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Neues von DeWolff, Hamish Hawk und Serotonin Syndrome

Von der Wiege bis zur Bahre und alles zwischendrin: So mitfühlend sind die jüngsten Lieder von DeWolff.

Von der Wiege bis zur Bahre und alles zwischendrin: So mitfühlend sind die jüngsten Lieder von DeWolff.

Potsdam. Näher heran kommt man kaum: DeWolff verbrachten eine Zeit im Nordwesten der Bretagne. Mit Freunden im Studio, das analoge Aufnahmetechnik früherer Dekaden aufbieten konnte. Dann kam, was kommen musste. Die Aufnahmen für "Love, Death & In Between" (Mascot Records/Mascot Label Group) erfolgten live. Ohne Overdubs. Unmittelbarer kann man die Brüder Pablo und Luka van de Poel und Robin Piso nicht bekommen.

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Mehr Rock

Wir wollen gar nicht erst drum herumreden: Die Welt ist schlecht, weil ihre angebliche Krönung, der Mensch, sie zu Schanden reitet. Mindestens seit der industriellen Revolution. Das kann nur in abgründigen atmosphärischen bis atemberaubenden Allianz aus alternativem, schwarzem und doomigem Metal enden – und in zerquältem Gesang. Wie bei Serotonin Syndrome. Nur in einigen melodischen Passagen seiner Platte „Seed Of Mankind“ (Pelagic Records) lässt der Fünfer aus dem Norden Finnlands immer mal einen winzigen Spalt, durch den Hoffnung einsickern kann. Unterm Strich aber bleibt es eine trostlose Bilanz.

Frankreich I: Unter sieben Minuten geht bei Bruit nichts. Fast nichts. Denn der Vierer aus Toulouse setzt auf „Apologie du temps Perdu Vol. 1“ (Pelagic Records) auf ein feingliedriges Wallen und zartes Schweben. Auf und Ab. Kleine Entwicklungen in wellenartigen Bewegungen. Bekrönt von sensitiveren Obertönen, die in die Höhe streben und irgendwo im Himmel sich auflösen. Wie doch die Zeit verrinnt. Dem kann man im Postrock lauschen.

Frankreich II: Man kann nicht behaupten, dass sich das Drama bei WuW gar auf leisen Sohlen nähert. „L’Orchaostre“ (Pelagic Records) hat zwar zumeist seine schleichenden Momente, doch die sehr bleihaltigen heavy Riffs, das Wühlen, das Mahlen – alles strebt bei Benjamin und Guillaume Colin auf eine Klimax zu. Und die Eruption, das Crescdendo, die Entladung enthält uns dieses Duo aus Paris in dieser massiven Metal-Sinfonie nicht vor. Zudem steuert die Kirchenorgel manch sakrale Erhabenheit bei.

Unbotmäßig, unabhängig und – ähem – sehr körperbetont ist die neue Langrille von Sanguisugabogg ausgefallen. Denn der Körper, seine Einzelteile und Sekrete gehören zur brutalen und blutsaugenden bösen Bilanz der Todesmetaller aus Ohio. Und auch Messer. Daher fährt einem „Homicidal Extasy“ (Century Media/Sony) mörderisch ins Gebein.

Gitarre, Schlagzeug und Orgel. Das Trio badet förmlich im Soul, hat den Blues (schon immer) und ist vom Gospel geküsst. Dazu passt, dass Pablo 2019 eine Predigt von Al Green – ja der Al! - besuchte. Ein unauslöschlicher Eindruck in Memphis. Lebensbestimmend. Eine Erweckung. DeWolff kostet – wie sollte es anders sein – die Nuancen aus. Die Band aus den Niederlanden gestattet sich manchen Exzess an Hammond-Orgel und Wurlitzer, weitschweifige wie heiße Soli, schmissige Bläser und Frauen im Chor und wenn Pablo singt, dann mit einer heutigentags äußerst rar gewordenen Hingabe.

Berlin-Konzert am 13. Februar um 20 Uhr im Frannz. Mit The Delissen Group.

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Nachdenklich und sensibel: Hamish Hawk.

Nachdenklich und sensibel: Hamish Hawk.

Dieser Hamish Hawk umgarnt die Zuhörerschaft mit seinem Bariton. Nicht, dass es bereits andere Sänger ebendieser allgemein einnehmenden Stimmfarbe geben würde. Doch der Songwriter aus Edinburgh bettet die Stimme auf seinem jüngsten Album "Angel Numbers" (Post Electric) in einen mal forschen, von Indie-Gitarren getriebenen überschwänglichen Pop-Sound. Gespickt mit reichlich Arbeit an Tasteninstrumenten und dem Drang zum Hymnischen.

Alternativen

Eines deutlicheren Fingerzeigs im Bandnamen auf einen Helden der Rock-Historie bedarf es wohl nicht: Hey Hey My My. Wobei, hier haben wir ein Duo aus Frankreich. Julien Gaulier und Julien Garnier machen keinen Hehl aus ihren musikalischen Säulenheiligen Neil Young und den Beatles. Doch eine Art Nachbau der Legenden gibt es nicht unbedingt. Auf ihrer jüngsten Scheibe „High_Live“ (Vietnam Label) bieten sie neben groß orchestriertem Indie-Sound viele andere verspielte Nuancen – ein Disco-Tanznümmerchen hier, sanft pulsierende Beats oder wohltemperierte Balladen dort. Oder Lärm aus der Bratz-Gitarre, wenn es halt passt. Was Julien und Julien mit den große Alten verbindet ist – Erfindungsreichtum.

Was für ein aufmerksam gestaltetes Album: Joao Selva hat genau zugehört. Auf das, was sein Vater, ein Priester in Rio de Janeiro, und der Bossa-Nova-Star Wanda Sa ihm beibrachten. Das trägt längst Früchte. Wie auf „Passarinho“ (Underdog Records/Broken Silence), der dritten Platte von Selva. Vielfach geküsst von Sonnenstrahlen. Von der Muse sowieso. Selva fügt nicht nur kenntnisreich und gefühlvoll Soul, Jazz und Funk aus Nordamerika zusammen. Nie vergisst er die brasilianischen Farben, das Aroma der Karibik oder die Rhythmen, die mit jenen afrikanischen Vorfahren überlebten, die einst von Sklavenschiffen über den Atlantik gebracht wurden. Selbst wenn die Dinge schlecht stehen, musst du singen und alles geht etwas leichter. Verspricht der Titelsong über einen Vogel im Käfig.

Und lässt sich dann auch immer wieder mal von Wolke Sieben und in eine sensible Nachdenklichkeit fallen. Ein Bad in Melancholie – das können die Schotten. Verzichten wir mal auf Namen. Hamish Hawk vermählt analoge Synthesizer mit Steel-Gitarre. "Rest and Veneers" – das Duett mit Samantha Crain ist – leider – viel zu kurz geraten.

Im Konzert

Cool, fantastisch und überdreht: All das bietet der vokal höchst wandlungsfähige Fantastic Negrito auf seiner jüngsten Veröffentlichung „White Jesus Black Problems“ (Storefront Records/The Orchard). Dass der 54-Jährige in einem Song gleich mal den Spagat zwischen Soul-Sinfonie, Blues-Fetzen und knackigem Rock hinlegt, ist Programm. Dem Musiker ist keine Spielweise zu klein. Schon gar nicht, bei dem, was er diesmal vorhat.

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Leid und Hoffnung kleidet er in ein großes Werk. Als nächstes ist ein akustisches Album angekündigt: Fantastic Negrito.

Leid und Hoffnung kleidet er in ein großes Werk. Als nächstes ist ein akustisches Album angekündigt: Fantastic Negrito.

Zumal Xavier Amin Dphreepaulezz – so lautet sein bürgerlicher Name – bereits im Albumtitel auf einige Problemfelder aufmerksam macht. Schon die Familiengeschichte von Fantastic Negrito deutet es an. Er ist der freie Nachfahre einer weißen Magd und eines schwarzen Sklaven einer Kolonie in Virginia. Vor 270 Jahren war eine solche Liebe lebensbedrohlich. Mindestens. Der Musiker, aufgewachsen in Oakland/Kalifornien, erzählt nun diese Geschichte – sie ist zugleich als Multi-Media-Werk angelegt – mit großem Gestus und der ganzen musikalischen Bandbreite, die ihm zu Verfügung steht: Rhythm'n'Blues, Funk, ganze Stapel von Keyboards, gesprochene Nachrichten und Gospel-Chören. Freiheit und Erlösung.

Berlin-Konzert am 9. Februar um 20 Uhr im Kino Babylon.

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