält hier womöglich seine letztgültige heftige Form samt Röcheln. Immerhin, die finsteren Gesellen scheint das Stück wohl beeindruckt zu haben. Remember? Michael Sembello gehörte damit zum Tanzfilm „Flashdance“. 1983. Herzlichen Glückwunsch zum 40. Geburtstag.

Hektik, Hymnen und heftige Riffs – das bekommt man von Lausch auf deren jüngster Veröffentlichung „Love & Order“ (Noise Appeal Records). Die Worte im Albumtitel geben nur annähernd und darum unvollständig wieder, was jederzeit über uns hereinbrechen kann. Wünscht man sich Ordnung? Wohl nur in Maßen. Dürstet man nach Liebe? Natürlich. Doch sie allein schon kann alles verändern, auf den Kopf stellen, in Unordnung versetzen. Da setzt der Verstand aus. Wie schön. Wie groß. Wie ungewiss. Das schneidige Trio aus Österreich stößt uns geradezu in eine Achterbahn aus alternativen und progressiven Rock-Sounds.

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Besinnlich? Nur 79 Sekündchen. Dann gehen die Bloodstrings in die Vollen. Der Vierer zündet erst mal einen Kracher. Dem Straßenpunk folgt auf „Heartache Echo“ (Dackelton Records/Broken Silence) gleich die nächste schnelle Nummer, dann noch eine. Schöner scheppern mit der Rasselbande aus Aachen und ihrer das Stimmband strapazierenden Sängerin Celina. Die Punkabillies, die neben Alkoholrausch oder Aussteigerfantasien auch allerlei abstoßende Haltungen thematisieren, die man sich besser abgewöhnt, steigen erst nach zwölf Stücken vom Gaspedal.

Im Konzert

Wechselnde Ideen und musikalische Zusammenhänge: Mancher kannte Susanne Folk mit Saxofon oder Klarinette. Andere als Sängerin. Nun hat die Deutsch-Amerikanerin „Love Is Not A Weakness“ (Traumton/Indigo) veröffentlicht. Ein außerordentlich intensives wie wohltemperiertes Zwiegespräch zwischen Piano und Stimme ist es geworden – und sicher gefärbt durch biografische Aussagen.

Eindringliche Stücke, am Piano inszeniert: Susanne Folk.

Eindringliche Stücke, am Piano inszeniert: Susanne Folk.

Avancierte, romantische, teils dramatisch gesteigerte Pop-Kunst. Geschult an Kolleginnen, die ähnlich unterwegs sind. Mit gelegentlichen Fluchten an schattige Plätze, wie es sie im Gothic gibt. Mit Spuren, die sich im Jazz finden, wo beispielsweise das Klavier für die Akkordarbeit präpariert wird. Der Albumtitel stammt aus dem Stück „Antidote“. Ein Kraftspender. Auf ihrem ungebundenen Debüt verlangt Susanne Folk ihrer Zuhörerschaft nicht wenig ab.

Plattenveröffentlichungskonzert am 8. Juni um 21 Uhr im B-flat in Berlin. Auftritt in Potsdam am 9. Juni um 19 Uhr im Kunsthaus Sans Titre.

MAZ

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