Oscar-Regisseur Volker Schlöndorff wird 80
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Volker Schlöndorff ist kein Mann, der Ruhe gibt – jeder seiner Filme folgt einer neuen Handschrift.
© Quelle: Christel Köster
Potsdam. Als man vor ein paar Jahren bei „Familie Schlöndorff“ klingelte, kam der Regisseur persönlich aus der backsteinroten Villa, die am Griebnitzsee in Potsdam steht. Volker Schlöndorff winkte von ganz hinten durch den Garten, rief „Hallo!“, keine Spur von gravitätischer Distanz, die man von Leuten kennt, die einen Oscar im Schrank haben. Warm gehalten hatte ihn ein Trainingsanzug mit der Aufschrift „Latin Lover Crew“. Man setzte sich mit ihm aufs sonnengelbe Sofa seines Hauses, er zeigte auf den See, erklärte seine Joggingroute, jeden Tag zehn Kilometer. Den Pariser Marathon hatte er gerade in 4:22 Stunden bewältigt. Wahnsinn, er war damals schon über 70.
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Volker Schlöndorff ist ein Läufer, hier im Jahr 2003 bei der „Preußische Meile“ in Potsdam.
© Quelle: Michael Hübner
An diesem Sonntag wird er 80 Jahre alt, am Heiligabend des vergangenen Jahres ist seine zweite Frau gestorben, die Filmschnittmeisterin Angelika Gruber. Schlöndorff arbeitet weiter, er ist kein Mann, der Kraft aus einer Pause schöpft. Er bewegt sich immerzu, nicht nur auf Joggingstrecken, auch geistig und stilistisch ruht er sich nicht aus. Es gibt wohl keinen Regisseur auf Weltniveau, der seine Handschrift so beweglich hält wie er. Man findet keinen „Schlöndorff-Touch“, diese Manier, an der man ihn erkennt. Ein Résistance-Film folgt auf eine Liebesgeschichte. Andere Bilder, andere Temperatur, andere Tiefe.
Debüt mit dem jungen Törless
Volker Schlöndorff wurde am 31. März 1939 in Wiesbaden geboren. Seine Mutter kam 1944 bei einem Küchenbrand ums Leben.
Sein erster Langfilm kam 1966 ins Kino: „Der junge Törless“ nach dem Roman von Robert Musil.
Den Oscar für den besten ausländischen Film gewann Schlöndorff 1980 mit „Die Blechtrommel“, einer Verfilmung des Romans von Günter Grass.
Die alten Defa-Studios in Babelsberg hat er von 1992 bis 1997 als Geschäftsführer saniert.
Nach der Verfilmung von Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1975), Regie führte er zusammen mit seiner ersten Frau Margarethe von Trotta, wurde er von der Boulevard-Presse als RAF-Sympathisant verdächtigt, als ein Terroristenfreund. In seinem Stück „Die Stille nach dem Schuss“ (2000) hat er die RAF als Kleinbürger entlarvt, die in der DDR abtauchten – und dort ihr Spießerglück gefunden haben.
Auf die These folgte bei Schlöndorff verlässlich die Gegenthese, auf die Unterhaltung folgte eine beinharte Tragödie. Und dass sich alle dafür interessierten, hängt mit dem Film zusammen, dessen Plakat verboten wurde und prominent im Wohnzimmer der Schlöndorff-Villa hängt: „Die Blechtrommel“ (1979) bekam den Oscar als bester Auslandsfilm. Auf dem Filmposter war klein ein nackter Venushügel zu sehen, darum wurde es zensiert. Nichts hätte deutlicher illustrieren können, wie nötig die Verfilmung von Günter Grass’ Roman gewesen ist, in dem es um die Überwindung der Nazis-Zeit und um den Aufbruch in eine weltoffene Demokratie geht.
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Volker Schlöndorff (r.) im Jahr 1979 bei dem Dreh der „Blechtrommel“, links Schriftsteller Günter Grass, auf dessen Roman der Film beruht. In der Mitte der Schauspieler David Bennent als Blechtrommler Oskar Matzerath.
© Quelle: DPA
Schlöndorff hat viele Bücher verfilmt, seine Wohnung steht voller Literatur. Mit „Der Junge Törless“ nach dem Roman von Robert Musil hatte es 1966 begonnen, „Baal“ (1969) nach Brecht und Kohlhaas (im selben Jahr) nach Kleist folgten. 1991 kam sein wohl leisester Film „Homo Faber“ ins Kino, nach dem Buch von Max Frisch. Ein Ingenieur, der glaubt, die Welt anhand von Ratio oder Formeln zu bewältigen, lernt die Macht des Zufalls kennen. Er trifft seine Tochter, von der er nichts weiß, und verliebt sich in sie.
Max Frisch starb zwei Monate nach den Dreharbeiten, kurz vor seinem Tod schenkte er Schlöndorff seinen graugetünchten Jaguar, Baujahr 1967. „Dort, wo ich hingehe, braucht man keine Autos mehr“, sagte Frisch. Schlöndorff parkte ihn in seiner Potsdamer Garage, erneuerte den Lack, fuhr ihn täglich. „Ich habe kein anderes Auto“, erzählte er auf seinem sonnengelben Sofa.
Nach Potsdam kam er 1991, um das alte Studio Babelsberg zu retten. „Der erste Banker, mit dem ich hinfuhr, sagte: Kalifornien ist das nicht! Die Straßen waren düster und hatten Schlaglöcher, so groß, dass ein Trabant darin schwinden konnte.“ Ohne Schlöndorff würde es das Studio heute nicht mehr geben, es hätte vor sieben Jahren keinen hundertsten Geburtstag feiern können.
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Aktuelles Foto von Volker Schlöndorff aus dem März 2019: Der Regisseur im Arbeitszimmer seines Potsdamer Hauses am Griebnitzsee.
© Quelle: DPA
Auf seinem Sofa erzählte er, wie er damals, als er mit 16 Jahren nach Paris ging und täglich drei Filme in der Cinémathèque français im Palais Chaillot sah, kritisch auf die Defa-Stücke der DDR schaute. Das hat in Babelsberg nicht jedem gefallen, es gab schroffe Proteste gegen Schlöndorffs Sätze in der MAZ. Das deutsche Feuilleton hatte eine neue Debatte. Schlöndorff selbst rief ein paar Tage später in der Redaktion an, sehr ruhig, er fragte, wie man die Wogen glätten könne. „Ich wurde nach meiner Zeit im Studio als Abwickler beschimpft. Der Standort Babelsberg stand auf der Kippe, die Mitarbeiter mussten lernen, sich an den Kunden zu orientieren.“
Volker Schlöndorff hat auch die jungen Wilden befeuert. Quentin Tarantino saß bei ihm in einem Workshop im amerikanischen Sundance, Utah. „Er kannte alle Kamerafahrten eines Filmes von Jean-Pierre Melville, bei dem ich Assistent war. Er wirkte fast wie ein Autist, er ist besessen gewesen, genau wie Fassbinder!“ Schlöndorff kennt sie alle. Und hat sie geprägt.
Von Lars Grote
MAZ