„Die Hölle morgen früh ist mir egal“: Helene Fischer in Berlin – mit Video
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Helene Fischer begeisterte tausende Fans in der Mercedes-Benz-Arena.
© Quelle: Annalena Engel
Berlin. Sie ist immer auf dem Sprung, Helene Fischer lächelt, doch im Grunde kocht sie innerlich, weil der Alltag ein Parcours ist, sie wirft sich permanent ins Zeug, ständig auch in neue Kleider. Ja, gerne Kleider, einmal eine Lederhose. Sie will es feierlich, mal Robe und mal kurzer Rock. Sie flirtet und flüstert, als hätte sie Geheimnisse, und trotzdem steht hier außer Frage, dass ihre Show nie anzüglich oder moralisch irgendwie verwirrend wäre.
Helene Fischer ist auf eine Weise sexy, die selbst in der Sesamstraße nicht gefährlich wirkt. Auch in Berlin ist das nicht anders, wo sie am Dienstag das erste von fünf Konzerten in der Mercedes-Benz Arena gab. Die Tickets sind so teuer, dass noch Karten für die Shows zu haben sind. Unter 100 Euro? Da landet man auf Plätzen, auf denen man die Frau fast durchgehend von hinten sieht.
Helene Fischer knipst die bürgerlichen Zweifel aus
Es ist alles wie ein Musical bei dieser Sängerin, ihre Lieder brauchen Pomp und viel Lametta, ein Lied steht nie für sich alleine. Meist ist ein Song bei ihr der Soundtrack für ein kleines Drama, ein Beiwerk für die Elemente, die sie auf die Bühne holt: Feuer, Wasser, Akrobatik. Der kanadische Zirkus Cirque du Soleil ist dabei, als ihr beweglicher Begleitschutz. Die Künstler hängen hoch am Reifen, tanzen um die Flammen, biegen sich im Rhythmus dieser Fischer-Lieder, die ja nie bloß irgendwas erzählen, sondern meistens nach Extremen suchen.
Das Publikum wird nahezu geschüttelt, die Gewissensfrage wird gestellt: Lebst du intensiv genug, oder hältst du dich in deinem Schneckenhaus verborgen? „Die Hölle morgen früh ist mir egal, für eine Nacht mit dir!“ Ganz persönlich würde man das vielleicht etwas anders sehen, gerade darum klatscht man bei den Liedern umso lauter.
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Helene Fischer ist der Leitwolf, sie führt uns durch die Nacht. Sie knipst den Schalter dieser kleinen, bürgerlichen Zweifel einfach aus. Und lächelt. Wer lächelt wie Helene Fischer, hat keinen Widerspruch zu fürchten. Wenn man ein Auge zudrückt, geht sie für Momente als Marilyn Monroe durch.
An einem Seil schwebt sie vom Hallendach hinab, so beginnt die Show. Immer steckt Dynamik in der Frau, als glaube sie dem Mythos, dass nur harte körperliche Arbeit ehrlich sei. Sie schaut sich vor der Bühne um, „Ich habe heute Geburtstag!“, steht auf einem Schild im Publikum. Theresa wird 31 Jahre alt. „Yes, Girl!“, ruft Fischer. Sie stimmt ein „Happy Birthday“ an, sie sagt „Ihr Lieben“, und sie betont, „ganz ehrlich, ich fühle mich heute großartig mit euch“.
Sie sagt es immer wieder. Ein Mantra, das eine Überirdische hier ausspielt, um sich gemein zu machen mit dem Volk. Sie ertränkt die Zweifel durch die Perfektion. Perfektes Blond, perfekter Körper, perfekte Kleider. Damit die Leute dennoch glauben, dass sie am Ende menschlich sei, wirbt sie für einen Supermarkt in aktuellen Fernsehspots. Als hätte sie das nötig, Wasser zu trinken, Käse zu essen. Vermutlich ist das Tarnung.
17 Echos, acht Goldene Hennen
Helene Fischer wurde am 5. August 1984 im sibirischen Krasnojarsk (damalige Sowjetunion) geboren.
Mit mehr als 17 Millionen verkauften Tonträgern zählt sie zu den kommerziell erfolgreichsten Sängerinnen Deutschlands und zu den weltweit bestverdienenden Musikerinnen.
Ihre Alben „Farbenspiel“ und „Best of Helene Fischer“ gehören zu den meistverkauften Musikalben in Deutschland. Sie wurde mit 17 Echos, acht Goldenen Hennen, drei Bambis und zwei Goldenen Kameras ausgezeichnet. Für „Die Helene Fischer Show“ erhielt sie 2015 den Bayerischen Fernsehpreis.
Ab Mai 2008 war Fischer mit Florian Silbereisen liiert. Die beiden galten als Traumpaar des deutschen Schlagers. Am 19. Dezember 2018 wurde die Trennung des Paares bekannt. Sie teilten mit, schon eine Weile getrennt und weiterhin Freunde geblieben zu sein.
Fischer offenbarte nach der offiziell bekannt gegebenen Trennung von Silbereisen, einen neuen Lebenspartner zu haben: den Luftakrobaten Thomas Seitel, mit dem sie in ihren Bühnenshows zusammenarbeitet. 2021 wurden sie Eltern einer Tochter.
Weitere Konzerte von Helene Fischer in der Berliner Mercedes-Benz-Arena am 31. Mai und 2., 3. und 4. Juni. Karten unter www.ticketeria.de
Wie soll das gehen:?Jeder Schritt ist einstudiert, wie will sie als gezähmte Frau von einem freien Leben singen? Ist das am Ende doch eher Operette als ein Popkonzert, wo die Gefühle eigentlich ja ungefiltert vor die Leute sollen? „Volle Kraft voraus, aufs Meer hinaus“, singt sie. Sie liegt, schwebt, tanzt in weiten, roten Tüchern, das kann alles sein, Liebe und Tod. Auch sie selbst ist fast für jede Lesart offen. Einerseits gibt sie die Tugendwächterin, die bestens weiß, was sich gehört, gerade Menschen gegenüber, die kräftig investieren in drei Stunden bestens kostümiertes Entertainment.
Andererseits ist sie das Mädchen vom Schulhof, das immer noch auf Männer steht, die große Jungs geblieben sind – und wer sie fordernd, ungeniert und offensiv genug in sein Visier nimmt, das gibt sie in den Liedern zu erkennen, für den ist sie zu haben. Wenn meistens auch bloß für die eine Nacht, die stets beschworen wird. Glück ist nur ein Kick, das wird hier klar, Helene Fischer möchte Spaß, auch in Berlin. Bitte nichts Verbindliches. Es bleibt ein One-Night-Stand. Dass sie zu Hause eine kleine Tochter hat, geht keinen etwas an.
Plötzlich ist Helene Fischer eine echte Rock’n’Rollerin
Sie steht auf dem Podest, da gehört sie hin, es ist ihr Thron. Die Kamera filmt sie von unten, aus der Position der Untergebenen, und wirft die Bilder hinten auf den großen Monitor. Sie singt, „Wenn alles durchdreht“, sie wirft die Hüften, und von unten aus betrachtet wirkt sie nun wie eine echte Rock’n’Rollerin, die sich nicht mehr kümmert um Frisur und einstudierte Schritte, sondern wirklich etwas fühlt. Sie verliert sich in dem Beat der eigenen Lieder, plötzlich wirkt sie echt und nahezu begehrenswert.
Wem ihre Liebe gilt, das macht sie vor der Pause klar, als sie mit ihrem Partner Thomas Seitel am Seil in der Luft tanzt. Sanft streicht sie seine Wange, der Rest ist Nähe, inszeniert, doch nicht intim. Sauber wie eine Yoga-Stunde. Ein Tanz mit einstudierter Turtelei.
Helene Fischer singt: „Ich bin bereit, dir blind zu folgen“
Wird sie wirklich nahbar in Berlin? Sie sagt, im Lied „Hand in Hand“ habe sie sich geöffnet, ihre Sorgen und die Furcht artikuliert, sie singt: „Ich bin bereit, dir blind zu folgen, ohne Angst.“ Vermutlich spricht sie über ihren Partner, tiefer lässt sich das nicht deuten – es ist die vielsagende Unklarheit des Schlagers, der nicht beim Wort genommen werden will, sondern beim Gefühl.
Kurz schnauft sie in ihr Mikrofon, erschöpft vom Turnen auf der Bühne. Das ist sympathisch, weil es die Perfektion für einen Augenblick durchbricht. Live ist ihre Stimme nicht so übertrieben bebend oder gar gepresst, wie man das von den Alben kennt. Um 22.30 Uhr dann die Hymne, „Atemlos durch die Nacht“, doch da ist die Nacht noch nicht zu Ende. „Sag mal, spürst du das auch?“, singt sie, und man möchte eigentlich kurz fragen, was exakt sie damit meint.
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Denn es ist sehr viel zu spüren in der Dienstagnacht. Flirrendes Konfetti, Andeutung einer großen, aber immerzu prekären Liebe, freundlich dargereichte Zugewandtheit und ein großer Kleiderschrank. So wird Helene Fischer zum Erlebnis, als die Frau, die den Alltag bei den Hörnern packt, und sich dann brav verbeugt. Als sei das Leben eine Zirkusnummer, von der man sich erholen muss. Mit Wasser oder Käse aus dem Supermarkt.
MAZ