Brandenburg: Schreibt ChatGPT bald die besseren Gedichte?
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Das war mal: Ein Dichter, der sich mit Federkiel, Pergament und viel Muße zu Weltliteratur hinreißen lässt. ChatGPT spuckt mittlerweile recht solide Poesie in Sekunden aus.
© Quelle: NomadSoul via www.imago-images.de
Potsdam. Wie gut kann der Sprachbot ChatGPT schon selbst Literatur? Die Sprecherin des Vereins Prowissen Potsdam e. V., Annette Weiß, wollte es gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion über KI und Kultur wissen. Sie lud die Zuhörer im Seminarsaal des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam, dem Kutschstall, zu einem kleinen Spiel ein. Die KI sollte ein Gedicht schreiben. Vier Strophen sollte es haben. Und reimen sollte es sich auch.
Aber welche Art Reim sollte es denn sein? „Kreuzreim!“, schlug jemand im Publikum vor. Sehr schön. Und nun das Wichtigste: „Welche Wörter sollen denn vorkommen?“, fragte Weiß. Das Publikum schien es darauf angelegt zu haben, der KI ihre Dichterexistenz so schwer wie nur möglich zu machen. „Equality“, „Erkenntnistheorie“, „Wolkenbruch“, „Fallrückzieher“ und „Schlamassel“ wollte das Publikum von ChatGPT sprachkünstlerisch verarbeitet haben.
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Fröhlich tippte Annette Weiß das Anliegen in das Sprachprogramm. Das grüne Viereck von ChatGPT blinkte auf der Projektion des Computermonitors an der Wand, als grübele der Bot. Dann spuckte ChatGPT blitzschnell sein Ergebnis aus. Das bis auf einen unreinen Reim auch ordentlich, allerdings in Paaren gereimte Gedicht legte mit einem Schlag die Stärken und Schwächen der Künstlichen Intelligenz offen.
ChatGPT gewinnt noch keinen Literaturpreis – aber für den Alltag reichts
In einer für Menschen wahrscheinlich unerreichbaren Geschwindigkeit hatte der Bot die unmöglichen Wörter tatsächlich sinnvoll in einen textlichen Zusammenhang mit Rhythmus und Reim gebracht. Das leicht ironisch wirkende Gedicht drehte sich um die Schwierigkeit der Erkenntnisarbeit und hatte eine gewisse Erich-Kästner-Anmutung. Das Publikum schmunzelte.
Einen Literaturpreis hätte ChatGPT mit der unverbindlichen Reimerei bestimmt nicht gewonnen, aber als Gebrauchsliteratur für den Alltag reichte es allemal. Dass der Bot einige Male stolperte und statt „Geschicks“ „der Schicks“ schrieb oder das Wort „Hassel“ des Reimes wegen frei erfand – wen kümmert’s?
ChatGPT und KI: Echte Literatur kann bis jetzt nur der Mensch
Wie hätte man also die an die fünf Podiumsgäste gerichtete Frage der von der Landesregierung getragenen kulturpolitischen Veranstaltung „Wer schreibt künftig unsere Literatur?“ nach diesem Experiment beantworten müssen? „Natürlich ich“, hätte der frisch von einem Stipendienaufenthalt in Irland zurückgekehrte Berliner Schriftsteller Roman Ehrlich trotz der beachtlichen KI-Leistung selbstbewusst sagen können.
So drückte sich der umgängliche junge Mann nicht aus, erklärte aber, dass ein anspruchsvoller Autor schon etwas mehr oder etwas ganz anderes können müsse, als bloß Sätze sinnvoll und sogar recht lustig aneinanderzureihen. „Der literarische Text lebt, glaube ich, von verschiedenen Parametern, die nicht programmierbar sind“, sagte Ehrlich. Er nannte Zufall und Verstörung.
Vor allen Dingen stelle Literatur Fragen, auf die es noch keine Antwort gebe, und sie bringe Dinge zur Sprache, die so und vor allen Dingen auf diese Weise noch gar nicht wahrgenommen worden seien. Nichts davon könne ChatGPT, das lediglich in vorhandenen Datenmengen wühle und seine Antworten anhand bekannte Muster gemäß dem Prinzip statistischer Wahrscheinlichkeit generiere – und folglich niemals frei und authentisch dichte.
Angst haben muss die Masse der Kulturschaffenden
Für den Geschäftsführer des deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, ist die Hochliteratur auch gar nicht das in der Podiumsdiskussion adressierte Problem. Gerade deswegen sieht der Publizist, der zu Studienzeiten schon einmal selbst ein Computerprogramm zur Erzeugung von Gedichten schreiben musste, das Kulturleben dank KI vor beträchtlichen Umwälzungen.
Die Hochkultur mache nur den geringsten Teil dessen aus, was wir Kultur nennen, der andere Teil, der schon jetzt ein prekäres Leben führe, habe Grund sich zu gruseln. „Zwei Drittel aller Grafiker werden arbeitslos werden“, prophezeite Zimmermann. Auch bestimmte Bereiche des Journalismus würde die KI übernehmen. Sportmeldungen würden von ihr glänzend formuliert, während die früheren Reporter jetzt nur noch für sie stupide die aktuellen Ergebnisse und Infos zum Spiel eintippen müsste.
KI und ChatGPT: „Das Urheberrecht gilt nur für den Menschen“
Auch rechtlich sah Zimmermann im Gegensatz zu anderen Podiumsteilnehmern ein Problem. „Das Urheberrecht gilt nur für den Menschen“, betont er. Wie die Produkte einer künstlichen Intelligenz zu bewerten seien, sei bisher keineswegs geklärt. „Es wird darauf ankommen, das Datensammeln zu begrenzen“, sagt Zimmermann. In der Tat plündern Tech-Konzerne wie Google skrupellos geistige Produkte anderer Menschen und monetarisieren sie auf ihre Weise.
Auf ähnliche Art ist auch ChatGPT mit Leistungen früherer Generationen gefüttert, ohne selbst etwas dazu beigetragen zu haben. Um weitere Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft zu verhindern, müsse Künstlern auch zugestanden werden, ihre Produkte nicht für irgendwelche Datenbanken freizugeben. „Dafür haben wir noch keine Regeln“, so Zimmermann.
Brandenburg arbeitet an einer KI-Strategie
Viel lockerer sieht das Brandenburgs Kulturstaatssekretär Tobias Dünow (SPD). Der wehrt sich zwar gegen die Vorstellung, er sei der Spin-Doktor bei der Erarbeitung einer Landesstrategie zur „Künstliche Intelligenz“, spielt aber gleichwohl eine wichtige Rolle in der ministeriellen Arbeitsgruppe. Er habe zur Landesstrategie „in der Tat“ auch ChatGPT befragt. Die Antwort „war nicht wahnsinnig kreativ aber auch nicht völlig absurd“.
„Im Wesentlichen geht es darum, das Thema, was jetzt alle bewegt, ein bisschen zu strukturieren“, sagt Dünow. Wo überall gibt es in Brandenburg Forschung zum Thema Künstliche Intelligenz? Wie kann man Dialog und Vernetzung fördern? Welche Chancen bietet die KI für das Land? Natürlich sei das Thema auch für die Kultur wichtig, findet Dünow. Aber Horrorvisionen wie die in Stanley Kubricks „Odyssee 2001“, in der der Computer HAL 9000 zum Selbstschutz Menschen mordet, hege er keine.
KI führt zu Massenarbeitslosigkeit? Wohl eher zu einer Verschiebung des Marktes
Bei ChatGPT findet der studierte Publizist Dünow es bloß wichtig, auch ethische und gesellschaftliche Aspekte zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass soziale Ungleichheit nicht wachse oder der Datenschutz unter die Räder komme. Im Übrigen habe man auch bei der Einführung von Bankautomaten Massenentlassungen in Banksektor befürchtet, stattdessen seien die Banken personell gewachsen wie nie. Dünow fürchtet keine Massenarbeitslosigkeit, nur eine Verschiebung der Tätigkeit durch KI.
Dünow wir hier nicht nur widersprochen, die Philosophie-Doktorandin Dorothea Winter und die Professorin für Sprache, Migration und Globalisierung an der Viadrina in Frankfurt (Oder), Britta Schneider, bringen auch ein anderes KI-Problem ins Spiel: Die durch die von Menschen erzeugten Algorithmen verzerrten auch die Wahrnehmung der KI. Letztlich reproduziere die KI sexistische Haltungen ihrer Programmierer oder lade – eingesetzt als Vorauswahl in Unternehmen – Leute mit einem fremdländisch klingenden Namen erst gar nicht zum Vorstellungsgespräch ein.
Auf die Frage, wer künftig unsere Literatur schreibe und welche Rolle ChatGPT und Co. künftig überhaupt in Kultur und Gesellschaft spielen würde, konnte die Runde im Saal nicht endgültig beantworten, zumal gar nicht klar ist, zu welchen Leistungen die Systeme noch fähig sein werden. Klar blieb nur, dass KI Fluch und Segen zugleich sei und es noch viel zu regeln geben.
MAZ